Angenehm

Angenehm. (Schöne Künste) Man hört überall sagen, das Angenehme sei der Zweck aller Werke der schönen Künste. Dieses ist eben so wahr als wenn man sagte: der Wohlklang sei der Zweck der Dichtkunst oder die Harmonie der Zweck der Musik.

Angenehm muss jedes Werk dieser Künste sein, weil man es sonst nicht achten würde: aber diese Eigenschaft macht sein Wesen nicht aus; sie gehört so dazu, wie das gute Ansehen, die Reinlichkeit und Annehmlichkeit zu einem Gebäude gehören, dessen Wesen in etwas ganz anderm besteht.

 Soll der Künstler nicht durch unrichtige Vorstellungen über das Wesen der schönen Künste auf Abwege geraten, so muss er sich über den Gebrauch des Angenehmen von der Natur unterrichten lassen, der großen Lehrerin aller Künstler. Sie arbeitet allemal auf Vollkommenheit; aber sie gibt ihr die Annehmlichkeit zur beständigen Gefährtinn. Jedes Werk der Natur hat seine Vollkommenheit, wodurch es das ist, was es hat sein sollen und seine Annehmlichkeit, wodurch es die Sinne reizt: so muss jedes Werk der schönen Künste sein, die eigentlich durch Einmischung des Angenehmen in das Nützliche entstanden sind.1 Jedem ihrer Werke muss etwas wichtiges übrig bleiben, wenn ihm alles Angenehme, was es durch die Kunst an sich hat, benommen wird. Das Gedicht, dem nichts übrig bleibt, wenn die Harmonie des Verses, die Schönheit des Ausdrucks, das Kleid der Bilder, davon genommen werden, ist kein lobwürdiges Werk.

 Dieses ist der wahre Gesichtspunkt, aus welchem jeder Künstler das Angenehme betrachten muss. Hat er das Wesentliche als ein weiser und verständiger Mann fest gesetzt, so sehe er sich nach dem Angenehmen um, womit er das Nützliche als mit einem schönen Gewand umgeben könne. Hat er einen Gegenstand gefunden, der wichtig genug ist, die Aufmerksamkeit verständiger Menschen zu beschäftigen, so suche er ihm alle Annehmlichkeiten zu geben, die ihn der Vorstellungskraft reizender machen können. So können wir uns das Verfahren der Natur vorstellen. Sie hat alle Teile des menschlichen Körpers zu ihrem Gebrauch so vollkommen gebildet, dass aus dem Ganzen die bewunderungswürdige Maschine entstehen konnte, die der Geist zu seinem Dienste nötig hatte: denn hat sie alle diese Teile in eine angenehme Form vereinigt, selbige mit einer, alles lieblich zusammen bindenden Haut, überzogen und auch diese mit angenehmen Farben und einem reizenden Wesen verschiedentlich überstreut.

 Also ist die Erforschung und genaue Kenntnis des Angenehmen zwar ein wesentlicher Teil der Kunst, aber nicht der einzige. Der Künstler muss zuerst ein Mann von Verstand, ein weiser und guter Mann und danach eben so notwendig ein Mann von Geschmack sein. Er hat zwei Wege, die Kenntnis des Angenehmen zu erwerben und beide sind ihm notwendig. Was die feinsten Kunstrichter, vom Aristoteles an, bis auf jetzt, von dem, was angenehm oder unangenehm ist, bemerkt haben, mache er sich bekannt und nehme seine eigene Erfahrung noch dazu: danach bemühe er sich, eine Theorie des Angenehmen zu machen, die bei dem Wankenden und Widersprechenden der Beobachtungen ihm zu Hilfe komme; die entweder seine Zweifel rechtfertige oder auflöse.

 Zum Fundament dieser Theorie bemerke er, dass ein Gegenstand dadurch angenehm wird, dass er die Wirksamkeit der Seele reizt und dass dieses auf zweierlei Art geschieht; entweder durch die Vorstellungskraft oder durch die Begehrungskraft. Bei näherer Untersuchung dieser beiden Gattungen der Wirksamkeit wird er die Arten derjenigen Eigenschaften der Dinge entdecken, die angenehm sind. So wird er finden, dass die Vorstellungskraft gereizt wird durch Vollkommenheit, durch Ordnung, durch Deutlichkeit, durch Wahrheit, durch Schönheit, durch Neuigkeit und verschiedene andere ästhetische Eigenschaften; die Begehrungskraft aber durch das Affektreiche, durch das Zärtliche, durch das Rührende, durch das Feierliche, durch das Große, durch das Wunderbare, durch das Erhabene und andere Eigenschaften dieser Art, über welche an sehr vielen Stellen dieses Werks nähere Untersuchungen angestellt worden, die zusammen genommen eine, wiewohl unvollkommene Theorie des Angenehmen ausmachen.

 

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1 S. Künste.

 


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