Schön

Schön. (Schöne Künste) Die Untersuchung über die Natur und Beschaffenheit des Schönen, die an sich schon schwer genug ist, wird dadurch noch beträchtlich schwerer gemacht, dass das Wort vielfältig von Dingen gebraucht wird, die gefallen, ob wir gleich von ihrer Beschaffenheit nichts erkennen. Wir müssen also vor allen Dingen versuchen den eigentlichsten und engsten Sinn des Wortes zu bestimmen.

 So gewiss es ist, dass alles Schöne gefällt, so gewiss ist es auch, dass nicht alles, was gefällt, im eigentlichen Sinn schön genannt werden kann. Das Schöne macht nur eine von den mehreren Gattungen der Dinge, die gefallen, aus und um sie von anderen unterscheiden zu können, müssen wir diese Gattungen alle betrachten. Wir wollen aber, ohne uns in schwerfällige und tiefsinnige Speculationen einzulassen, bloß bei dem stehen bleiben, was die allgemeine und tägliche Erfahrung darüber an die Hand gibt.

 Diese lehrt uns ohne Zweideutigkeit, dass einige Dinge uns gefallen oder Vergnügen erwecken, ob wir gleich von ihrer Beschaffenheit nicht den geringsten Begriff haben. Von dieser Gattung sind alle Gegenstände, die bloß einen angenehmen Reiz in die Gliedmaßen der Sinne verursachen, an dem die Überlegung und die Kenntnis der Beschaffenheit des Gegenstandes, der ihn verursacht, nicht den geringsten Anteil haben. Im Grunde haben wir in diesem Fall nicht an der Sache, die uns das Vergnügen macht, sondern bloß an der Empfindung, die sie bewirkt, unser Wohlgefallen. Wir wissen so gar oft nicht wo der Gegenstand, der uns dieses Vergnügen macht, ist, noch was er ist; wir empfinden und lieben bloß seine Wirkung, ohne uns mit ihm selbst zu beschäftigen. Dies ist um so viel unzweifelhafter, da wir mehrere Arten dieses Vergnügens mit den Tieren gemein haben, die sich gewiss nie bei Betrachtung der Gegenstände, die auf sie wirken, aufhalten. Diese Dinge haben eine unmittelbare oder doch nahe mittelbare Beziehung auf unsere Bedürfnisse und machen eigentlich die Klasse aus, der man den Namen des Guten gegeben hat. Nur Kinder sagen von Speisen, sie schmecken schön; wer mehr unterscheiden gelernt hat, sagt, sie schmecken gut.

 Hingegen gibt es auch Dinge, die nicht eher gefallen, bis man sich eine deutliche Vorstellung von ihrer Beschaffenheit gemacht hat. Zuerst beschäftigen sie bloß den Verstand, und erst danach, wenn dieser eine gewisse Beschaffenheit an ihnen deutlich erkennt, fangen sie an zu gefallen. Wer nicht im Stand ist, nachzudenken oder jene Beschaffenheit einzusehen, dem bleiben sie völlig gleichgültig. In diese Klasse gehört alles, was durch Vollkommenheit gefällt, wie die Maschinen, die so verständig eingerichtet sind, dass sie dem Zweck völlig entsprechen; ingleichem, was durch Wahrheit gefällt, wie ein Beweis, darin die einzelnen Begriffe und Sätze so verbunden sind, dass eine völlige Überzeugung aus ihrer Vereinigung entsteht.

 Nun gibt es noch eine dritte Klasse der Dinge, die Wohlgefallen erwecken. Diese liegt zwischen den beiden vorhergehenden so in der Mitte, dass sie etwas von der Art der einen und der anderen an sich hat. Die Beschaffenheit der Gegenstände reizt unsere Aufmerksamkeit; aber ehe wir sie deutlich erkennen, ehe wir wissen, was die Sachen sein sollen, empfinden wir ein Wohlgefallen daran. Diese Gegenstände machen unseres Erachtens die Klasse des eigentlichen Schönen aus.

 Eine nähere Betrachtung dessen, was jede dieser drei Klassen der Dinge, die uns gefallen, besonderes und eigentümliches hat, lässt uns bald folgendes bemerken 1. Das Gute gefällt uns wegen seiner materiellen Beschaffenheit oder wegen seines Stoffs; der ohne Rücksicht auf seine Form, eine natürliche Kraft hat, unmittelbar angenehme Empfindungen zu erwecken. 2. Das Schöne gefällt uns, ohne Rücksicht auf den Wert seines Stoffes, wegen seiner Form oder Gestalt, die sich den Sinne oder der Einbildungskraft angenehm darstellt, ob sie gleich sonst nichts an sich hat, das den Gegenstand in anderen Absichten brauchbar machte. 3. Das Vollkommene gefällt weder durch seine Materie, noch durch seine äußerliche Form, sondern durch seine innere Einrichtung, wodurch es, ein Instrument oder Mittel wird, irgend einen Endzweck zu erreichen. Wir können uns diese dreifache Beschaffenheit an einem Diamant vereinigt vorstellen. Nach seinem Wert im Handel, gehört er in die Klasse des Guten; nach seinem Glanz und dem Feuer der Farben die darin spielen, in die Klasse des Schönen; nach seiner Härte und Unzerstörbarkeit in die Klasse des Vollkommenen.

 Es ist aber hier der Ort nicht diese drei Klassen der Dinge, die Gefallen erwecken, näher zu betrachten und das, was jede von der anderen unterscheidet, genau anzuzeigen. Nur den eigentlichen Charakter des Schönen haben wir hier näher zu entwickeln.

 Einige Philosophen haben gelehrt, die Schönheit sei nichts anders, als Vollkommenheit, insofern sie nicht deutlich eingesehen, sondern nur klar, aber völlig verwickelt gefühlt werde. Aber diese Erklärung ist nicht allgemein wahr. Es gibt, wie wir danach sehen werden, eine Schönheit, die diesen Charakter hat; aber nicht alles Schöne ist von dieser Art. Die Vollkommenheit einer Sache lässt sich weder deutlich erkennen, noch undeutlich fühlen, wenn man nicht entweder bestimmt weiß oder doch mit einiger Klarheit fühlt, was die Sache sein soll. Dieses ist aus dem Begriff der Vollkommenheit klar.1 Nun gibt es unzählige Dinge, die wir Schön nennen, ob wir gleich nicht den geringsten Begriff von ihrer Bestimmung haben und weder erkennen, noch fühlen, was sie eigentlich sein sollen. Doch könnte man sagen, das Schöne sei die Vollkommenheit der äußern Form oder Gestalt. Ob wir nun gleich die besonderen Gestalten als der Tiere und Pflanzen, nicht nach der jeder eigenen Vollkommenheit beurteilen können, da wir das besondere Ideal, was jede sein soll, nicht besitzen; so wissen wir doch überhaupt, dass die mannigfaltigen Teile, in ein wohl geordnetes Ganze sollten vereinigt werden und insofern haben wir einen allgemeinen Begriff von Vollkommenheit der Form.

 Nach diesen vorläufigen Erläuterungen, wollen wir versuchen, den Begriff des eigentlichen Schönen, so viel uns möglich sein wird, zu entwickeln. Es intereßirt also durch seine Form, bloß insofern sich dieselbe den Sinnen oder der Einbildungskraft angenehm darstellt, ohne Rücksicht auf seinen Stoff oder auf seine mechanische Beschaffenheit, nach der es als ein zu gewissem Gebrauch bestimmtes Instrument angesehen wird. Für den Eigennützigen ist Schönheit nichts; weil man sie durch bloßes Anschauen genießt; für den spekulativen Kopf, ist sie etwas sehr geringes, weil ihre Beschaffenheit nicht deutlich kann erkennt werden. Der Liebhaber des Schönen steht zwischen dem bloß Materiellen, ganz sinnlichen Menschen und dem, der bloß Geist und Verstand ist, in der Mitte. An diesen grenzt er wegen des Wohlgefallens, das er an Speculationen der Einbildungskraft hat und an jenen, weil er lüstern ist, nach feinern Reizungen der Phantasie.

 Aber wie muss jene Form, wodurch das Schöne gefällt, beschaffen sein? Auch in Ansehung dieser liegt das Schöne dergestalt zwischen dem Guten und dem Vollkommenen, dass es an beide grenzt. Ein Teil seines Wertes, wird durch unmittelbares aber feiners Gefühl bestimmt, wie der Wert des Guten und ein Teil aus Erkenntnis, die aber beim Schönen nicht bis auf die Deutlichkeit steiget. Darum wäre es ein vergebliches Unternehmen, die völlige Entwicklung seiner Beschaffenheit zu suchen.

 Doch ist es nicht so, wie das Gute, dass man außer dem unmittelbaren Gefühl seiner Wirkung gar nichts daran erkennte; nur muss man nicht eine völlig deutliche Entwicklung seiner Beschaffenheit verlangen, wie man sie von dem Vollkommenen geben kann. Wenn wir bei bloß klaren Begriffen stehen bleiben, so lässt sich allerdings von der Form, daran die Phantasie Gefallen findet, verschiedenes angeben.

 So viel ich davon habe bemerken können, lassen sich die Eigenschaften des schönen auf drei Hauptpunkte bringen. 1. Die Form im Ganzen betrachtet, muss bestimmt und ohne mühesame Anstrengung gefasst werden. 2. Sie muss Mannigfaltigkeit fühlen lassen, aber in der Mannigfaltigkeit Ordnung. 3. Das Mannigfaltige muss so in Eines zusammenfließen, dass nichts Einzelnes besonders rührt. Wir wollen so gut wir können, diese drei Hauptpunkte etwas näher entwickeln.

 1. Dass ein Gegenstand, der uns durch sein äußerliches Ansehen gefallen soll, ein Ganzes und nicht ein Bruchstück von einem Ganzen sein müsse, ist anderswo hinlänglich gezeigt worden2, dass er wohl begrenzt und bestimmt in die Sinnen oder in die Phantasie fallen müsse, ist daher leicht abzunehmen, dass das Ungewisse in seiner Begränzung uns zweifelhaft macht, ob es ganz sei, und dass es der Klarheit der Vorstellung schadet. Die Ungewissheit, ob man eine Sache recht sehe oder nicht, hat notwendig etwas Beunruhigendes, folglich Unangenehmes an sich. Dass der Gegenstand ohne mühesame Anstrengung müsse gefasst werden, ist nicht weniger klar; weil jede Bestrebung, so lange man ungewiss ist, ob sie das Ziehl erreichen werde, etwas unangenehmes hat.

  Dieses letzte ist aber nicht so zu verstehen, dass das Schöne notwendig auf den ersten Blick, ohne Anstrengung von Seite des Beobachters in die Augen fallen müsse. Vielmehr geschieht es gar oft, dass durch vorhergegangene Bemühung die Sache richtig zu fassen, das Vergnügen des Anschauens desto lebhafter wird. Der Sinn jenes Ausspruchs ist dieser, dass die Gestalt der Sache, wenn es gleich Mühe gekostet hat, sie zu fassen, nun, da sie einmal gefasst worden, ohne anhaltendes Bestreben gefasst werde. Man sieht hieraus zugleich, warum nicht jedes Schöne jedem Menschen gefällt. Ein kurzsichtiger, der ein großes Gebäude nicht auf einmal übersehen kann, wird es nicht schön finden. Je ausgedehnter die Kraft ist, etwas bestimmt zu fassen, je fähiger ist man auch Schönheit zu empfinden, die geringeren Kräften nicht fühlbar sind.

 Dass die Größe der Schönheit von jedem nach dem Maße seiner Fähigkeit mehr oder weniger auf einmal zu fassen, geschätzt werde, und dass das, was für ungeübte, sowohl innere als äußere Sinnen, die höchste Schönheit ist, dem, dessen Geschmack eine weitere Sphäre umfasst, nur mittelmäßig schön sein könne, ist eine wichtige Bemerkung. Wenn wir dieses aus der Acht lassen, so stoßen wir bei der Untersuchung über die Schönheit auf Widersprüche, die notwendig verwirren. Denn dass ein Mensch Schönheit findet, wo ein anderer sie zu vermissen glaubt, kommt gar nicht, wie man sich oft fälschlich einbildet, daher, dass unsere Begriffe über das Schöne wankend wären oder dass die Schönheit an sich nichts bestimmtes sei. Die Schönheit hat dieses mit der Größe gemein; einer findet klein, was einem anderen groß scheint und ein im Überfluss erzogener Mensch nennt Armut, was manchem anderen Reichtum wäre. Darum fällt es keinem Menschen von Verstand ein, zu behaupten, ein geringer Grad der Größe, sei keine Größe und ein geringes Vermögen, sei kein Vermögen. Warum sollte man denn sagen, ein geringer Grad der Schönheit sei keine Schönheit?

 Was Aristoteles vom Schönen sagt, dass es weder sehr groß noch sehr klein sein müsse, hat hierin seinen Grund. Was für uns zu groß oder zu klein ist, kann im Ganzen nicht ohne beständig anhaltendes Bestreben gefasst werden.

  2. Dass das Schöne Mannigfaltigkeit müsse fühlen lassen, ist auch leicht zu begreifen. Was einfach oder ohne Teil ist, kann wohl auf die Empfindung aber nicht auf die Vorstellungskraft wirken. Was aber bloß Menge der Teile hat, ohne Verschiedenheit, kann kein Nachdenken, kein Verweilen der Vorstellungskraft bei dieser Menge veranlassen, weil die Teile nichts verschiedenes haben; die bloße Anzahl derselben hat keinen Reiz für die Phantasie, die sie nicht beschäftigen kann. Denn so bald sie einen gefasst hat, hat sie zugleich alle gefasst. Aber wo Mannigfaltigkeit da ist, da wirkt jeder Teil etwas zum Ganzen. Man wird in eine angenehme Überraschung gesetzt, zu sehen, wie so vielerlei Dinge, doch nur ein Ding aus machen. Damit aber das Mannigfaltige durch die Menge nicht verwirre, muss Ebenmaß und Ordnung darin sein. Diese wirken Faßlichkeit in der Menge3.

 3. Von diesem Mannigfaltigen muss kein Teil besonders und für sich rühren; weil er die Faßlichkeit des Ganzen hindern würde, indem er die Kraft der Aufmerksamkeit auf sich zöge. Darum muss, in Absicht auf die Größe der Teile, jeder ein gutes Verhältnis zum übrigen haben; und in anderen Absichten z. B. Form, Farbe und anderer in die Sinne oder Phantasie fallenden Eigenschaften, gute Übereinstimmung oder Harmonie. Wo die Menge kleinerer Teile groß ist, da müssen sie in größeren Gruppen zusammenhängen, damit man nicht das kleinste mit dem Ganzen, sondern mit dem Hauptteil, davon es ein Glied macht, zu vergleichen habe. Alles dieses ist in anderen Artikeln weiter ausgeführt worden4. Dieses erlaubt uns die Eigenschaften des schönen hier bloß anzuzeigen, ohne die Sachen weitläufig auszuführen.

  Wo alle diese Eigenschaften sich zusammen finden, da ist Schönheit: Aber darum noch nicht jene paradiesische oder himmlische Schönheit, deren Genuß Glückselig keit ist. Das Schöne, dessen Eigenschaften wir angezeigt haben, erweckt Wohlgefallen; aber es bleibt in der Phantasie und berührt das Herz nur leicht und gleichsam an der Oberfläche. Nur Menschen ohne Herz und ohne Verstand, die ganz Phantasie sind, finden Befriedigung daran. Virtuosen von der leichtern Art, die gleichsam von Dünsten und Luft leben und auch von bloßem Hauch der Luft in Bewegung gesetzt werden, sprechen oft mit Entzücken von dieser Schönheit; die Täuschung macht sie schon selig.

 Im Grund ist dieses Schöne nur die äußere Form oder das Kleid, in dem sowohl gute als schlechte Dinge erscheinen können. Es gibt ihnen noch keinen inneren Wert, sondern dient bloß die Aufmerksamkeit zu reizen, dass man mit Wohlgefallen auf diese schön bekleidete Dinge sieht.

 Eine höhere Gattung des Schönen entsteht aus enger Vereinigung des Vollkommenen, des Schönen und des Guten. Diese erweckt nicht bloß Wohlgefallen, sondern wahre innere Wollust, die sich oft der ganzen Seele bemächtigt und deren Genuß Glückselig keit ist. Wir begnügen uns die Art und das eigentliche Wesen dieser Schönheit nur an einem besonderen Falle zu beschreiben, um ein sinnliches Bild davon zu geben, vermittelst dessen der Begriff dieser höheren Schönheit faßlich werde. Dieses Bild ist der Inhalt des folgenden Artikels.

 

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1 S. Vollkommenheit.

2 S. Ganz.

3 S. Ordnung.

4 S. Ebenmaß, Einförmigkeit; Giled; Gruppe; Hamonie.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 08:28:20 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
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