Solfeggieren. Solmisieren. (Musik) Bedeutet ursprünglich, vermittelst der sechs aretinischen Silben, eine Melodie singen; es wird aber auch überhaupt von jedem Notenlesen oder Singen gebraucht, wobei man den Noten gewisse Namen gibt. In diesem weiten Sinne nehmen wir das Wort in diesem Artikel, in welchem von diesen ersten Übungen der künftigen Sänger soll gesprochen werden. Anfänger der Singkunst machen mit dem Solfeggiren den Anfang und werden auf mannigfaltige Art so lange darin geübt, bis sie nach Noten singen oder, wie man sagt, treffen können.
In den mehresten Orten Deutschlands bedient man sich zum Solfeggiren der nämlichen Silben und Buchstaben, womit die Töne benennet werden. Man singt die Tonleiter von C über c d e f g a h | c– und die Fortschreitungen durch halbe Töne über c cis d dis e u.s.w. ohne dazu andere Silben zu gebrauchen. Diese Methode hat den Vorteil, dass das Gedächtnis des Singschülers nicht mit zweierlei Benennungen desselben Tones beschweret wird: indessen ist nicht zu leugnen, dass einige Mitlauter und die vielen i in cis, dis, fis u.a. der Stimme im Singen etwas hart und unbequem fallen. Doch so arg ist es hiemit nicht als Rousseau es vielleicht meint, wenn er sagt, dass die Methode der Deutschen so hart und so voller Verwirrung sei, dass man ein Deutscher sein müsse, um danach solfeggiren zu können und demungeachtet ein Meister der Kunst zu werden1. Ein Franzose hat freilich keinen Begriff von der Leichtigkeit, mit der ein Deutscher das g oder h aussprechen und darauf einen vollen Ton angeben kann, noch das Vermögen es ihm nachzumachen: und was die Unordnung anbetrifft, die mit dieser Methode verknüpft sein soll, so trifft dieser Vorwurf nur einige wenige eigensinnigen Sangmeister, die die fast durchgängig in Deutschland festgesetzte Benennung der Töne nicht annehmen, sondern zween verschiedenen Tönen oft dieselbe Benennung geben, z.B. dis für dis und es, fis für fis und ges etc. wodurch der Schüler freilich verwirrt gemacht werden muss. Bei Vernünftigern hat nach der einfachen Regel: bei allen durch erhöhten Tönen den Namen c, d, e u.s.w. die Endigung is und bei allen durch b erniedrigten Tönen, außer bei dem h, welches b genannt wird, den Selbstlautern ein s und den Mitlautern ein es zuzusetzen, jeder Ton seine ihm eigne Benennung und kann daher weder mit anderen verwechselt werden, noch im Solfeggiren die geringste Unordnung verursachen. Es ist wahr, dass einige von diesen Benennungen als vornehmlich eis und ais zum Singen ganz und gar unbequem sind; aber ist es denn ein Gesetz, dass der Sänger in allen Tonarten solfeggiren muss? und wenn er in F und B dur solfeggiren und die Noten treffen kann, wird er nicht, wenn man ihm einen Begriff von der Transposition der Tonarten gemacht hat, jedes Singstück aus dem Fis oder H dur, wo diese Benennungen am häufigsten vorkommen, eben so leicht treffen? Da der Sänger mit keiner Applicatur zu tun, sondern bloß Intervalle zu treffen hat, die in allen Tonarten dieselben sind, so lehre man ihn solches in den, in Ansehung der Benennung der Töne, leichtesten Tonarten und um ihn mit den schwereren Tonarten bekannt zu machen, lasse man ihn über verschiedentlich ausgesuchte leicht und schwer auszusprechende Worte singen und gebe darauf Acht, dass er sie deutlich und verständlich ausspreche. Dieses ist von größerer Wichtigkeit als die Subtilitäten über die Benennung der Töne, ob es für den Sänger bequemer sei, ut oder do oder c zu singen. Diejenigen, die so sehr für leicht auszusprechende Silben und wohlklingende Vocalen sind, bedenken nicht, dass der daran gewöhnte Sänger dadurch oft untüchtig gemacht wird, in der Folge über ein etwas hartes Wort einen reinen Ton anzugeben. Noch schlimmere Folgen hat die Methode, dem Sänger, wenn er die Noten und Intervalle schon begriffen hat, ganze Stücke über einen einzigen Vocal, wie z. B. über a singen zu lassen; dadurch wird seine Kehle zu einer Pfeife, die nur tönt; er gewöhnt sich zu einer lahmen Aussprache im Singen und alle Worte, die er ausspricht, verwandeln sich endlich in Silben, die alle nur das a zum Selbstlauter haben. Statt leben, singt er: laban ; statt frölich: fralach etc. Ja bei einigen Sängern, die sich täglich in dieser Art zu solfeggiren oder vielmehr in Passagen üben, bemerkt man diesen Fehler der Aussprache schon in der gemeinen Rede. Selten ist die deutsche Singpoesie von einigen harten oder wenigstens im Singen schwer auszusprechenden Worten frei; darum muss der angehende Sänger neben dem Solfeggiren zugleich in der deutlichen Aussprache leichter und schwerer Worte und aller Vocalen am sorgfältigsten geübt werden, damit er verständlich singen lerne: werden die Worte des Sängers nicht verstanden, so ist er für weiter nichts als eine lebendige Pfeife zu halten.
In einigen Provinzen von Deutschland wird noch nach den sechs aretinischen Silben ut re mi fa sol la solfeggiret; dass diese Methode nur bei den alten Tonarten mit Nutzen zu gebrauchen, hingegen in den neueren wegen der unnützen Schwierigkeiten, die sie verursachen, mit Recht verwerflich sei, wird in dem folgenden Artikel gezeigt werden. Die Franzosen, die diesen sechs Silben, um die Oktave auszufüllen, die siebente nämlich si zugesetzt haben, tun sich nicht wenig auf diese sieben Silben zu gut und preisen sie als die leichtesten zum Solfeggiren an. Wir finden diese Methode aber aus der Ursache, dass c, ces, cis, ut, d, des, dis, re, heißen, folglich drei Töne in unserem Notensystem immer nur einerlei Benennung haben, so unvollkommen, und für den Schüler, zumal wenn er, wie Roußeau will, die Benennung der Töne der Tonart C in alle übrigen Tonarten transponiren soll, so dass ut die Tonika, mi die Mediante, sol die Dominante jeder Tonart sei, ohngeachtet des Nutzens, den man sich von dieser Transposition versprechen könnte, so schwer, dass wir sie den deutschen Sangmeistern mit gutem Gewissen nicht anraten können. Will man sich aber doch wohlklingender Silben zum Solfeggiren bedienen, so wähle man solche, wo die Benennung der natürlichen und der durch oder b erhöhten und erniedrigten Töne unterschieden und leicht faßlich sind. Von dieser Art sind folgende von Grauns Erfindung: deren Anfangsbuchstaben die zwei Buchstaben es zugefügt werden, wenn die Note durch ein um einen halben Ton erhöhet wird, nämlich: des, mes, nes etc. und as, wenn sie durch ein b um einen halben Ton erniedriget wird, das, mas, nas etc. Herr Hiller hat in einer vor kurzer Zeit herausgegebenen Anleitung zum musikalisch - richtigen Gesange von dieser sogenannten Damenisation Gebrauch gemacht; aber er nimmt wieder die Absicht des Erfinders derselben, die bloß statt der gewöhnlichen Benennung der Töne eine leichtere und zum Singen bequemere Silbeneinführung zum Grunde hatte, wovon da allezeit c, me allezeit d, ni allezeit e u.s.w. bezeichnen sollte<S>2</S>, mit diesen Silben Mutationen, nach Art der Aretinischen Solmisation<S>3</S> vor, wodurch dem angehenden Sänger die Schwierigkeit, die Intervallen treffen zu lernen, doch gewiss vergrößert wird, weil seine Aufmerksamkeit von den Intervallen abgezogen und auf die Mutation der Silben gerichtet, wenigstens dadurch geteilt wird.
Die Hauptabsicht des Solfeggirens, es geschehe nun auf welche Art es wolle, ist treffen zu lernen. Ich kann hier nicht umhin, kürzlich einer Methode zu erwähnen, die mir vor allen anderen die bequemste scheint, um diese Absicht bei angehenden Sängern glücklich und geschwind zu erreichen. Nachdem die Noten und die auf- und absteigende C dur und A moll Tonleiter nach der gewöhnlichen Benennung der Töne gefasst sind, mache man dem Schüler einen Begriff von der Transposition dieser Tonleitern in andere Tonarten und der daher entstehenden Notwendigkeit der Vorzeichnungen. Darauf wird der auf- und absteigende Dreiklang eines jeden Moll- und Durtons, der dem Gesange nach sehr leicht zu lernen ist, gesungen und der Schüler auf die in jedem Dreiklang enthaltenen Intervalle aufmerksam gemacht. In der Tonleiter und dem Dreiklang sind fast alle Intervallen einer Tonart enthalten. Kleine Exempel, wo diese Intervallen um einen halben Ton erhöhet oder erniedriget vorkommen, üben den Schüler in den übrigen Intervallen. Jede Lection wird endlich mit kleinen Singstücken über Worte untermischt, damit der Schüler sogleich gewohnt werde, von der einförmigen Benennung der Töne zu abstrahiren. Diese Methode empfiehlt sich durch ihre Einförmigkeit und Gründlichkeit; auch währt es nicht lange, dass nicht jeder aufmerksame Schüler, der nur einiges Talent zum Singen hat, in mäßiger Bewegung alles vom Blatt treffen könnte.
Die Transposition der Tonarten ist allerdings das schwerste in der Singkunst. Mancher Sänger singt in C dur alles vom Blatt und würde in H dur unsicher treffen, weil er mit dieser Tonart nicht bekannt genug ist; und doch singt er ein ihm bekanntes Singstück in jeder Tonart mit gleicher Leichtigkeit. Diese Schwierigkeit könnte leicht gehoben werden, wenn die Singcomponisten sich gefallen lassen wollten, die Singstimme eines Stücks, es gehe aus welchem Ton es wolle, nach Art der Waldhörnerstimmen allezeit in C dur oder wäre es eine Molltonart, in A moll zu transponiren. Allenfalls könnte noch ein Schlüssel zu Hilfe genommen werden, um die zu vielen Nebenlinien unter und über dem Notensystem zu vermeiden. Der Sänger würde alsdann nur zwei Tonarten und zwei Schlüssel sich bekannt machen dürfen, statt dass er, nach der gewöhnlichen Art zu schreiben, sich in zwölf harten und zwölf weichen Tonarten festsetzen muss, wovon die mehresten ihm das Solfeggiren so sauer machen, dass ihm oft die Lust vergeht, treffen zu lernen, ob er gleich der Kunst zu singen nicht entsagt. Daher sind so viele Sänger von Profeßion, die zur Schande der Kunst und der großmütigen Belohnung oft nicht eine Terz vom Blatt zu singen im Stande sind.
Singstücke ohne Worte, die bloß zum Solfeggiren gemacht und zur Übung der Singstimme und des Treffens dienen, werden Solfeggi genannt.
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1 Dict. de Musique. Art. Solfier.
2 S. Marpurgs Singkunst. S. 41. 42.
3 S. den folg. Art.