Venezianische Schule

Venezianische Schule. Ist von den Schulen der Malerei diejenige, die sich durch einen großen Geschmack im Kolorit hervorgetan hat. Die Lebhaftigkeit sowohl als die Wahrheit der Farben, die vollkommene Austeilung des Lichts und Schattens, die Kühnheit des Pinsels, der wahre Ton der Natur, sind vorzügliche Eigenschaften dieser Schule, die aber weniger Größe und weniger Richtigkeit der Zeichnung hat, als die römische oder die lombardische Schulen. Eine kurze Geschichte der Malerkunst in Venedig findet man in dem Werk, welches alle in und um Venedig befindliche vorzügliche Gemälde beschreibt.1 Es dient auch denen, die alle in öffentlichen Gebäuden befindliche Gemälde sehen wollen, zum Wegweiser.

Titian ist ohne Wiederrede der erste Meister dieser Schule und der größte Kolorist, der vielleicht jemals gewesen. Ob man ihm gleich in verschiedenen Stücken den Rubens und den Van Dyck an die Seite setzt, so muss man doch gestehen, dass das Bezaubernde in seinen Farben mehr Wahrheit hat als das Kolorit des Rubens und mehr Bewunderung erweckt als das von Van Dyck. Man findet in allen großen Galerien etwas von ihm, aber um ihn recht zu kennen, muss man die Gemälde sehen, die in Venedig von ihm sind. Tintoret ein anderer großer Maler dieser Schule, kann nur in Venedig gekannt werden. Sein großes Talent war im Grossen mit vollkommener Kühnheit zu malen.

Paul von Verona eines der größten Genien, wegen vollkommen verständiger Anordnung der Gemälde, sowohl in Absicht auf die geschickte Verbindung aller Teile als auf die Austeilung des Lichts. Wahrheit und Stärke sind überall in seinem Kolorit. Man wirft ihm vor, dass alle seine starke Schatten etwas Violettes haben, aber seine Halbschatten sind desto vortreflicher. Die Leichtigkeit seines Pinsels geht über alles und die Pracht in Kleidung seiner Personen gibt seinen Gemälden einen Reichtum, der ihnen eigen ist. Aber das Große in den Charaktern findet man nicht bei ihm; er hat allezeit sich genau an die Natur gebunden und kein Maler hat das Übliche so sehr aus den Augen gesetzt als er.

Von den neueren venedischen Malern sind vorzüglich zu merken. Tiepolo, ein Mann von schönem Genie, der ein sehr angenehmes Kolorit mit einer großen Leichtigkeit in seiner Arbeit verbindet; Pellegrini, Piaztta, Lazarini, Molinari, Celesti, Bombelli, Liberi.

 

_______________

1 Deserizione di tutte le publiche pitture della citta di Venetia ed Isole circonvicine Venet. 1733.

 


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 12:46:47 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.11.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z