Zum Hauptinhalt springen

Johann Wolfgang von Goethe

(1749-1832)

Goethe in Eislers Philosophen-Lexikon

Goethe, 1749-1832, ist zwar kein „Fach-Philosoph“, durch seine Äußerungen über philosophische Ideen aber doch auch für die Philosophiegeschichte höchst beachtenswert. Beeinflußt ist er zum Teil von Spinoza, er nähert sich aber auch in manchem Giordano Bruno u. a. (z.B. Paracelsus, Leibniz, Lessing, Herder). In Betracht kommen besonders die „Sprüche in Prosa“, „Psychisches“, die „Farbenlehre“, „Metamorphose der Pflanzen“, Aufsätze wie: „Die Natur“, „Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt“, „Einwirkung der neueren Philosophie“, „Anschauende Urteilskraft“, „Bedenken und Ergebung“ u. a. Vgl. WW., Hempel; Eckermanns Gespräche mit Goethe.

Goethes Weltanschauung ist monistisch, pantheistisch (bezw. panentheistisch), organisch: Geist und Materie sind an sich eins, alles Körperliche ist beseelt, alles Seelische tritt in materieller Form auf. Betreffs Goethes Definition des Schönen vgl. den Art. „Hemsterhuis“.

Erkenntnistheoretisch betrachtet ist Goethes Denken „gegenständlich“ und allein eigentlichen Subjektivismus abgeneigt. Wir erkennen nach Goethe zwar nicht das göttliche Unendliche als solches, wohl aber seine Manifestationen, also nicht bloß subjektive Erscheinungen. Kant, von dem Goethe manchen Einfluß empfangen hat und mit dessen „Kritik der Urteilskraft“ er sehr sympathisiert (besonders mit der Lehre von der Zweckmäßigkeit ohne äußeren Zweck), kommt „nie zum Objekt.“, Goethe hingegen will überall die „Urphänomene“ der Dinge erfassen. Freilich betont er wieder, daß wir gar nicht wissen, wie anthropomorphistisch wir denken, daß wir von keiner Welt und Wahrheit als in bezug auf den Menschen wissen. Gedanklich geleitete und synthetisch vereinigte Erfahrung ist der Weg zu Erkenntnis der Dinge („Rationeller Empirismus“). Die „höhere“ Erfahrung besteht aus mehreren anderen und stellt „die Formel dar, unter welcher unzählige einzelne Rechnungsexempel ausgedrückt werden“. Jeder Versuch hat seinen Wert erst durch Vereinigung und Verbindung mit anderen. Die „anschauende Urteilskraft“ geht auf das „Urbildliche, Typische“, sie erfaßt die Idee der Sache, die aber in der Erfahrung niemals völlig zur Darstellung gelangt. Wir müssen in der Erkenntnis zu den „Urphänomenen“ gelangen. – Den höheren Formen der Pflanzen und Tiere liegt ein „Urbild“ zugrunde. Eine „Metamorphose“ (Entwicklung) besteht, bedingt durch einen „Bildungstrieb und durch äußere Einflüsse“. Das Gesetz eines jeden Wesens bedingt dessen Werden, trotz aller äußeren Zufälligkeiten erhält sich der Typus und die Individualität bei aller Entfaltung.

Gott und Natur sind einander immanent („Gott in der Natur, die Natur in Gott“). „Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße.“ „Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen, Natur in sich, sich in Natur zu hegen.“ Die Natur ist „der Gottheit lebendiges Kleid“. Wirksam ist die Gottheit nur im lebendigen, sie ist im Werdenden und sich Verwandelnden, nicht im Gewordenen und Erstarrten. Gott ist die Allvernunft, der uns durchdringende Weltgeist. Alle Dinge sind im Unendlichen, ohne Teile desselben zu sein. Gott ist die Weltseele, die ewig in allem sich regt und in der doch auch alles Drängen, Ringen, Werden ewige Ruhe, ewiges Sein ist. Die Natur wirkt „nach ewigen, notwendigen, göttlichen Gesetzen“. Die Natur umfaßt alles, wir können nicht aus ihr heraus. Sie schafft ewig neue Gestalten, alles ist neu und doch immer das Alte. Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. „Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr, und doch rückt sie nicht weiter. Sie verwandelt sich ewig und ist kein Moment Stillestehen in ihr.“ „Alles ist ihre Schuld, alles ihr Verdienst.“ Überall gibt es in der Natur „Polarität“ und „Steigerung“ (wie nach Schelling) und die Materie ist beseelt (Hylozoismus). „Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, sowie sich’s der Geist nicht nehmen läßt, anzuziehen und abzustoßen.“ Geist und Materie, Wille und Bewegung sind die „notwendigen Doppelingredienzien des Universums“ (Identitätstheorie). Die Welt ist eine in „Monaden“ oder „Entelechien“ („Seelen“) gegliederte Einheit; diese Elemente sind alle unzerstörbar (wie nach Bruno, Leibniz). Die Monaden scheiden nur aus den alten Verhältnissen, um auf der Stelle wieder neue einzugehen (vgl. Herder). „Bei diesem Wechsel kommt alles darauf an, wie mächtig die Intention sei, die in dieser oder jener Monas enthalten ist.“ Unverwüstlich ist in allem der Lebenstrieb. „Kein Wesen kann zu nichts zerfallen.“ „Die Überzeugung von unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriffe der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht mehr auszuhalten vermag.“

Vgl. K. VORLÄNDER, Goethes Verhältnis am Kant, Kantstudien I – III. – H. SIEBECK, Goethe als Denker, 1902; 2. A. 1905 (Frommans Klassiker d. Philos.). – M. HEYNACHER, Goethes Philosophie aus seinen Werken, 1905 (Philos. Bibl.). – H. ST. CHAMBERLAIN, J. Kant, 1906.

(Aus: Rudolf Eisler (1876-1927): Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker, 1912)