Arie. (Musik) Vom italienischen Aria. Dieses Wort wird so wohl in der Dichtkunst als in der Musik gebraucht. Dort bedeutet es eine Strophe oder System von etlichen kurzen lyrischen Versen, die allgemein aus zwei Abteilungen besteht, um von einem einzigen Sänger abgesungen zu werden. In der Musik aber ist die Arie das Gesangsstück oder bemeldete Strophe zum Singen in Noten gesetzt oder wirklich abgesungen.
Manchmal, werden die Empfindungen (in einem musicalischen Drama) so stark und die Gemütsbewegung wird so groß, dass wir eher nicht zufrieden sind, bis wir uns derselben gänzlich entladen und das Herz recht weitläufig ausgeschüttet haben.
Dieses geschieht nun in einer Arie. Der Poet nimmt dazu ein lyrisches Silbenmaß; allein unter vielen Gedanken und Worten, liest er nur einige wenige und zwar diejenigen aus, welche den Affekt gleichsam in einem kurzen Inbegriff schildern oder doch dem Musicus zu dessen völliger Darstellung Anlaß und Gelegenheit geben.1 Diese wenige Worte enthalten die ganze Theorie der Arie.
Weil sie für einen förmlichen, mit allen Verzierungen der Musik geschmückten Gesang verfertigt wird, so ist offenbar, dass ihr Inhalt eine Ergiessung des Herzens sein müsse. Denn nur in dergleichen Fällen ist es einem Menschen natürlich, seine Sprache in einen Gesang zu verwandeln. Die Arie ist von der Ode und der Elegie nur darin unterschieden, dass sie die Empfindung kürzer und gleichsam nur auf einen Punkt zusammen gedrängt schildert.
Sie erfordert demnach einen großen Dichter, der den ganzen Umfang einer Empfindung in wenig, aber sehr wolfließenden Ausdrücken zu schildern vermag. Eine zu heftige und zugleich unruhige Leidenschaft, die überall Gelegenheit sucht auf verschiedene Weise auszuschweifen, schickt sich zur Arie nicht, weil die Einheit der Empfindung, die hier nötig ist, in diesem Fall nicht wohl könnte beibehalten werden. Daher der angeführte Schriftsteller gründlich erinnert,2 dass die Äußerung solcher ströhmenden Leidenschaften besser in den so genannten Accompagnamenten ausgedrückt werde.
Alle besondere Regeln, welche der Dichter bei Verfertigung der Arie in Acht zu nehmen hat, sind im achten Hauptstücke des angeführten Werks so vollkommen gründlich und deutlich ausgeführt, dass uns nichts hinzu zu tun übrig bleibt. Wir begnügen uns also den Leser dorthin zu weisen. Dies einzige wollen wir anführen, dass die Arie aus zwei Teilen oder eben so viel Sätzen bestehe. Der erste enthält die allgemeine Äußerung der Empfindung; der andere aber eine besondere Wendung derselben Oder wenn der erste das besondere der Empfindung ausdrückt, so enthält der andere das Allgemeine derselben. Denn auf diese Weise hat der Tonsetzer Gelegenheit, den Ausdruck am vollkommensten zu bearbeiten. Überhaupt ist die Arie am vollkommensten, wenn der erste Teil mit dem zweiten einen Gegensatz ausmacht.
Es wäre zu wünschen, dass die Tonsetzer eine eben so gründliche Anleitung für ihre Bearbeitung der Arie hätten als die ist, welche man den Dichtern gegeben hat. Aber in diesem Stück, wie in sehr vielen anderen, ist die Theorie des Tonsetzens überaus versäumt worden.
In Ansehung der äußerlichen Form der Arie haben die welschen Tonsetzer eine Mode eingeführt, die bei nahe zum Gesetz geworden ist. Zuerst machen die Instrumente ein Vorspiel, das Ritornel genannt, in welchem der Hauptausdruck der Arie kürzlich vorgetragen wird: hierauf tritt die Singestimme ein und singt den ersten Teil der Arie ohne große Ausdehnung ganz ab: wiederholt danach die Sätze und zergliedert sie: dann ruht die Stimme etliche Takte lang; damit der Sänger wieder frei Atem holen könne. Während dieser Zeit machen die Instrumente ein kurzes Zwischenspiel, in welchem die Hauptpunkte des Ausdrucks wiederholt werden: hierauf fängt der Sänger wieder an, die Worte des ersten Teils noch einmal zu zergliedern und hält sich vornehmlich bei dem wesentlich sten der Empfindung auf; dann schließt er den Gesang des ersten Teils, die Instrumente aber fahren fort den Ausdruck immer mehr zu bekräftigen und schließen endlich den ersten Teil der Arie.
Der andere Teil wird danach ohne das viele wiederholen und zergliedern, das im ersten Teil statt gehabt, hinter einander abgesungen, nur dass die Instrumente ab und zu, bei kurzen Pausen der Singestimme den Ausdruck mehr bekräftigen. Wenn der Sänger ganz fertig ist, so machen die Instrumente wieder ein Ritornel, nach welchem der erste Teil der Arie noch einmal eben wie zuvor wiederholen wird. Dis ist die allgemeine Form der heutigen Arien.
Man muss gestehen, dass sie dem Zweck der Musik sehr gemäß und vernünftig ausgedacht ist. Das Ritornel lässt dem Sänger, der durch das vorhergehende Rezitativ etwas ermüdet worden ist, Zeit, Atem zu holen und sich zu einem guten Gesang vorzubereiten; zugleich wird der Zuhörer in die gehörige Fassung und nötige Aufmerksamkeit gesetzt. Indessen bindet sich der Tonsetzer nicht allemal an diese Gewohnheit; sondern lässt bisweilen die Singestimme, ohne alle Vorbereitung, anfangen. Dieses ist bei gewissen Gelegenheiten, wo die Affekte recht heftig sind, von sehr guter Wirkung, wie jedermannn in der Opera Cinna, welche in Berlin aufgeführt worden, bei der schönen Aria, O Numi, consiglio in tanto periglio empfunden hat.
Dass der erste Teil der Arie anfänglich ununterbrochen abgesungen wird, wobei die Instrumente meistens schweigen und nur hier und da der Stimme einen Nachdruck geben, hat auch seinen guten Grund. Denn auf diese Weise übersieht man den ersten Teil geschwind und wird in die gehörige Fassung gesetzt, das zu empfinden, was der Dichter und der Tonsetzer uns wollen empfinden machen. Erst dann sieht man, worauf es eigentlich in der Arie hauptsächlich ankommt. Darum wiederholt dann der Sänger die kräftigsten Ausdrücke, bringt sie in verschiedenen Tönen und mit veränderten Wendungen vor.
Dieses ist der Natur der Empfindungen gemäß, die immer wieder auf denselben Hauptgegenstand, der sie hervorgebracht hat, zurück kommen und ihn aus allen Ansichten betrachten. Eben dadurch aber bekommt auch der Zuhörer Zeit, sich völlig in den Affekt zu setzen. Wenn der Sänger den Schluss gemacht hat, so geben die Instrumente der Empfindung noch den letzten Nachdruck.
Weil der zweite Teil der Arie allgemein nur eine besondere Anwendung des ersten ist, in welchem die Empfindung schon erschöpft worden, so wird dieser Teil mit weniger Umständen abgesungen und allgemein gibt der Tonsetzer durch die Veränderung der Tonart oder des Zeitmaßes, in diesem Teil dem Ausdruck eine neue Wendung.
Die Wiederholung des ersten Teils, welches das Da Kapo genannt wird, hat vermutlich keinen anderen Grund als die Begierde, das, was man einmal gut ausgedrückt hat, noch einmal hören zu lassen. In der Musik geht alles ziemlich schnell vorbei; Die Wiederholung macht, dass wir die Hauptausdrücke der Arie desto besser behalten. Damit sie aber nicht unnatürlich werde, so müssen beide der Dichter und der Tonsetzer, die Arie so anordnen, dass das wirkliche Ende derselben im Ausgang des ersten Teils sich befinde. Dieses ist keine leichte Sache, da bei dem ersten Vortrag dies Ende, den zweiten Teil unnatürlich machen könnte. Am natürlichsten wird die Wiederholung, wenn der zweite Teil so beschaffen ist, dass man am Ende desselben natürlicher Weise in eine Erwartung gesetzt wird, die durch die Wiederholung des ersten erfüllet wird. Dieses hat Herr Ramler in seiner Paßion in der Arie: Du Held auf den die Köcher etc. wohl beobachtet. Denn der zweite Teil endigt sich mit der Frage: Wer wird dann mein Tröster sein? Darauf folgt durch die Wiederholung die Antwort: Du Held u. s. f. Es gibt doch besondere Fälle, wo die Überlegung dem Tonsetzer von der beschriebenen Form der Arie abzuweichen befiehlt. Nur schlechte Künstler, die keine Regel als die Gewohnheit kennen, binden sich überall an das Gewöhnliche. Daher sehen wir bisweilen, dass in Arien, wo der Dichter nichts hineingebracht hat, das einer besonderen Aufmerksamkeit wert wäre, der Tonsetzer nichts bedeutende Ausdrücke eben so oft wiederholt und schwache Empfindungen eben so zergliedert als andere mit wichtigen getan haben. Dadurch aber werden sie abgeschmackt und frostig. Eben so einfältig werden von vielen die nachdrücklichen Erhöhungen des Ausdrucks durch die Instrumente angebracht. Sie haben gesehen, dass es eine sehr gute Wirkung tut, wenn an gewissen Orten, wo der Gesang sein mögliches zum Ausdruck getan hat und denn etwas pausiert, die Instrumente den Ausdruck fortsetzen und noch höher bringen.
Dieses verleitet sie, ohne alle Überlegung die Stimme bisweilen pausiren zu lassen, während welcher Zeit sie die Instrumente einige nichts bedeutende oder gar dem Ausdruck entgegenstreitende Zierraten und Schnörkel, anbringen lassen.
Am allermeisten werden die Ausdehnungen oder Läufe übertrieben; davon aber haben wir in einem besonderen Artikel gesprochen.
Ein gründlicher Tonsetzer bindet sich an keine Form so, dass er sich nicht, nach Beschaffenheit der Sache davon entfernte. Er sieht allemal auf das wesentliche des Ausdrucks. Erfordert dieser starke und wenige Äußerungen, so setzt er seinen Gesang stark, einfach und ohne Modeverzierungen. Eilt der, dem der Ausdruck der Empfindung in den Mund gelegt wird, in seinen Vorstellungen, so verweilt er nicht in seinem Gesang. Ist aber die Empfindung selbst so, dass man natürlicher Weise wortreich dabei ist, so zergliedert er alles in gehörigem Maße. In ernsthaften und etwas verdrießlichen Affekten, hütet er sich vor Ausdehnungen und vor Läufen, wenn die Worte auch noch so geschickt dazu wären. Die Instrumente lässt er kein Geräusche machen, wo eine Stille erfordert wird und lässt sie nicht sanft gehen, wo die Empfindung brausend ist. Er verschwendet den Reichtum seiner Instrumente nicht so, dass er glaubt, es müssen nur alle mit spielen, sondern nimmt nur gerade die, welche der Ausdruck erfordert.
Was sonst ein durch den guten Geschmack geleiteter Tonsetzer überhaupt bei glücklicher Erfindung und Ausarbeitung der Arien überlegt, ist in dem Artikel,
Ausdruck und Singstück schon ausgeführt worden. Von dem besonderen Studio des Sängers zu einem vollkommenen Vortrag der Arie hat Tosi eine weitläufige Abhandlung gegeben.3 Wir begnügen uns, dem Sänger folgende Anmerkungen zur ernsthaftesten Überlegung zu empfehlen.
Vor allen Dingen bedenke er, dass er nicht darum singt, um den Zuhörer für seine Geschicklichkeit einzunehmen, sondern ihm das Bild eines von Empfin dung durchdrungenen Menschen auf das vollkommenste darzustellen. Je mehr es ihm gelingt, den Zuhörer vergessen zu machen, dass er nur einen Schauspieler oder Sänger vor sich hat, je größer wird sein Ruhm werden. Die verständigern Zuhörer wollen nicht seine Kehle, sondern sein Herz bewundern. So bald sie merken, dass er sie von der Sache selbst abführen und ihnen die Bewunderung seiner Kunst abzwingen will, so werden sie frostig.
Deswegen wende er die ernsthafteste Bemühung an, den wahren Charakter der Arie ganz zu fassen, jeden Gedanken des Dichters und Tonsetzers auf das sicherste zu ergreifen; diesem zufolge jede Silbe und jeden Ton in seinem wahren Lichte darzustellen. Hat er überdem die Geschicklichkeit, durch selbst hinzu gesetzte Töne den Ausdruck zu verstärken, so bringe er sie an, aber nicht eher, bis er gewiss ist, dass sie diese Wirkung haben. Kann er dieses nicht, so halte er sich lediglich an dem, was ihm vorgeschrieben ist. Er hat noch genug an der besten Wendung der ihm vorgezeichneten Töne zu studieren. Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt, ist mehr wert als eine ganze Reihe künstlicher Läufe, die nichts sagen als dass sie schwer zu machen sind.
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1 Krause von der musikalischen Poesie. S. 129.
2 Am angezogenen Orte. S. 132.
3 S. dessen Anleitung zur Singkunst, nach Herrn Agricola