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Edgar Allan Poe

(1809-1849)

»Mannigfach sind Trübsal und Not. Unglück und Gram sind vielgestaltig auf Erden. Gleich dem Regenbogen spannt sich das Unglück von Horizont zu Horizont, und gleich den Farben des Regenbogens sind seine Farben vielfältig und scharf abgegrenzt und dennoch innig miteinander verwoben. Wie kommt es, daß Schönheit mir zum Kummer wurde, daß selbst aus Friedsamkeit ich nur Gram zu schöpfen wußte? Doch wie die Ethik lehrt, daß das Böse eine Konsequenz des Guten sei, so lehrt uns das Leben, daß die Freude die Trauer gebiert. Entweder ist die Erinnerung vergangener Seligkeit die Pein unseres gegenwärtigen Seins, oder die Qualen, die sind, haben ihren Ursprung in den Wonnen, die gewesen sein könnten.«

Edgar Allan Poe, Berenice

Werke von Edgar Allan Poe

Über Edgar Allan Poe auf textlog.de

"Das dichterische Reich Edgar Poe’s liegt an der verschwommenen Grenze, wo die Konturen der Wirklichkeit mit den Schatten der Phantasie zusammenfließen. Sein eigenstes Wesen offenbart er, wenn er, von den geheimen Kundge­bungen der Natur ausgehend, zwischen ihr und der Menschen­seele Fäden spinnt, an denen er die ewigen Räthsel an das Tageslicht der Wahrnehmung ziehen möchte. Und woran ließen sich die Uebergriffe der über­sinnlichen in die Erfahrungs­welt wohl besser knüpfen, als an die schaurig erhabenste, geheimniß­vollste, unabweis­lichste aller Erscheinungs­formen – das irdische Vergehen? Hier schafft er sich ein breites, dunkles Feld, durch dessen aufgelockerte Schollen er verwegene Blicke in den heimlich wirkenden Schooß wirft, auf dieser Verbindungs­brücke zwischen Hier und Dort späht er nach dem Ineinander­greifen der beiden Welten, hier stellt er die intimsten Wechsel­beziehungen zwischen Individuum und Natur her und verbreitet darüber die beklemmende Atmosphäre des tragischen Schauders, jenen finstern, aber unleugbaren Zauber, der das Geheimniß seiner dichterischen Gewalt in sich trägt."

"Vor wenigen Monaten hat sich in der Bibliothek Pierpont Morgan ein unbekanntes Manuskript von Poe gefunden. Es ist das Jugend­drama Politian, das damit im Entwürfe, über den es nie hinaus­gedeihen sollte, vorliegt. Von zwölf ausgeführten Szenen ist nur die letzte, abschließende verloren. An sich selbst ist diese Szenenfolge ohne Interesse – unendlich merkwürdig dagegen als erstes schatten­haftes Gestalt­werden eines Genius. Noch sind die Kräfte allzu schwach, die ihn beschwören. Desto erstaunlicher, wie er hie und da vorüber­gehend Gestalt gewinnt, um sofort in nichts zu zergehen. Selbst in mißratenen Jugend­werken der Großen erkennt der tiefere Blick nicht selten später gleichsam die ungestalte, die konkave Innenseite einer Prägung, der scharf das souveräne Medaillon des kommenden Meister­werkes entspricht. So könnten im Politian die komischen Szenen mißglückter nicht sein, jedoch was hier gegorne säuerliche Komik ist, wird in den reifen Werken ätzendste Ironie. Wo die Form dem Dichter noch nicht gehorcht, ist eben dennoch die Inspiration schon die des Meisters."