Ausbildung. (Schöne Künste) Unter dieser Benennung begreifen wir die Bearbeitung eines Gegenstandes der Kunst, wodurch er die zufälligen Schönheiten bekommt, die ihn eigentlich zum ästhetischen Gegenstand machen. Indem der Künstler einen Gegenstand ausbildet, tut er das daran, was der Juwelierer an dem Diamant tut, den er schleift und fasst. Ohne diese Arbeit gehört der kostbare Stein bloß zum Reichtum; durch sie wird er erst zum Juweel. So kann ein Gedanke, der wegen seiner Wahrheit einen Teil des philosophischen Reichtums ausmacht, durch die Ausbildung zu einem Werk der Kunst werden. Auf diese Weise ist mancher Gedanken unter den Händen des Horaz und durch seine Ausbildung zur Ode geworden.1 Selbst die Epopee kann einigermaßen als eine durch den Dichter ausgebildete Geschichte angesehen werden. Der Künstler ist in den meisten Fällen nichts anders als einer, der gemeine Gegenstände durch Ausbildung zu Gegenständen der Kunst macht; seine meiste Arbeit ist also Ausbildung. Doch ist sie auch nicht allezeit nötig.
Es gibt Gegenstände, die schon in ihrer Natur betrachtet, ohne die Bearbeitung des Künstlers, nach ihrer Art hinlängliche ästhetische Kraft haben, folglich der Ausbildung so wenig bedürfen, dass sie ihnen vielmehr schädlich wäre. Der Portraitmaler, der ein Gesicht von vorzüglicher Schönheit gemalt hat, wird sich sehr hüten, seinem Gemälde irgend einige zufällige Schönheiten einzumischen. Aus eben dem Grunde hat van Dyk, der in seinen Köpfen die Wahrheit der Natur in einem hohen Grad erreicht hat, sich meistenteils der Ausbildungen enthalten. Seine Portraite haben ohne dieses genug Schönheiten um zu gefallen. Ein Maler von Nachdenken wird eine Geschichte, die an sich rührend ist, in der größten Einfalt darstellen, so wie der Dichter, der zum Trauerspiel eine in ihrer Einfalt rührende Fabel gewählt, sie ohne episodische Verzierung behandelt.
Die Ausbildung gehört unter diejenigen Arbeiten des Künstlers, die Verstand und ein scharfes Urteil erfordern. So schön immer eine Nebensache sein mag, so ist sie allemal von übler Wirkung, wenn sie da angebracht wird, wo sie nicht notwendig war. Der Wahlspruch eines alten Weltweisen: Nichts zu viel, soll der Wahlspruch jedes Künstlers sein. In den Werken der Kunst ist das, was nicht hilft, allemal schädlich. Es ist bei nahe das gewisseste Kennzeichen eines Künstlers vom ersten Rang, dass man keine unnötigen Ausbildungen bei ihm findet. Sie sind sparsamer bei Homer als bei Virgil; bei Sophokles als bei Euripides; bei Demosthenes als bei Cicero. Wenn irgend in der Ausübung der Kunst etwas ist, das bloß dem Verstand des Künstlers zu überlassen ist und wo Regeln unnütze sind, so ist es dieses. Verstand haben, ist die einzige Regel hierzu.
Indessen kann doch überhaupt dieses mit Gewissheit angemerkt werden, dass in Werken von gemäßigtem Inhalt die Ausbildungen eher statt haben als in solchen, wo die Kräfte auf das stärkste angespannt werden. Wer in gemäßigtem Affekte spricht, kann eher auf Ausbildung seines Gegenstandes denken als der von einer heftigen Leidenschaft hingerissen wird; wer mittelmäßige Gegenstände beschreibt, eher als der Große gewählt hat. Wer einen großen Mann nennt, braucht dazu nichts als seinen Namen; aber bei einem Namen von geringerm Gewichte steht ein vorteilhaftes Beiwort nicht übel.
Da die Ausbildung allemal auf eine Verstärkung der Vorstellung abzielt, so bezieht sie sich immer auf eine der drei Arten der ästhetischen Kraft, die Vorstellungskraft oder die Einbildungskraft oder die Begehrungskraft. Sehr angenehm sind überhaupt die Ausbildungen, deren Materie aus einer anderen Gattung hergenommen ist als die Hauptmaterie, zu deren Verschönerung sie dienen. So mischt Virgil in den Georgicis unter seine lehrende Materie, pathetische Auszierungen; Thomson in seinen Jahrszeiten moralische und pathetische Ausbildungen in seine Gemälde der leblosen Natur; Homer Nebensachen von sanftem Inhalt, als Verzierungen kriegerischer Szenen. Wir wollen die verschiedenen Beispiele von glücklichen Ausbildungen nach diesen drei Gattungen anführen.
Sieh Welten über dir, gezählt mit Millionen,
–– –– –– –– Der Raum und was er fasst, was heut und gestern hat;
Mensch, Engel, Körper, Geist; ist alles eine Stadt; Du bist ein Bürger auch. Sieh selber, wie geringe! Und gleichwohl machst du dich zum Mittelpunkt der
Dinge.2
Zu der Ausbildung, welche die Deutlichkeit vermehrt, gehören überhaupt alle Bilder, Vergleichungen und Gleichnisse, worüber es unnötig wäre, Beispiele anzuführen; folgendes kann statt aller dienen. Der eben angeführte Dichter will die Unermesslichkeit der Ewigkeit dem Verstand einigermaßen begreiflich machen. Er sagt: die Gedanken selbst, so schnell sie sind, können ihr Ende nicht erreichen; und diesem gibt er folgende Ausbildung.
Die schnellen Flügel der Gedanken, Wogegen Zeit und Schall und Wind,
Und selbst des Lichtes Flügel langsam sind, Ermüden über dir.
Eine andere Art der Ausbildung hat eine lebhaftere Ergreifung der Einbildungskraft zur Absicht. Es gibt eine große Mannigfaltigkeit der Mittel dieses zu bewirken. Wir wollen nur einiger, die am seltensten vorkommen, aber die glücklichste Wirkung tun, erwähnen.
Oft gibt ein einziger gering scheinender Umstand einer ganzen Vorstellung eine Sinnlichkeit, so gar ein Leben, das durch weitläufige Veranstaltungen nicht zu erreichen gewesen wäre. Dieses gehört unter die glücklichsten Ausbildungen. Häufige Beispiele davon treffen wir in der Ilias an. So ist der kleine Umstand, da der vom Diomedes verwundete Äneas auf die Knie sinkt, und sich auf seinen an die Erde gesetzten Arm auflehnet. Die drei oder vier Worte, die der Dichter hierzu braucht, geben dem Gemälde ein Leben, dass wir glauben, jetzt den verwundeten Helden wirklich vor uns zu sehen. Eine besonders große Kraft haben dergleichen kleine Umstände, wenn unter den Vorstellungen, die hauptsächlich einen der Sinne beschäftigen, unvermutet etwas vorkommt, das auf einen anderen Sinn wirkt. Darum lässt Homer, wenn das Auge vom Ansehen eines Kampfes gesättiget ist, allgemein auch das Ohr davon etwas empfinden. Man hat die Helden streiten gesehen; nun fällt der eine und durch das Gerassel seiner Waffen wird das Gehör gereizt, wodurch die ganze Vorstellung ein ungemeines Leben bekommt.
Eine sonderbar glückliche Ausbildung dieser Art ist in der Noachide, da, wo Og mit seinem Schiffe vor der Arche vorbei fährt. Die in der Arche eingeschlossenen Menschen unterhalten sich mit Gesprächen; der Leser glaubt mit ihnen, dass nun eine tötliche Stille über dem ganzen Erdboden verbreitet, und außer der Arche nichts lebendiges mehr übrig sei. Mitten in dieser Vorstellung vernimmt man außer der Arche das Bellen eines Hundes. Ein wunderbarer Umstand, der die Einbildungs-Kraft plötzlich in die größte Wirksamkeit setzt!
Das Kunststück, durch Rührung eines anderen Sinnes der Vorstellung mehr Leben zu geben, hat Poußin in seinem Gemälde, von der Krankheit der Philister, glücklich angebracht. Nachdem das Auge von dem Anschauen der toten und sterbenden Menschen hinlänglich gerührt worden, kommt man auf Gegenstände, die auch den Geruch angreiffen. Eine Ausbildung von großer Stärke.
Hierher gehören auch die Ausbildungen, da unter leblose Gegenstände, welche die Hauptvorstellung ausmachen als Nebensachen, empfindende Wesen eingemischt werden, wie in folgendem Gemälde:
Diffugere nives, redeunt iam gramina campis Arboribusque comae.
Mutat terra vices et decrescentia ripas Flumina praetereunt: Gratia cum Nymphis geminisque sororibus audet Ducere nuda choros.3
Durch häufige Ausbildungen dieser Art haben Thomson und Kleist ihre Gemälde der Natur ausgeschmückt. Am glücklichsten bedienen sich die Landschaftmaler dieser Art der Ausbildung. Nicht jede so genannte Staffirung der Landschaft mit Figuren gehört hierher, sondern nur die, wo durch eine oder ein Paar Figuren die Hauptvorstellung in ihrer Art mehr Stärke und Leben bekommt. Landschaften können, wie historische Gemälde, ihren sittlichen und pathetischen Charakter haben. Einen solchen Charakter durch eine oder ein Paar Figuren fühlbarer zu machen, gehört unter die glücklichen Ausbildungen der Malerei. In einsame Orte und mit Kleisten zu reden, in Schatten voller Empfindung, schicken sich vortrefflich Figuren, die in tiefer Betrachtung, heiliger oder verliebter Art, versenkt sind; so wie in offene und fruchtbare Gegenden, Figuren, die Freude und Fröhlichkeit athmen; und in fürchterliche, melancholische Gegenden Figuren, die Kummer und Schwermut zeigen.
Die wichtigsten und vielleicht die schwersten Ausbildungen sind die, wodurch pathetische Vorstel lungen verstärkt werden. In den Werken der Kunst zeigen sich die Leidenschaften auf eine doppelte Art. Entweder werden die Wirkungen und die Äußerungen derselben an Personen, die im Affekte sind, vorgestellt; oder der Künstler legt die Gegenstände, wodurch sie hervor gebracht werden, vor Augen.4 In beiden Fällen kann die Materie an sich selbst und so wie sie ohne alle Ausbildung sich der Vorstellungskraft darbietet, von hinlänglicher Stärke sein. In diesen Fällen muss sich der Künstler der Ausbildung enthalten. Was Cäsar in seinem Herzen empfunden hat als er den Brutus unter seinen Mördern erblickt, wird durch das einzige Wort: Auch du, mein Sohn! das ihm der Schmerz ausgepreßt hat, so stark ausgedrückt, dass alles, was zur Ausbildung dieser Leidenschaft könnte hinzu getan werden, die Sache nur schwächen würde. Der Künstler, der so glücklich ist, durch einen einzigen Zug eine heftige Leidenschaft in ihrer ganzen Stärke auszudrücken, muss sich aller fernern Ausbildungen derselben enthalten. So hat der alte Künstler, der den Laocoon gebildet, die Größe seines Leidens durch das sichtbare hinlänglich ausgedrückt und enthielte sich deswegen, das laute Schreien anzuzeigen. Die heftigsten Leidenschaften äußern sich nur auf eine ganz einfache Weise. So ist es auch mit den Gegenständen, durch welche die Leidenschaften erregt werden. Wenn sie in ihrer einfachsten Gestalt stark genug sind, so müssen sie weiter nicht ausgebildet werden. Agamemnon erweckte in dem berühmten Gemälde des Thimantus Mitleiden genug, ob er gleich mit bedecktem Angesicht bei dem Opfer seiner Tochter stande. Was konnte sein Gesicht mehr sagen als die bloße Vorstellung seiner Gegenwart schon sagt?
Die Leidenschaften von sanfterer Art, bei denen die Seele noch einige Freiheit behält, Traurigkeit und Zärtlichkeit, Fröhlichkeit, auch Liebe und Hass, wenn sie nicht bis zur Raserei gehen, vertragen die Ausbildung. Eben dieses ist von den Ursachen der Leidenschaften zu merken, die nur dann durch eine geschickte Ausbildung zu entwickeln sind, wenn sie nicht plötzlich durch heftige Schläge wirken.
Als ein vollkommenes Muster der Ausbildung einer zärtlich traurigen Szene, durch Entwicklung besonderer Umstände, kann der Auftritt in der Alcestis des Euripides empfohlen worden, wo sie von ihrem Gemahl, von ihren Kindern und von ihren Hausbedienten Abschied nimmt. Weil dieses nicht nur dem Dichter, sondern auch dem Maler für ähnliche Fälle in Ansehung der guten Wahl besonderer Umstände zum Muster dienen kann, so wird es nicht unnütze sein, dieses ganze vollkommen ausgebildete Gemälde hierher zu setzen.
»Als sie fühlte, dass der fatale Tag gekommen sei, badete sie ihren schönen Leib in reinem Flußwasser und zog sich danach festlich an. Denn trat sie vor den Heerd der Vesta und betete: O Göttin! da ich nun unter die Erde gehe, so höre meine letzte demütige Bitte; sei die Vormünderin meiner Waysen. Gieb dem eine zärtliche Gattin, dieser einen edelmütigen Gemahl; laß sie nicht, wie die, die sie geboren hat, vor der Zeit sterben; sondern ein langes und glückseliges Leben in vollem Wohlstande, in ihrem väterlichen Lande, vollenden.«
»Sie besuchte alle Altäre, so viel in dem Hause des Admetus sind, bekränzte sie mit Myrtenzweigen und verehrte die Götter. Dieses tat sie ohne Weinen und ohne einen Seufzer hören zu lassen. Ihr schönes Gesicht zeigte keine Spur des ihr bevorstehenden Schikcksals.«
»Als sie aber hierauf in ihr Zimmer und an ihr Bette gegangen war, flossen häufige Thränen und man hörte sie folgendes sagen: Du eheliches Bett, in dem ich den jungfräulichen Gürtel für den Mann aufgelöst habe, für den ich jetzt sterbe, sei mir zum letzten male gegrüßt; noch hasse ich dich nicht, wiewohl du mich umbringst. Von dir wird eine andere Frau Besitz nehmen, nicht keuscher, noch treuer als ich – aber wohl glücklicher.«
»Denn warf sie sich auf das Bette hin, küßte und benetzte es mit ihren Thränen – denn müde vom Weinen stand sie auf, verließ das Zimmer, kam wieder zu rücke und so ging sie oft aus und ein und warf sich oft auf das Bette hin.«
»Ihre Kinder hiengen an ihrem Gewand und weinten. Sie nahm eines um das andere in den Arm, küßte sie oft, und so als wenn jeder Kuß der letzte wäre.«
»Alle Bediente des Hauses weinten und beklagten ihre Gebieterin; sie reichte jedem die Hand, nennte jeden, auch den geringsten mit Namen, grüßte sie und wurde von jedem gegrüßt.«
Dieses ist ohne Zweifel ein Muster eines vollkommen ausgebildeten Gemäldes.
Eine sorgfältige Überlegung verdient auch die Ausbildung der Personen und der Charaktere, so wohl in Gedichten als in Gemälden. Von Hauptpersonen ist hier nicht die Rede, weil diese entweder zum voraus hinlänglich bekannt sind oder, da sie durch die ganze Handlung am öftersten erscheinen, natürlicher Weise uns hinlänglich bekannt werden. Aber solche, die fremd sind, die nur in episodischen Stücken oder als Nebenpersonen vorkommen, diese müssen durch eine geschickte Ausbildung interessant werden. Der Künstler muss uns Gelegenheit geben, mit dem Auge so lange auf ihnen zu verweilen, bis wir ihre Person und ihren Charakter hinlänglich gefasst haben. Keine Person muss im Gedichte flüchtig, wie ein Schattenbild, vor den Augen vorüber fahren, noch in dem Gemälde so müßig sein, dass wir nicht eine Zeitlang bei ihr verweilen. Hierzu hat der Künstler mancherlei Mittel, die nicht alle können entwickelt werden. Es wird genug sein, einige Beispiele davon anzuführen.
Zur Ausbildung der Personen tun gewisse besondere Umstände, die man nicht vermutet und die das Ansehen geheimer Nachrichten haben, welche die Franzosen Anecdoten nennen, eine angenehme Wirkung. In diesem Kunstgriff ist Klopstock allgemein sehr glücklich. Homer ist ganz voll solcher Ausbildungen, deren ganze Wirkung wir aber nicht fühlen, weil die Zeiten, für die er geschrieben hat, zu weit von uns entfernt sind. Ist es Zufall oder Absicht dieses Dichters, dass in folgender Stelle der zweite Vers so reich an Silben und an Ton ist?5
Der Dichter stellt uns hier zwei neue Personen vor, von denen er nichts anders zu sagen hat als dass ihr Vater, Eurydamas, ein Traumdeuter gewesen sei. Diese kleine Anekdote schleppt er durch einen langen sehr wohl klingenden Vers durch und scheint uns Gelegenheit geben zu wollen, die Personen recht ins Gesichte zu fassen.
Eine besondere glückliche Ausbildung ist die, deren sich Milton bedient, da er Personen, die uns fremd scheinen, durch gewisse Umstände auf einmal als be kannt vorstellt. Verschiedene seiner aufrührerischen Geister, von denen wir anfänglich nichts als die Namen wissen, kommen uns danach plötzlich als bekannte Götzen vor, die das Heidentum angebetet hat.
Bei allen Arten der Ausbildung hat man sich überhaupt vor dem überflüssigen in Acht zu nehmen, wodurch Ovidius fast allezeit fehlt und das ihn so oft matt oder frostig macht. In Handlungen, wo der Dichter fort eilen muss, werden sie gefährlich und müssen mit der Kunst des Homers behandelt werden; wo die Handlung natürlicher Weise etwas aufgehalten wird, da kann man nach Homers und Virgils Beispiel sich in etwas umständlichere Ausbildungen einlassen.
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1 S. Ode.
2 Antwort an Herrn Bodmer.
3 Hor. Od. IV. 7.
4 S. Leidenschaft.
5 Il. s. v. 148. 149.