Caruso im Affenhaus
Darwinist. Welthistoriker melden: »Signor Caruso, der größte Tenor der Welt, wurde im Affenhause des Zoologischen Gartens verhaftet. Ein Polizist beobachtete den Sänger, der einer ihm unbekannten Dame, die dagegen protestierte, in Gegenwart ihres Söhnchens handgreifliche Zärtlichkeiten aufdrängte. Caruso, der in der Zelle der Polizeistation in Tränen ausbrach, bestreitet alles. Er wurde nach mehrstündiger Haft gegen eine von Conried erlegte Kaution freigelassen. Dabei fiel er, noch immer weinend, Conried um den Hals. Es dürfte noch erinnerlich sein, wie die Zeitungen von San Francisco gelegentlich des Erdbebens berichteten, Caruso sei von einer Frau geohrfeigt worden, die er, um sich zu retten, umgerannt hatte. Die Parkpolizisten sagen aus, dass sie von fünf ähnlichen Fällen, in denen Caruso sich an Frauen herandrängte, wissen, und behaupten, ihn schon einmal aus dem Affenhaus wegen eines gleichen Angriffs hinausgeworfen zu haben. Carusos Rechtsbeistand rief aus: ›Das ist unmöglich, Signor Caruso könnte so etwas nicht tun! Es ist unwahr, dass Signor Caruso eine falsche Tasche in seinem langen Überzieher hat, durch die er seine Finger stecken und Leute berühren kann, während er seine Hände in den Taschen zu haben scheint.‹« Auch wird berichtet, die Dame, die sich merkwürdigerweise von Herrn Caruso nicht um die Hüfte fassen lassen wollte, habe dem Sänger mit lauter Stimme zugerufen: »Tun Sie das nicht noch einmal!« Also nicht einmal zur Wiederholung verlangt! Aber die Rückentwickelung des Tenors aus dem Wiener Opernhaus bis zum New-Yorker Affenhaus ist jedenfalls eine interessante biologische Tatsache. Auf der Bühne gehen die exhibitionischen Exzesse über das hohe C nicht hinaus, im Leben muß eine anschaulichere Praxis die Stimmentfaltung ersetzen. Dann wird der Wiener Hofrat, der den Kammersängertitel überbringt, allerdings durch einen Konstabler ersetzt. Wer die Beziehungen zwischen der Tenorstimme und den weiblichen Geschlechtsnerven einigermaßen kennt, hätte sich allerdings schon für eine Verhaftung Carusos im Opernhause aussprechen müssen. Vorausgesetzt natürlich, dass man von der Ansicht ausgeht, dass die Frauen die fast handgreiflichen Zärtlichkeiten des Kehlkopfs als Belästigung empfinden.
Nr. 212, VIII. Jahr
23. November 1906.