Antik

Antik. (Zeichnende Künste) So werden die Werke der zeichnenden Künste genannt, die ganz oder in Trümmern von den Völkern auf uns gekommen sind, bei welchen die Künste ehedem geblühet haben. Es sind geschnittene Steine, Münzen, Statuen, geschnitzte und geformte Werke, Gemälde, Gebäude und Trümmer derselben, die in diese Klasse gehören. Werke aus allen Zeiten der Kunst, von ihrem Anfang, höchsten Flor und ihrem Verfalle. Die, welche aus dem schönsten Zeitpunkt der Kunst in Griechenland übrig geblieben und einige andere, die später nach jenen gemacht worden, werden für vollkommene oder doch der Vollkommenheit sich nähernde Muster gehalten. Wenn Künstler oder Lehrer der Kunst, mit Bewunderung von den Antiken sprechen, so ist es nur von diesen wenigen Stücken zu verstehen. Denn unter den Antiken finden sich nur allzu viel, die von der abnehmenden Kunst in den späten Zeiten des Altertums zeugen.

 Man bewundert an den Antiken folgende wesentliche Stücke der Kunst. Die Schönheit der Formen überhaupt; die höchste Schönheit der menschlichen Gestalt und besonders der Köpfe; die Größe und Hoheit des Ansehens und der Charaktere; den richtigsten und zugleich edeln und großen Ausdruck der Leidenschaften, der aber allezeit der Schönheit untergeordnet ist. Kein Ausdruck ist bei den Alten so stark, dass er der Schönheit schadet. Sie sind überhaupt nicht der Natur, sondern dem Ideal gefolgt. Alles, was einen besonderen Menschen anzeigt, wurde von ihnen verworfen. Ihre Hauptabsicht ging dahin, dass jedes Bild das, was es sein sollte, ganz sei; aber ohne Vermischung mit etwas anderm. Jupiter ist ganz Hoheit; Herkules ganz Stärke. Was nicht notwendig zum Charakter gehört, darauf wurde von ihnen auch nicht gesehen. Wer in diesen vier Stücken der Kunst groß werden will, muss unermüdet die besten Antiken studieren, und durch fleißiges Betrachten und Zeichnen derselben seinen Geschmack zu der Richtigkeit und Größe der griechischen Künstler erheben. Die Maler und Bildhauer der römischen Schule, welche die beste Gelegenheit gehabt haben, diese großen Modelle zu studieren, haben deswegen alle andere Schulen der neueren Zeiten in diesen Stücken übertroffen.

 Es ist jedem Künstler zu raten, Winkelmanns vortreffliche Schriften zu studieren, darin er den vorzüglichen Wert der Antiken in das beste Licht gesetzt hat; und dann diese Werke, so viel er deren habhaft werden kann, selbst so lange zu betrachten, bis er ihren vorzüglichen Wert fühlt. Es gilt auch hiervon, was Horaz dem Dichter empfiehlt:

–– Vos exemplaria graeca Nocturna versate manu, versate diurna.

Von Statuen sind in Rom und Florenz die besten. Von geschnittenen Steinen finden sich in allen Ländern von Europa wichtige Sammlungen, so wie von Münzen. Von Gebäuden sind in Griechenland und Italien die wichtigsten Überbleibsel. Wer das Glück nicht hat, die Originale selbst zu sehen, der muss sie wenigstens in Abgüssen und Zeichnungen studieren, wie wohl diese letztern allgemein wenig von der Schönheit und dem großen der Originale haben. Die Lippertsche Sammlung der Abgüsse geschnittener Steine ist das wichtigste, was jeder in dieser Art haben kann. Und es ist sehr zu wünschen, dass jemand zum besten der Kunst solche Abdrücke der besten Antiken Münzen machte. Die Antiken Gebäude kann man aus des- Godets und des Herrn le Roi Zeichnungen; die Statuen aus Bischops, van Dalens, Periers und Preißlers Sammlungen derselben kennen lernen. Von geschnittenen Steinen hat Herr Mariette die größte Sammlung herausgegeben und die vornehmsten Steine, auf denen die Namen der Künstler eingegraben sind, hat Herr Stosch durch seine Beschreibung und Kupfer bekannt gemacht. Die Antiken Gemälde kann man aus den Kupfern von den im Herkulano gefundenen Gemälden und aus der Sammlung kennen lernen, die der Herr Graf von Caylus herausgegeben hat.

Die Werke der Alten überhaupt sind in sich sehr unterschieden an Güte und Bedeutung, (Ausdruck) aber nicht an Geschmack. Es sind drei Hauptclassen der alten Denkmale: nämlich in allen Statuen, so uns übrig geblieben, sind drei unterschiedene Grade der Schönheit. Die geringsten unter diesen haben allemal den Geschmack der Schönheit, aber nur in den unentbehrlichen Teilen; die vom anderen Grade, haben die Schönheit in den nützlichen Teilen; und die vom höchsten Grade haben sie von dem unentbehrlichen an, bis auf das überflüssige, und sind deswegen vollkommen schön – die schönsten vom höchsten Grade sind der Laocoon und der Torso vom Belvedere ; die schönsten vom anderen Grade der Apollo und der Gladiator vom Borghese; vom dritten aber sind unzählbare.1

 Das Studium der Antiken wird nicht nur von allen großen Kennern der neueren Zeit, für den notwendigsten Teil der Bemühungen eines Künstlers gehalten; die größten Künstler selbst, Raphael und Michelangelo sind dadurch zu der Größe gekommen, die wir an ihnen bewundern. Dieses macht alles, was zur Empfehlung dieses Studiums noch könnte gesagt werden, überflüssig. Diejenigen, welche über den vorzüglichen Wert der guten Antiken noch einigen Zweifel erwecken möchten, sind jetzt so durchgehends überstimmt, dass die Notwendigkeit dieselben zu studieren, um den wahren Geschmack des Schönen zu bekommen als ein Grundsatz anzusehen ist.

  Aber auch dieses Studium kann seichten Köpfen nichts helfen. Es kommt hier nicht auf die Umrisse, sondern auf den Geist an, der im Antiken liegt.

Diesen zu entdecken, muss man sich vor allen Dingen bemühen. Wessen Geist nach öfterer Betrachtung der besten Antiken, nicht in Entzückung gerät; wer nicht in dem sichtbaren derselben unsichtbare Vollkommenheit fühlt, der lege die Reißfeder weg; ihm hilft das Antike nicht.

 Man kann freilich zugeben, dass so wohl von alten als neuen Kennern manches, was sie von der Fürtreflichkeit des Antiken sagen, übertrieben sei. Es ist zu fühlen, dass nicht alles, was Plinius von dem Paris des Euphranors sagt, wahr sein könne,2 und man braucht eben nicht mit Webb gar alles in den Beschreibungen der Alten buchstäblich zu nehmen.3 Es bleibt allemal an den noch jetzt vorhandenen Werken genug für unsere Bewunderung übrig.

  Da voraus gesetzt werden kann, dass Winkelmanns Schriften, darin alles, was hierher gehörte, enthalten ist, sich in jedes Künstlers und Kenners Händen befinden; so kann alles übrige, was hiervon zu sagen wäre, übergangen werden.

 

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1 Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Malerei, (von Mengs) S. 79. 80.

2 S. die im Art. Allegorie angeführte Stelle hier von.

3 S. An Inquiry into the Beauties of Painting.

 


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