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255. Begehren¹⁾. Verlangen²⁾. Wünschen³⁾. Lust haben⁴⁾. Sich gelüsten lassen⁵⁾. Lüstern sein⁶⁾. Sich sehnen⁷⁾. — Begierde⁸⁾. Sucht⁹⁾. Gier¹⁰⁾. Verlangen¹¹⁾. Wunsch¹²⁾. Lust¹³⁾. Gelüst¹⁴⁾. Lüsternheit¹⁵⁾. Sehnsucht¹⁶⁾.

1) To crave.
2) Desire, long.
3) Wish.
4) To have a mind or an inclination for.
5) Covet.
6) To lust after.
7) To long for. —8) Desire, appetite.
9) Passion. 10) Greediness. 11) A desire (after). 12) Wish. 13) Mind,inclination. 14) Covetousness, concupiscence. 15) Lust. 16) Longing.
1) Convolter (désirer vivement).
2) Désirer.
3) Souhaiter.
4) Avoir envie.
5) Être tenté (avoir envie).
6) Vouloir avec convoitise.
7) Soupirer après.
8) Désir impatient.
9) Manie (passion). 10) Avidité.
11) Désir.
12) Souhait.
13) Envie (volenté).
14) Concupiscence.
15) Convoitise (grand désir).
16) Désir ardent.
1) Appetire.
2) Desiderare.
3) Bramare.
4) Aver voglia.
5) Invogliarsi.
6) Esser cupido (invogliato).
7) Desiderare vivamente.
6) Appetite (cupidigio).
9) Passione.
10) Avidità.
11) Desiderio.
12) Brama.
13) Voglia.
14) Concupiscenza.
15) Gran bramosia.
16) Desiderio intenso.

Begehren drückt das Bestreben aus, eine Vorstellung zu verwirklichen und ist insofern mit wollen gleichbedeutend; doch ist es dadurch von ihm unterschieden, daß bei begehren dies Bestreben immer mit einer Erregtheit des Gemüts verbunden ist. Verlangen enthält neben dem Begriff des aus subjektiven oder objektiven Gründen hergeleiteten Anspruchs, den jemand auf eine Sache oder die Erfüllung seines Willens hat oder zu haben glaubt, noch den, daß das Objekt des Verlangens ein der Zeit und dem Raume nach entfernteres ist (gleichsam etwas, wonach man langen muß). Man sagt: Der Kranke bezeigt ein großes Verlangen, ein Glas Wein zu trinken; man brachte ihm eins, und als man es ihm an den Mund setzte, trank er es mit vieler Begierde oder begierig hinunter. Wünschen unterscheidet sich von begehren dadurch, daß der, welcher etwas begehrt, die Verwirklichung einer Vorstellung für möglich hält und nach derselben strebt, derjenige aber, der etwas wünscht, in Ungewißheit ist, ob er das Gewünschte erlangen werde, und auch die Befriedigung seiner Wünsche gar nicht anstrebt, weil diese gewöhnlich außer dem Bereiche seiner Macht liegt. Wenn ich sage: Ich wünsche Italien zu sehen, so drücke ich damit zwar das Begehren aus, mich in jenem Lande zu befinden, und daß die Verwirklichung dieser Vorstellung mir lieb sein würde; doch lasse ich es unentschieden, ob dies Begehren je werde in Erfüllung gehen können. Stelle ich mir nun etwa die Schwierigkeiten vor, die sich ihm entgegensetzen, so kann ich allerdings hinzufügen: Aber es ist ein bloßer Wunsch, von dem ich wohl weiß, daß er nicht befriedigt werden kann, dessen Befriedigung ich auch weit entfernt bin, ernstlich zu begehren. Um etwas ernstlich zu wollen, muß man die Ausführung seines Willens für möglich halten. Sehe ich aber ein, daß sie unmöglich ist, so kann ich sie bei gesundem Verstände zwar nicht mehr im Ernste wollen; ich kann aber die Sache immer noch wünschen. Ich kann wünschen, die Jahre meiner Jugend nützlicher angewendet zu haben; ich kann es aber nicht im Ernste wollen und verlangen; denn es ist schlechterdings unmöglich, daß geschehene Dinge können ungeschehen gemacht werden. „Nicht alles Wünschenswerte ist erreichbar.“ Goethe, Spr. i. Pr. 1017. „Wir sind nie entfernter von unsern Wünschen, als wenn wir uns einbilden, das Gewünschte zu besitzen.“ Ebenda 386. „Du willst ja nicht verlangen, was er dir | nicht gern gewähren mag.“ Goethe, Tasso IV, 4. „Du scheinest mir in diesem Augenblick | für gut zu halten, was du eifrig wünschest, | und willst im Augenblick, was du begehrest.“ Ebenda.

Sucht, was ursprünglich Krankheit, und besonders gefährliche Krankheit bedeutet (das Wort ist ein Verbalsubstantiv zu got. siukan, krank sein, verwandt mit siech, Seuche, vgl. Schwindsucht u. dgl.; das neuhochdeutsche Sprachgefühl bringt das Wort fälschlich in vielen Fällen mit suchen in Verbindung, daher sagt man: Sucht nach etwas wie man sagt: nach etwas suchen), bezeichnet einen krankhaften Zustand des Begehrungsvermögens, insofern man die Kraft verloren hat, einer Begierde Grenzen zu setzen. Begierde bezeichnet daher auch mehr eine einzelne Äußerung des Begehrens, Sucht dagegen bezieht sich auf den ganzen Zustand des Menschen; jene läßt noch anderen Motiven des Handelns Raum, während diese alle verschlingt und sie darauf richtet, den Gegenstand des Begehrens wirklich zu machen; daher Begierde auch in gutem, Sucht dagegen nur in tadelndem Sinne gebraucht wird, indem das, was anfangs als Begierde sich zeigte, allmählich in eine Sucht ausarten kann. „So war auch ich von aller Phantasie | von jeder Sucht, von jedem falschen Triebe | mit einem Blick in deinen Blick geheilt. | Wenn unerfahren die Begierde sich | nach tausend Gegenständen sonst verlor, | trat ich beschämt zuerst in mich zurück | und lernte nun das Wünschenswerte kennen.“ Goethe, Tasso II, 1. Gier bezeichnet den höchsten Grad der Heftigkeit einer sinnlichen Begierde, der sich auch dann nicht erschöpft, wenn man in den Besitz des begehrten Gegenstandes gesetzt ist. Sucht hebt besonders den krankhaften Zustand der Seele, Gier aber die Unersättlichkeit hervor, mit der die Leidenschaft sich äußert. „Mir weint das Blut vom Herzen, denk’ ich mir | in Einbildungen die verwirrten Tage, — wenn nichts mehr die unbänd’ge Wüstheit zügelt, | wenn Gier und heißes Blut ihm Räte sind.“ Shakespeare von Schlegel. —

In Lust zu etwas haben ist die Bedeutung, die man jetzt mit Lust (— angenehme Empfindung sinnlicher oder geistiger Art) verbindet, herrschend, und es kann also dieser Ausdruck nur in den Fällen gebraucht werden, wo wir aus reinem oder wenigstens überwiegendem Vergnügen an einer Sache unsere Beteiligung an derselben begehren. Es kann jemand etwas beschließen, wozu er gar keine Lust hat. Mancher wird, obgleich er keine Lust zum Soldatenstande hat, Soldat und verlangt eine Offizierstelle, bloß weil er darin sein Glück zu machen hofft, nicht weil ihm dieser Stand selbst der glücklichste scheint. Ich kann auch etwas Vergangenes wünschen, aber ich kann nicht zu etwas Vergangenem Lust haben. Sich gelüsten lassen ist ein heftiges, starkes Verlangen nach etwas Sinnlichem und entsteht aus einer lebhaften Erregtheit der Sinne. Wen nach einer Speise gelüstet, dem läuft das Wasser im Munde zusammen, und das ist ein Zeichen einer starken sinnlichen Erregung, die uns der Genuß selbst schon in der Einbildungskraft verursacht. Daher wird es auch vom verbotenen Verlangen gebraucht, z. B. „Ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Laß dich nicht gelüsten.“ Rom. 7, 7. — Lüstern sein bezeichnet ein fortdauerndes und immer wiederkehrendes Gelüsten. „Lüsternheit ist ein Spiel mit dem zu Genießenden und mit dem Genossenen.“ Goethe, Spr. i. Pr. 653. Lüstern kann auch das genannt werden, was Lüsternheit erregt, z. B. eine lüsterne Erzählung, Szene usw.

Sich sehnen bezeichnet ein mit krankhafter Aufregung verbundenes Verlangen nach einem Gegenstande, dessen Besitz, oder nach einem Zustande, dessen Gewährung wir zu unserm Wohle dringend notwendig glauben. Den fortdauernden Zustand eines solchen Verlangens bezeichnet Sehnsucht. Sehnsucht ist aber vom Verlangen dadurch unterschieden, daß das Verlangen mit Hoffnung und oft mit der Hoffnung einer sehr nahen Befriedigung verbunden ist, deshalb also eine Aussicht auf Vergnügen und Genuß hat, die Sehnsucht aber hoffnungslos verlangt, wenigstens durch die Ungewißheit und das Verziehen ihrer Befriedigung die Schmerzen der Entbehrung eines geliebten Gegenstandes empfindet. Man vergleiche Schillers Gedicht: Sehnsucht, desgl. Goethes: „Nur, wer die Sehnsucht kennt, | weiß, was ich leide.“ Eben darum sagt sich sehnen mehr als verlangen. Wer zu einem Freunde sagt: Ich habe mich recht nach Ihnen gesehnt, drückt sich stärker aus, als wer bloß sagt: Ich habe recht nach Ihnen verlangt. Sinnlicher faßt die moderne Dichtung den Begriff Sehnsucht, z. B. „Drum heimlich, machs heimlich, um Gotteswillen, willst du dir eine Sehnsucht stillen.“ Detlev von Liliencron, Mach es auch so. (Bunte Beute, 4. Aufl. S. 61.) Wir müssen uns in unserm Wollen und Begehren von der Vernunft leiten lassen, nichts mit Ungeduld verlangen, unsere Wünsche beschränken, nicht alles tun, wozu wir Lust haben, nach nichts Verbotenem uns gelüsten lassen, unsere Lüsternheit unterdrücken und unsere Sehnsucht mäßigen, um uns nicht durch vergeblichen Kummer zu verzehren, alle Heiterkeit des Gemütes zu verlieren und wohl gar unserer Gesundheit zu schaden.