Scherz; Scherzhaft

Scherz; Scherzhaft. (Schöne Künste) Ursprünglich bedeutet das Wort Scherzen nichts anders als sich zur Fröhlichkeit ermuntern, wenn auch keine unmittelbare Materie dazu vorhanden ist. Nicht diejenigen scherzen, die über fröhliche Begebenheiten vergnügt und lustig sind; sondern die, welche bei ernsthaften oder gleichgültigen Gelegenheiten durch lustige Einfälle Vergnügen und Fröhlichkeit erwecken. Ob wir nun gleich hier den Scherz bloß in Absicht auf die schönen Künste zu betrachten haben, so scheint es doch nötig, die verschiedenen Veranlassungen und Wirkungen desselben erst allgemein zu betrachten.

 Man kann überhaupt zweierlei Absicht oder Veranlassung zum Scherzen haben; entweder sucht man bloß sich und andere zur Fröhlichkeit zu ermuntern oder man braucht ihn in der Absicht etwas besonderes und näher bestimmtes damit auszurichten: in beiden Absichten kann er wichtig werden. Bei ernsthaften Geschäften und bei mühesamen Verrichtungen, tut oft ein beiläufiger Scherz ungemein viel zur Aufmunterung und hindert das Erschlaffen der Aufmerksamkeit oder das Gefühl der Abmattung. So kann auch eine mit Fleiß gesuchte, etwas anhaltende Ergötzlichkeit vortrefliche Wirkung tun, einem etwas eingesunkenen Gemüt eine neue Spannung und neue Wirksamkeit zu geben. Dieses bestimmt also die eine der beiden Veranlassungen zum Scherz.

 Will man ihn aber als einen Umweg zu Erreichung andrer Absichten brauchen; nämlich dazu, dass man Personen oder Sachen lächerlich macht, um dadurch gewisse ernsthafte Absichten zu erreichen, die man sonst gar nicht oder doch so leichte nicht würde erreicht haben; so kann er auch in dieser Absicht wichtig werden. Gar oft kann man die Hindernisse, die bei Geschäften ein Zänker oder ein Sophist in den Weg legt, auf keine kürzere Weise aus dem Wege räumen als durch einen wohl angebrachten Scherz, der entweder die uns im Weg stehende Person oder die uns hindernde Sache so leichte macht, dass man ihrer nicht achtet. Dieses Mittels haben sich Sokrates und Cicero sehr oft mit großem Vorteil bedient. So kann man bisweilen durch bloßen Scherz beträchtlichen Vorurteilen und sehr schädlichen Übeln, die sich in dem sittlichen Leben der Menschen eingeschlichen haben, ihre Wirkung benehmen, und sie wohl ganz vertilgen.

 Die schönen Künste bedienen sich des Scherzes in beiden Absichten; entweder nur beiläufig und mitten unter ernsthafte Vorstellungen; oder sie verfertigen Werke, die durchaus scherzhaft sind. Ehe wir aber die Anwendung des Scherzes betrachten, müssen wir seine Beschaffenheit und seine Wirkungen an sich erwägen.

 Die eigentliche Natur des Scherzens besteht darin, dass man etwas lustiges spricht oder tut in der Absicht andere dadurch zu belustigen. Wenn ein alter Mann mit einem jungen Mädchen verliebt tut, nicht um etwas von ihr zu erhalten, sondern sie aufgeräumt zu machen, so scherzt er: meinte ers im Ernste, so würde man sagen, er sei ein Gek. Wenn Anakreon sich, wie von der Liebe gequält anstellt und sein Herz als ein Nest beschreibt, das voll junger Amorine sitzt; so scherzt er; aber der wirklich verliebte Jüngling, der die Plagen der Liebe fühlte, aber auf eine lächerliche Weise äußerte, würde nicht scherzen, wenn man gleich über ihn lachte. Einerlei Gegenstand kann Scherz oder Ernst sein, nach der Absicht, die man dabei hat. Wer etwas einfältiges oder lächerliches spricht und meinet, er sage etwas kluges, spricht im Ernst, und eben dasselbe in der Absicht andre zu belustigen gesagt, ist Scherz.

 Es scheint also, dass das Lächerliche, von dem Scherzhaften nicht wesentlich oder nach der materiellen Beschaffenheit, sondern nach der Absicht dessen, der es an den Tag bringt, unterschieden sei. Da wir nun bereits die Beschaffenheit des Lächerlichen in einem besonderen Artikel betrachtet haben, so wird dieser größtenteils auf die Anwendung des Scherzens eingeschränkt.

Man kann beim Scherz wie vorher angemerkt worden, zweierlei Absicht haben; entweder bloß lustig zu sein, sich und anderen eine aufgeräumte Stunde zu machen; oder man scherzt in der Absicht Torheiten zu verspotten und Narren lächerlich zu machen. Es kann geschehen, dass man beide Absichten mit einander vereinigt; aber wir betrachten hier jede besonders.

 Das bloß lustige Scherzen, wenn es mit guter Art geschieht, wovon ich danach sprechen werde, ist eine Sache, deren Wert die verständigsten Männer alter und neuer Zeit eingesehen haben. Hierüber denke ich, wie über viel andere Dinge, wie Cicero, der in einem sehr ernsthaften Werke dem bloß lustigen Scherz das Wort spricht, aber ihm zugleich seine Schranken anweiset. »Leichtsinnig, sagt er, unbesonnen und mit völliger Nachlässigkeit, muss der Mensch nie handeln. Denn so sind wir von Natur nicht beschaffen, dass wir bloß zum Spielen und Scherzen gemacht zu sein schienen; sondern vielmehr zum Ernst, zu einigen wichtigen und großen Dingen. Zwar sind Spiel und scherz nicht zu verwerfen; aber man muss sich ihrer wie des Schlafes und anderer Erholungen bedienen, nachdem man wichtigerern und ernstlichern Geschäften hinlänglich obgelegen.«1

 In der Tat ist die Munterkeit des Gemütes und, so bald man sich von wichtigern Geschäften losgemacht hat, ein Hang sich an Dingen die uns vorkommen zu vergnügen und sie von der leichten Seite an zusehen, gar keine verächtliche Gabe des Himmels. Ein Mensch von munterem Gemüte zieht sich nicht nur besser aus allen Schwierigkeiten des Lebens als ein ganz ernsthafter oder gar etwas finsterer Mensch; sondern hat noch dieses zu gut, dass er nie ganz böse wird. Es gibt unstreitig ungleich mehr ernsthafte als lustige Bösewichte.

 Diese Gabe der Munterkeit kann, wo die Natur sie etwas kärglich gegeben, durch scherzhafte Werke genährt und vermehrt worden. Personen, die einen zu starken Hang zum Ernst fühlen oder die durch etwas lang angehaltene ernstliche Anstrengung ihrer Kräfte, die Munterkeit verloren haben, können scherzhafte Werke von großer Wichtigkeit sein. Wer erkennt nicht wie wichtig es für die sittlichen Menschen sei, nach verrichteten Geschäften sich an eine Tafel zu setzen, wo Munterkeit und feiner Scherz eine Verrichtung, die wir mit den Tieren gemein haben, zu einer Geist und Herz erquikenden Wollust machen?

 Den schönen Künsten liegt eben so gut ob, diese heilsame Munterkeit zu beförderen als die Gesinnungen der Rechtschaffenheit lebhaft zu erwecken. So wie den ehemaligen Arkadiern wegen ihres rohen Charakters die Musik zu einem Nationalbedürfnis geworden war, so könnten auch scherzhafte Werke, wenn nur die Musen und Grazien ihr Siegel darauf gedruckt haben, einer Nation, deren Charakter zu heftig oder zu finsterem Ernste geneigt wäre, die wichtigsten Dienste tun. Man kann sie als Mittel zu vollkomnerer Bildung des Charakters einzelner Menschen und ganzer Völker brauchen.

 Und wenn wir auch ihre Wirkung endlich bloß als vorübergehend ansehen, wenn sie auch nur um mich des Horazischen Ausdrucks zu bedienen, laborum dulce lenimen und als schmerzenstillende und lindernde Arzneimittel zu brauchen wären, so würde dieses allein ihnen einen beträchtlichen Wert geben. Heil also, den jovialischen Köpfen, deren geistreiche Scherze unseren von Arbeit ermüdeten Geist erquiken, die uns die Stunden des Unmuts verkürzen und die das von Arbeit oder Verdruss schlaffe Gemüt mit erquikenden Arzneien wieder zur Munterkeit bringen. So verächtlich einem Philosophen der lechzende und nach Wollust schmachtende Schwarm der Bacchanten und Faunen ist, die alle Flüsse der Erde in Wein, und jeden Ort, den sie betreten, in einen Hayn der Venus verwandelt zu sehen wünschten, so schätzbar sind ihm jene nüchternen Lacher, die ihn auch in einem öden Hayn auf die Spuren scherzender Najaden führen.

 Es ist anmerkungswürdig, dass die wahre Gabe zu scherzen selten leichten Köpfen und Menschen, deren Charakter herrschende Fröhlichkeit ist, zu Teile wird. Die vorzüglichsten Scherzer sind diejenigen in deren Charakter viel Ernst und große Gründlichkeit liegt und die deswegen zu wichtigen Arbeiten aufgelegt sind. Der nüchterne, zu den größten Geschäften tüchtige Cicero, konnte mit Recht über den unwitzigen Antonius, der sein Leben in Schwelgerei und lustigen Gesellschaften zugebracht hatte, spotten. Dieses trifft in der Tat noch allezeit ein und dadurch scheint die Natur selbst angezeigt zu haben, wie nahe der wahre Scherz mit dem Ernst verwandt sei.

 Doppelt wichtig ist aber der Scherz, der Verspottung der Torheit und Beschimpfung des Lasters zum Grunde hat. Ein großer Kunstrichter hat angemerkt, dass der Scherz unwiederstehliche Macht auf die Gemüter habe.2 Wo ächter Scherz die Torheit angreift, da wird sie unausbleiblich beschämt. Wird der Tor nicht selbst durch dieses einzige mögliche Mittel geheilt, so wird doch gewiss der, der davon noch nicht angesteckt ist, davor verwahrt.

 Dieses mag von dem Wert des Scherzens überhaupt hinlänglich sein. Nun sollten wir auch die wahre Art und den, den schönen Künsten anständigen Geist desselben bestimmen. Aber da müssen wir mit Cicero sagen: Cujus utinam artem aliquam haberemus! Ein Deutscher hat versucht die Kunst zu scherzen zu lehren3; aber wehe dem, der sie daraus zu lernen glaubt. »Es gibt zwei Arten des Scherzes, sagt Cicero, der die Sache wichtig genug hielt, sie in seinem vortrefflichen Werk von den Pflichten des Menschen, abzuhandeln: die eine ist unedel, mutwillig, schändlich und garstig; die andere von guten Geschmack, feinern Sitten anständig, geistreich und sehr belustigend4.« Er gibt danach noch als Kennzeichen des schlechten Scherzes nicht nur die Niedrigkeit seines Stoffs und Ausdrucks, sondern auch die Ausgelassenheit und den Mutwillen desselben an, der darin besteht, dass man ihn, zur Zeit oder Unzeit als ein Geschäft treibt.

 Die wesentliche Eigenschaft des guten Scherzes ist ohne Zweifel das, was Cicero das Salz desselben nennt und was nichts anders ist als der feine Witz, der sich besser empfinden, als beschreiben lässt. Je weniger in die Augen fallend, je subtiler die Mittel sind, wodurch das Lustige in einer Sache an den Tag kommt; je verborgener es Menschen von wenig Scharfsinn und von gröberem Gefühl ist, je mehr Salz hat der Scherz. Sucht man das Lustige oder Lächerliche einer Sache durch eine Wendung oder Vergleichung hervorzubringen, deren Ungrund durch geringes Nachdenken entdeckt wird, so wird der Scherz frostig; braucht man dazu Begriffe und Bilder die plump, grob, sinnlich sind und auch dem unwitzigsten Menschen von bloß körperlichem Gefühl einfallen, so wird er grob. Beruhet er auf Subtilitäten, auf bloß künstliche von keinen natürlichen Grund unterstützte Ähnlichkeiten, Wortespiele u. d. gl. so wird er gezwungen und abgeschmackt.

 Wir haben leider eine so große Menge scherzhaft seinwollender Dichter in Deutschland, dass es leicht wäre beinahe alle mögliche Gattungen des schlechten Scherzens durch Beispiele, die man überall bei ihnen antrifft, kennbar zu machen. Es möchte bei dem so sehr ausgelassenen Hange zum Scherzen, der bei uns so herrschend geworden, heilsam sein, wenn sich jemand die Mühe gäbe, diese Beispiele als Muster, wie man nicht scherzen solle, zu sammeln und jungen Dichtern zur Warnung vorzuhalten.

 Bis jetzt kann man eben nicht sagen, dass der ächte Scherz eine gemeine Gabe der deutschen witzigen Köpfe sei. Die Alten glaubten, dass das, was bei den Griechen a’ .e..s... bei den Römern urbanitas, hieße und das nichts anders ist als ein in der größeren Welt und in feinern Gesellschaften gebildeter Geschmack, zum guten Scherz notwendig sei. Aber gar viel unserer jungen Dichter, deren Welt eine finstere Schule und nach dieser ein kurzer und meist in jugendlicher Ausgelassenheit zugebrachter Aufenthalt auf einer Universität, gewesen ist, glauben zum Scherzen aufgelegt zu sein, weil sie mutwillig sein können.

 Doch sind wir auch nicht ganz von Männern entblößt, die in wahrem Geschmack zu scherzen wußten. Schon vor mehr, als zweihundert Jahren, machte der Straßburgische Rechtsgelehrte, Johann Fischart, durch ächtes Scherzen dem deutschen Witz Ehre. Logau und Wernike wußten zu einer Zeit, da die deutsche Literatur noch in der Kindheit war, nicht ohne Feinheit zu scherzen. Aber Hagedorn hat, wie in manchem anderen Punkt des guten Geschmacks, also auch hierin die Bahn erst recht eröffnet. Liscov, Rost und Rabner sind bekannt genug und auch Zachariä, wie wohl er sich an weniger interessante Gegenstände gemacht, hat in seinen komischen Gedichten die Gabe zum Scherzen gezeigt. Dass Wieland den feinsten Scherz in seiner Gewalt habe, hat er bis zum Überfluss gezeigt. Nur Schade, dass seine Muse durch die Gesellschaft unzüchtiger Faune an ihrer ehemaligen Keuschheit großen Schaden gelitten. Dieser Mann, dessen großes Genie und außerordentlichen Talente ich so sehr als jemand erkenne, nehme es mir nicht übel, wenn ich hier frei gestehe, dass es mir noch nie begreiflich geworden, wie sein so scharfer Verstand ihm hat erlauben können, gewisse Stellen in seinen komischen Gedichten, die die mutwilligste Phantasie entworfen hat, stehen zu lassen. Die so seltene Gabe zu scherzen, die er in einem hohen Grad besitzt und an so vielen Stellen seiner Schriften so glücklich angewendet hat, sollte er sie nicht als ein kostbares Geschenk der Natur ansehen, die nie zu Reizung gewisser Lüste, die an sich schon zu viel Reizung haben, anzuwenden ist? Der Jugend ist offenbar mit solchen Reizungen nicht gedient5; und erschöpfte Wollüstlinge verdienen die wohl, dass ein Mann von Verstand ihnen helfe die Einbildungskraft zu erhizen?

 

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1 – ut ne quid temere ac fortuito inconsiderate negligenterque agamus. Nec enim ita generati a natura sumus, ut ad ludum jocumque facti esse videamur: sed ad severitatem potius et ad quædam studia graviora, atque majora. Ludo autem et joco uti quidem licet; sed sicut somno et quietibus cœteris, tum, cum gravibus seriisque rebus satisfecerimus. Cic. de Off. L. I.

2 Habet vim nescio an imperiosissimam et cui repugnari minime potest. Quintil. Inst. L. VI. c. 3.

3 Matthäus Delius aus Hamburg, dessen Werk de Arte jocandi sich im zweiten Teile der Sammlung, die unter dem Titel Deliciæ poë tarum Germanorum herausgekommen ist, befindet.

4 Duplex omnino est jocandi genus: illiberale, petulans, flagitiosum, obscœnum; alterum elegans, urbanum, ingeniosum, facetum. De Off. L. I.

 


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