Sigmund Freud
(1856-1939)
Aus Sigmund Freud „Selbstdarstellung“
Ich bin am 6. Mai 1856 zu Freiberg in Mähren geboren, einem kleinen Städtchen der heutigen Tschechoslowakei. Meine Eltern waren Juden, auch ich bin Jude geblieben. Von meiner väterlichen Familie glaube ich zu wissen, daß sie lange Zeiten am Rhein (in Köln) gelebt hat, aus Anlaß einer Judenverfolgung im vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert nach dem Osten floh und im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts die Rückwanderung von Litauen über Galizien nach dem deutschen Österreich antrat. Als Kind von vier Jahren kam ich nach Wien, wo ich alle Schulen durchmachte. Auf dem Gymnasium war ich durch sieben Jahre Primus, hatte eine bevorzugte Stellung, wurde kaum je geprüft. Obwohl wir in sehr beengten Verhältnissen lebten, verlangte mein Vater, daß ich in der Berufswahl nur meinen Neigungen folgen sollte. Eine besondere Vorliebe für die Stellung und Tätigkeit des Arztes habe ich in jenen Jugendjahren nicht verspürt, übrigens auch später nicht. Eher bewegte mich eine Art von Wißbegierde, die sich aber mehr auf menschliche Verhältnisse als auf natürliche Objekte bezog und auch den Wert der Beobachtung als eines Hauptmittels zu ihrer Befriedigung nicht erkannt hatte. Frühzeitige Vertiefung in die biblische Geschichte, kaum daß ich die Kunst des Lesens erlernt hatte, hat, wie ich viel später erkannte, die Richtung meines Interesses nachhaltig bestimmt. Unter dem mächtigen Einfluß einer Freundschaft mit einem etwas älteren Gymnasialkollegen, der nachher als Politiker bekannt wurde, wollte auch ich Jura studieren und mich sozial betätigen. Indes, die damals aktuelle Lehre Darwins zog mich mächtig an, weil sie eine außerordentliche Förderung des Weltverständnisses versprach, und ich weiß, daß der Vortrag von Goethes schönem Aufsatz „Die Natur“ in einer populären Vorlesung von Prof. Carl Brühl kurz vor der Reifeprüfung die Entscheidung gab, daß ich Medizin inskribierte.
Die Universität, die ich 1873 bezog, brachte mir zunächst einige fühlbare Enttäuschungen. Vor allem traf mich die Zumutung, daß ich mich als minderwertig und nicht volkszugehörig fühlen sollte, weil ich Jude war. Das erstere lehnte ich mit aller Entschiedenheit ab. Ich habe nie begriffen, warum ich mich meiner Abkunft, oder wie man zu sagen begann: Rasse, schämen sollte. Auf die mir verweigerte Volksgemeinschaft verzichtete ich ohne viel Bedauern. Ich meinte, daß sich für einen eifrigen Mitarbeiter ein Plätzchen innerhalb des Rahmens des Menschtums auch ohne solche Einreihung finden müsse. Aber eine für später wichtige Folge dieser ersten Eindrücke von der Universität war, daß ich so frühzeitig mit dem Lose vertraut wurde, in der Opposition zu stehen und von der „kompakten Majorität“ in Bann getan zu werden. Eine gewisse Unabhängigkeit des Urteils wurde so vorbereitet.
Außerdem mußte ich in den ersten Universitätsjahren die Erfahrung machen, daß Eigenheit und Enge meiner Begabungen mir in mehreren wissenschaftlichen Fächern, auf die ich mich in jugendlichem Übereifer gestürzt hatte, jeden Erfolg versagten. Ich lernte so die Wahrheit der Mahnung Mephistos erkennen:
Vergebens, daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann.
Schriften von Sigmund Freud
- Die Traumdeutung (1900)
- Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909)
- Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als „Angstneurose“ abzutrennen (1913)
- Das Unbewußte (1915)
- Jenseits des Lustprinzips (1920)
- Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921)
- Das Ich und das Es (1923)
- Die Zukunft einer Illusion (1927)
- Das Unbehagen in der Kultur (1930)
- Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung (1914)
- Kurzer Abriss der Psychoanalyse (1924)
- „Selbstdarstellung“ (1925)
- Die Freudsche psychoanalytische Methode (1904)
- Zwangshandlungen und Religionsübungen (1907)
- Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908)
- Charakter und Analerotik (1908)
- Der Familienroman der Neurotiker (1909)
- Allgemeines über den hysterischen Anfall (1909)
- Über „wilde“ Psychoanalyse (1910)
- Über den Gegensinn der Urworte (1910)
- Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911)
- Über neurotische Erkrankungstypen (1912)
- Die Handhabung der Traumdeutung in der Psychoanalyse (1911)
- Zur Dynamik der Übertragung (1912)
- Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung (1912)
- Zwei Kinderlügen (1913)
- Die Disposition zur Zwangsneurose (1913)
- Das Motiv der Kästchenwahl (1913)
- Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (1914)
- Zur Psychologie des Gymnasiasten (1914)
- Mitteilung eines der psychoanalytischen Theorie widersprechenden Falles von Paranoia (1915)
- Die Verdrängung (1915)
- Zeitgemässes über Krieg und Tod (1915)
- Vergänglichkeit (1916)
- Mythologische Parallele zu einer plastischen Zwangsvorstellung (1916)
- Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik (1917)
- Trauer und Melancholie (1917)
- Eine Kindheitserinnerung aus „Dichtung und Wahrheit“ (1917)
- Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität (1922)
- Die infantile Genitalorganisation (1923)
- Der Realitätsverlust bei Neurose und Psychose (1924)
- Das ökonomische Problem des Masochismus (1924)
- Neurose und Psychose (1924)
- Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924)
- Notiz über den „Wunderblock“ (1925)
- Die Verneinung (1925)
- Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds (1925)
- Die Widerstände gegen die Psychoanalyse(1925)
- Fetischismus (1927)
- Der Humor 〈1927〉
- Dostojewski und die Vatertötung (1928)
- Über libidinöse Typen (1931)
- Über die weibliche Sexualität (1931)
- Das Fakultätsgutachten im Prozess Halsmann (1931)
- Die Ichspaltung im Abwehrvorgang (1940)