Sprache. Man sagt allgemein, die Sprache sei dem Dichter, was die Farbe dem Maler ist; im Grund aber ist sie noch weit mehr; weil nicht bloß das Kolorit, sondern die Zeichnung der Gedanken selbst, von der Sprache abhängt. Es darf also nicht erst bewiesen werden, dass die Vollkommenheit der redenden Künste größtenteils von der Vollkommenheit der Sprache abhänge, derer sie sich bedienen. Jedermann begreift, dass Homer in der scythischen oder einer anderen barbarischen und noch wenig vervollkommneten Sprache, die Ilias nicht würde gesungen haben, die wir jetzt in der griechischen Sprache bewundern: und wenn er es unternommen hätte, so würden seine Gesänge zwar immer das Werk eines großen Genies, aber unendlich weit unter der Ilias gewesen sein, die wir jetzt haben. Tausend Dinge, die er vermittelst der griechischen Sprache zeichnen konnte, würden in der scythischen Ilias nicht gewesen sein; weil ihr die Worte zum Ausdruck gefehlt hätten.
Was also dem Maler das Studium der Zeichnung und des Kolorits ist, das ist dem Redner und Dichter das Studium der Sprache. Mit dem Genie des Raphaels würde man ohne Fertigkeit im Zeichnen und der Farbengebung nur schlechte Gemälde machen; und mit dem Genie des Homers oder Pindars würde der, der nur eine schlechte und rohe Sprache besäße, wenig Vollkommenes in der Dichtkunst an den Tag bringen. Man kann einigermaßen sagen, dass die Kunst des Redners und Dichters im Besitz der Sprache bestehe. Wenigstens ist dieses insofern wahr als es richtig ist, dass die Kunst des Malers in Zeichnung und Farbengebung bestehe. Es gibt ohne Zweifel viel Menschen, die so lebhaft denken, so angenehm und so malerisch phantasiren und so stark empfinden, als die guten Dichter, die aber das, was sie denken und empfinden aus Mangel der Kenntnis oder Übung in der Sprache, nicht wie die Dichter zu sagen wissen. Mit einem solchen Genie wird man also bloß dann ein guter Dichter, wenn man auch das Instrument zum Ausdruck der Gedanken in seiner Gewalt hat. So sehr wesentlich gehört es zur Vollkommenheit der redenden Künste, dass man eine vollkommene Sprache völlig besitze.
Die Betrachtung der ästhetischen Vollkommenheit der Sprache gehört demnach wesentlich zur Theorie der Künste und die Übungen, wodurch man die Sprach in seine Gewalt bekommt, sind ein eben so wesentlicher Teil der Kunstübung des Redners und Dichters. Wie aber die Sprache von allen Erfindungen des Genies die bewunderungswürdigste und in Absicht auf die Menge und Mannigfaltigkeit dessen, was dazu gehört, die größte ist, so wär auch unendlich viel davon zu sagen. Es wird also wohl niemand erwarten, dass in diesem Artikel alle Eigenschaften einer ästhetisch-vollkommenen Sprache angezeigt werden. Auch würden wir schon die hier gesetzten Schranken weit überschreiten müssen, wenn wir uns bloß in eine etwas umständliche Beurteilung der deutschen Sprach und ihrer Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit für die redenden Künste einlassen wollten. Also schränken wir uns bloß auf einige ganz allgemeine Anmerkungen ein, die dem, der diese wichtige Materie von Grund aus abhandeln wollte, vielleicht die Arbeit etwas erleichtern könnten, auch dem angehenden Redner und Dichter die Hauptstücke, worauf er bei dem so wichtigen Studium der Sprache vorzüglich zu sehen hat, anzeigen werden.
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