Burgtheaterkritik


Burgtheaterbesucher. Nach der Aufführung des »Biberpelz« — ein »Köpenick« von Hauptmann — wurde Herr Devrient getadelt, weil er den Wehrhahn charakterisierte, Herr Thimig getadelt, weil er den Krüger chargierte, Frau Schmittlein, die den schlesischen Dialekt besser meistert als ihre Kritiker das Hochdeutsch, getadelt, »weil ihr die Hilfe des Dialekts fehlte«, und wieder Herr Thimig getadelt, weil er zu gut sächsisch sprach. Nur Herr Treßler, der als Wulkow mit unübertrefflichem Augenspiel die Situation zwischen Dieb, Richter und Hehler zur höchsten Höhe ihrer Komik trieb, war zugleich so und so. »Seinem lebhaften Temperament«, meint einer, »widerspricht die breite, stumpfe Behäbigkeit der Gestalt bei jedem Wort«; und er kam als Schiffer Wulkow »so langsam vom Fleck, als redete er gewissermaßen stromaufwärts«, schreibt ein anderer, der stets zu einem gefundenen Witz ein passendes Urteil sucht. Die notwendige Meinungsverschiedenheit bietet der Verteidiger in Strafsachen, der im ›Neuen Wiener Journal‹ für das Burgtheater plaidiert, »in sich«. Ist Hauptmann ein Dramatiker oder ein Epiker? Man höre: »Der ›Biberpelz‹ ist unter den zahllosen Milieudichtungen des selig entschlafenen Naturalismus diejenige, die alle Wandlungen der Zeit und Mode mit der Kraft urwüchsiger Echtheit überleben wird. Daneben ist — trotz seines stärkeren dramatischen Pulses doch nur in angemessenem Abstande — nur noch Heyerman’s Drama ›Hoffnung‹ zu nennen … Mag sein, dass Hauptmann sich in den Formen naturalistischer Gestaltung am wohlsten und heimischesten fühlt, wenigstens so weit es sich um Freskomalerei handelt. Die herrlichen Seelengemälde, die er sonst geschaffen, jene feinen, zarten Blüten intimer Kunst, sie werden, denke ich, immer mit mehr Genuß gelesen als gesehen werden. Denn sie können insgesamt ihre epische Anlage nicht verleugnen. Hauptmann, der Theaterdichter, greift aber ins Volle und zeichnet seine Gestalten in den großen, breiten Linien der Theatermalerei. Darin ist er nun allerdings ein unübertroffener Meister. Wie er im ›Biberpelz‹ mit einigen kühnen Pinselstrichen .... ohne Phrase ....« (Die Worte »ohne Phrase« gehören zum Zitat.) Und so werden Sie, meine Herren Geschwornen, mögen Sie nun den Angeklagten für einen Epiker oder für einen Dramatiker halten, nicht umhin können …

 

 

Nr. 214-215, VIII. Jahr

22. Dezember 1906.


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