Ausschweifung

Ausschweifung. (Schöne Künste) Eine kurze Unterbrechung der eigentlichen Folge der Begriffe durch Einführung fremder Vorstellungen, welche der Hauptsache nur mittelbar nützlich sind. Die Alten betrachteten die Ausschweifung, welche bei den griechischen Grammatikern pa.e..as.. genannt wird, nur als einen rhetorischen Kunstgriff. Quintilian sagt deshalb, sie sei die Einmischung fremder, aber der Hauptsache nützlicher Vorstellungen. Alienae rei, sed ad utilitatem causae pertinentis, extra ordinem excurrens tractatio. Dahin rechnet er den Kunstgriff, da der Redner mitten in der Hauptsache etwas einmischt, das der Sache zwar fremd ist, aber den Richter auf eine vorteilhafte Weise für die Hauptsache einnimmt.

 Allein die Ausschweifung erstreckt sich weiter und wird auch von Dichtern und anderen Künstlern gebraucht. So hat Milton im Anfang des IV. B. eine Ausschweifung angebracht, da er uns von seinem Inhalt auf sein verlorenes Gesichte bringt.

 Jede Ausschweifung unterbricht den Zusammenhang der Hauptvorstellungen und muss demnach mit großer Behutsamkeit angebracht werden, wenn sie nicht nur der Hauptsache nicht schaden, sondern Vorteil bringen soll. Sie tut die beste Wirkung, wenn man vermuten kann, dass durch das, was zur Hauptsache gehört, die Vorstellung, die man hat er wecken wollen, ganz oder größtenteils bewirkt ist. Dann muss man ihr etwas Zeit lassen, ihre völlige Kraft zu erhalten. Wenn man in diesem Fall nichts mehr zu sagen hat, so kann man durch eine Ausschweifung den Leser oder Zuhörer in der guten Verfassung, darin man ihn gesetzt hat, unterhalten und ihr den letzten Nachdruck geben.

 So wie die Überzeugung nicht allemal aus der Kraft der Beweise entsteht, sondern oft von einem vorteilhaften Einfluss des Herzens auf die Vorstellungskraft; so kann eine geschickte Ausschweifung, wodurch das Herz an der rechten Sehne gerührt wird, den Vorstellungen einen großen Nachdruck geben.

  In scherzhaften Werken, die bloß das Ergötzen zur Absicht haben, kann man am leichtesten ausschweifen. La Fontaine hat seinen Fabeln und seinen Histörchen die größte Annehmlichkeit durch artige Ausschweifungen gegeben. In Werken von ernsthafterm Inhalt können die Ausschweifungen bisweilen auch als Ruhepunkte angesehen werden, in denen die Aufmerksamkeit etwas ausruhet, um nicht ganz ermüdet zu werden.

  Bisweilen gehört die Ausschweifung als ein charakterisirender Zug, notwendig zur Sache. Wenn man einen einfältigen gemeinen Menschen in einer Erzählung redend einführt und ihm Ausschweifungen in den Mund legt, so dienen sie ungemein zur lebhaften Schilderung desselben. Denn solchen Leuten sind die Ausschweifungen ganz natürlich.

 Eben so natürlich ist die Ausschweifung einem Menschen, der von einer einzigen Vorstellung stark gerührt, sich derselben ganz überlässt und dadurch in eine Art von Träumerei gerät, worin keine enge Verbindungen mehr statt haben. Dies ist oft der Fall der Odendichter. Die plötzlichen Ausweichungen auf sehr entfernte Gegenstände sind eine Art der Ausschweifung, welche der Ode ganz eigen ist.

  In Werken, wo die Vorstellungen sehr gedrängt sind, wie im Trauerspiel, haben die Ausschweifungen schwerlich statt. Es ist verdrüßlich, wenn man bei interessanten Szenen, wo man in beständiger Erwartung des folgenden ist, durch Ausschweifungen in der Folge seiner Vorstellungen immer unterbrochen wird.

 


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