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Heinrich Heine

(1797-1856)

„Selbst entschiedenste Gegner unter den deutschen Staatsmännern haben mir wissen lassen, daß die Strenge des erwähnten Bundestagsbeschlusses nicht den ganzen Schriftsteller treffen sollte, sondern nur den politischen und religiösen Teil desselben, der poetische Teil desselben dürfe sich unverhindert aussprechen, in Gedichten, Dramen, Novellen, in jenen schönen Spielen der Phantasie, für welche ich soviel Genie besitze … Ich könnte fast auf den Gedanken geraten, man wolle mir einen Dienst leisten und mich zwingen, meine Talente nicht für undankbare Themata zu vergeuden … In der Tat, sie waren sehr undankbar, haben mir nichts als Verdruß und Verfolgung zugezogen … Gottlob! ich werde mit Gendarmen auf den besseren Weg geleitet, und bald werde ich bei euch sein, ihr Kinder der schwäbischen Schule, und wenn ich nicht auf der Reise den Schnupfen bekomme, so sollt ihr euch freuen, wie fein meine Stimme, wenn ich mit euch das schöne Wetter besinge, die Frühlingssonne, die Maienwonne, die Gelbveiglein, die Quetschenbäume.“

Heinrich Heine, Über den Denunzianten

Heines Autobiographische Skizze

Autobiographische Skizze

(1835)

An Pilarète Chasles

Paris, den 11. Januar 1835.

Soeben empfing ich das Schreiben, mit dem Sie mich beehrt haben, und ich beeile mich, die gewünschte Auskunft zu geben.

Ich bin geboren im Jahre 1800 zu Düsseldorf, einer Stadt am Rhein, die von 1806-1814 von den Franzosen okkupiert war, so daß ich schon in meiner Kindheit die Luft Frankreichs eingeatmet. Meine erste Ausbildung erhielt ich im Franziskanerkloster zu Düsseldorf. Späterhin besuchte ich das Gymnasium dieser Stadt, welches damals „Lyzeum“ hieß. Ich machte dort alle die Klassen durch, wo Humaniora gelehrt wurden, und ich mich in der oberen Klasse ausgezeichnet, wo der Rektor Schallmeyer Philosophie, der Professor Brewer Mathematik, der Abbé Daulnoie die französische Rhetorik und Dichtkunst lehrte, und Professor Kramer die klassischen Dichter explizierte. Diese Männer leben noch jetzt, mit Ausnahme des ersteren, eines katholischen Priesters, der sich meiner ganz besonders annahm, wahrscheinlich des Bruders meiner Mutter, des Hofrats von Geldern wegen, der sein Universitätsfreund war, und auch, wie ich glaube, meines Großvaters wegen, des Doktors von Geldern, eines berühmten Arztes, der ihm das Leben gerettet.

Mein Vater war Kaufmann und ziemlich vermögend; er ist tot. Meine Mutter, eine treffliche Frau, lebt noch jetzt, zurückgezogen von der großen Welt. Ich habe eine Schwester, Frau Charlotte von Embden, und zwei Brüder, von welchen der eine, Gustav von Geldern (er hat den Namen der Mutter angenommen), Dragoneroffizier in Diensten Sr. Majestät des Kaisers von Östreich ist; der andere, Dr. Maximilian Heine, ist Arzt in der russischen Armee, mit welcher er den Übergang über den Balkan gemacht.

Meine, durch romantische Launen, durch Etablissementsversuche, durch Liebe und durch andre Krankheiten unterbrochenen Studien wurden seit dem Jahre 1819 zu Bonn, zu Göttingen und zu Berlin fortgesetzt. Ich habe viertehalb Jahre in Berlin gelebt, wo ich mit den ausgezeichnetsten Gelehrten auf freundschaftlichem Fuße stand, und wo ich von Krankheiten aller Art, unter andern von einem Degenstich in die Lenden heimgesucht worden bin, den mir ein gewisser Scheller aus Danzig beigebracht, dessen Namen ich nie vergessen werde, weil er der einzige Mensch ist, der es verstanden hat, mich aufs empfindlichste zu verwunden.

Ich habe sieben Jahre lang auf den obengenannten Universitäten studiert, und zu Göttingen war es, wo ich, dorthin zurückgekehrt, den Grad als Doktor der Rechte nach einem Privatexamen und einer öffentlichen Disputation erhielt, bei welcher der berühmte Hugo, damals Dekan der juristischen Fakultät, mir auch nicht die kleinste scholastische Formalität erließ. Obgleich dieser letztere Umstand Ihnen sehr geringfügig erscheinen mag, bitte ich Sie doch, davon Notiz zu nehmen, weil man in einem wider mich geschriebenen Buche die Behauptung aufgestellt hat, ich hätte mir mein akademisches Diplom nur erkauft. Unter all' den Lügen, die man über mein Privatleben hat drucken lassen, ist dies die einzige, die ich niederschlagen möchte. Da sehen Sie den Gelehrtenstolz! Man sage von mir, ich sei ein Bastard, ein Henkerssohn, ein Straßenräuber, ein Atheist, ein schlechter Poet – ich lache darüber; aber es zerreißt mir das Herz, meine Doktorwürde bestritten zu sehen! (Unter uns gesagt, obgleich ich Doktor der Rechte bin, ist die Jurisprudenz grade die Wissenschaft, von welcher ich unter allen am wenigsten weiß.)

Von meinem sechzehnten Jahre an habe ich Verse gemacht. Meine ersten Poesien wurden im Jahre 1821 zu Berlin gedruckt. Zwei Jahre später gab ich neue Gedichte nebst zwei Tragödien heraus. Die eine der letzteren ward zu Braunschweig, der Hauptstadt des gleichnamigen Herzogtums, aufgeführt und ausgepfiffen. Im Jahre 1826 erschien der erste Band der „Reisebilder“; die drei andern Bände kamen einige Jahre später bei den Herren Hoffmann und Campe heraus, welche noch immer meine Verleger sind. Während der Jahre 1826–1831 habe ich abwechselnd zu Lüneburg, zu Hamburg und zu München gelebt, wo ich mit meinem Freunde Lindner die „Politischen Annalen“ herausgab. Seit zwölf Jahren habe ich die Herbstmonate stets am Meeresufer zugebracht, gewöhnlich auf einer der kleinen Inseln der Nordsee. Ich liebe das Meer wie eine Geliebte, und ich habe seine Schönheit und seine Launen besungen. Diese Dichtungen befinden sich in der deutschen Ausgabe der „Reisebilder“; in der französischen Ausgabe habe ich sie weggelassen sowie auch den polemischen Teil, der sich auf den Geburtsadel, auf die Teutomanen und auf die katholische Propaganda bezieht. Was den Adel betrifft, so habe ich diesen noch in der Vorrede zu den „Briefen von Kahldorf“ besprochen, die nicht von mir verfaßt sind, wie das deutsche Publikum irrtümlich glaubt. Was die Teutomanen, diese deutschen alten Weiber (ces vieilles Allemagnes), betrifft, deren Patriotismus nur in einem blinden Hasse gegen Frankreich bestand, so habe ich sie in all’ meinen Schriften mit Erbitterung verfolgt. Es ist dies eine Animosität, die noch von der Burschenschaft her datiert, zu welcher ich gehörte. Ich habe zur selben Zeit die katholische Propaganda, die Jesuiten Deutschlands, bekämpft, sowohl um Verleumder zu züchtigen, die mich zuerst angegriffen, als um einem protestantischen Sinne zu genügen. Dieser mag mich freilich bisweilen zu weit fortgerissen haben, denn der Protestantismus war mir nicht bloß eine liberale Religion, sondern auch der Ausgangspunkt der deutschen Revolution, und ich gehörte der lutherischen Konfession nicht nur durch den Taufakt an, sondern auch durch eine Kampfeslust, die mich an den Schlachten dieser Ecclesia militans teilnehmen ließ. Aber während ich die sozialen Interessen des Protestantismus verteidigte, habe ich aus meinen pantheistischen Sympathien niemals ein Hehl gemacht. Deshalb bin ich des Atheismus beschuldigt worden. Schlecht unterrichtete oder böswillige Landsleute haben schon lange das Gerücht verbreitet, ich hätte den saintsimonistischen Rock angezogen; andere beehrten mich mit dem Judentum. Es tut mir leid, daß ich nicht immer in der Lage bin, dergleichen Liebesdienste zu vergelten.

Ich habe nie geraucht; ebensowenig bin ich ein Freund des Bieres, und erst in Frankreich habe ich zum erstenmal Sauerkraut gegessen. In der Literatur habe ich mich in allem versucht. Ich habe lyrische, epische und dramatische Gedichte verfaßt; ich habe über Kunst, über Philosophie, über Theologie, über Politik geschrieben … Gott verzeih’s! Seit zwölf Jahren bin ich in Deutschland besprochen worden; man lobt mich oder man tadelt mich, aber stets mit Leidenschaft und ohne Ende. Da haßt, da verabscheut, da vergöttert, da beleidigt man mich. Seit dem Monat Mai 1831 lebe ich in Frankreich. Seit fast vier Jahren habe ich keine deutsche Nachtigall gehört.

Aber genug! ich werde traurig. Wenn Sie noch andere Auskunft wünschen, will ich sie Ihnen mit Vergnügen erteilen. Ich sehe es immer gern, wenn Sie mich selbst darum angehen. Reden Sie gut von mir, reden Sie gut von Ihrem Nächsten, wie das Evangelium es gebeut, und genehmigen Sie die Versicherung der ausgezeichneten Hochachtung, mit welcher ich bin, etc.

Heinrich Heine.

Werke von Heinrich Heine


Über Heinrich Heine auf textlog.de

„Das Genre [der Lyrik] ist nicht groß. Daher denn auch alle Kritiker, die uns in die Finger bekommen, jeden, aber auch ausnahmslos jeden von uns mit Heine vergleichen. Das stimmt, für die Art – das stimmt gar nicht, im Größenverhältnis. Man tut Herrn Kästner oder Herrn Tiger auch keinen Gefallen damit. Denn es ist nicht mal ein Kompliment, sie mit Heine zu vergleichen – es ist einfach ein Zeichen literarischer Unbildung. Herr Kästner und Herr Tiger sind Talente: Heinrich Heine aber ist ein Jahrhundertkerl gewesen. Einer, dessen Liebes-Lyrik – mit Ausnahme der letzten Lieder – dahin ist; aber einer, der das Schwert und die Flamme gewesen ist, eine Flamme, die bis zu Nietzsche hinaufloderte. Wie schwach entwickelt muß der Bänkelsang bei den Deutschen sein, dass sie die Gesellen mit dem Meister vergleichen, der den Schmerz und die Todesahnung, die Wut und den Haß, die Liebe zur Heimat und den Abscheu vor dem Vaterland in Versen gesagt hat, die wie Flaumfedern flogen und wie schwere Minen einschlugen – nein, wie Verse! Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.“

„Heinrich Heine, der Dichter, lebt nur als eine konservierte Jugendliebe. Keine ist revisionsbedürftiger als diese. Die Jugend nimmt alles auf und nachher ist es grausam, ihr vieles wieder abzunehmen. Wie leicht empfängt die Seele der Jugend, wie leicht verknüpft sie das Leichte und Lose: wie wertlos muß eine Sache sein, damit ihr Eindruck nicht wertvoll werde durch Zeit und Umstand, da er erworben ward! Man ist nicht kritisch, sondern pietätvoll, wenn man Heine liebt. Man ist nicht kritisch, sondern pietätlos, wenn man dem mit Heine Erwachsenen seinen Heine ausreden will. Ein Angriff auf Heine ist ein Eingriff in jedermanns Privatleben. Er verletzt die Pietät vor der Jugend, den Respekt vor dem Knabenalter, die Ehrfurcht vor der Kindheit. Die erstgebornen Eindrücke nach ihrer Würdigkeit messen wollen, ist mehr als vermessen. Und Heine hatte das Talent, von den jungen Seelen empfangen und darum mit den jungen Erlebnissen assoziiert zu werden. …“