Die Enthaftung der Regine Riehl und das Abenteuer des deutschen Kronprinzen


Wasserer. Noch einiges aus dem ›Extrablatt‹. Ein Artikel über die Enthaftung der Regine Riehl. Wohl ein wütender Protest der Mädchenbefreier, die auf den Lorbeeren ausruhen, die sie einem Schweinsrüssel abgenommen haben? In deutschen Verleger-Fachblättern, die die profitablen Geheimnisse eines redaktionellen Salons kennen, war die »Tat« des ›Extrablatts‹ gefeiert worden, und die Münchener ›Jugend‹, die der Hirth aller politischen Schafe Deutsch-Österreichs noch immer betreut, hatte dem Herrn Bader eine Hymne gewidmet. Nun ist Regine Riehl enthaftet, aber das ›Extrablatt‹ hat sich bereits so weit beruhigt, dass es diese sonderbare Befreiung einer Kupplerin aus dem geschlossenen Hause in der Alserstraße nicht mit jenem Pathos begleitet, auf das man immerhin hätte rechnen dürfen. Oder enthüllt es wenigstens die Motive dieser Enthaftung gegen lumpige 50.000 Kronen Kaution — ein Bettel neben den Verdiensten der Riehl durch die Mädchen und des ›Extrablatts‹ um die Mädchen der Grünethorgasse? Da liest man plötzlich den Namen »Johann Altenburger«. Aha! Hier steckt vielleicht die Sensation. Siehe da, die Stelle lautet: »In der Hand trug sie eine Hutschachtel, welche einige Kleidungsstücke enthielt. Vor dem Tore in der Landesgerichtsstraße wartete der von Herrn Johann Altenburger gelenkte Einspännerwagen Nr. 281. Regine Riehl bestieg rasch den Wagen, ihr Vater nahm neben ihr Platz. Die Fahrt ging in die Grünethorgasse Nr. 24. Das unerwartete Erscheinen der Frau Riehl erregte in der Grünethorgasse großes Aufsehen. Kaum hatte der Wagen beim Hause gehalten, eilten schon Leute aus der Nachbarschaft herbei …« Das ›Extrablatt‹ hat also wieder seine alte Richtung gefunden. Der Einspänner, der die Riehl vom Landesgerichte abholte, war der 281er! So löst sich alles in Wohlgefallen auf. »Und darum Räuber und Mörder!« möchte man ausrufen, wenn die Räuber und Mörder nicht Abonnenten des ›Extrablatts‹ wären. — »Das Reiseabenteuer des deutschen Kronprinzen«. Er war nämlich in Österreich, und nun geht die Kunde von dem, was er bei einer wilden Völkerschaft erlebt hat, durch die Zeitungen. Der Bahnhofrestaurateur der Station Wesely hat ihm für einen kalten Aufschnitt 160 Kronen gerechnet, der deutsche Konsul intervenierte, dem Bahnhofrestaurateur wurde gekündigt und die Kündigung durch die Intervention des österreichischen Thronfolgers, der an den Eisenbahnminister, höchstdero treugehorsamste Regierung, depeschierte, rückgängig gemacht. Eine Affaire, die täglich eine neue Wendung bringt und zu einer andern Kündigung, nämlich der des Dreibunds, führen dürfte. Wie sie sich schon heute im Hirn eines ›Extrablatt‹-Lesers abspielt, beweist der folgende Herzensschrei: »Löbliche Redaktion! Nachdem auch Ihr geschätztes Blatt die Nachricht bringt, dass der Bahnhofrestaurateur in Wesely mit Entlassung gestraft wurde, weil er dem deutschen Kronprinzen, der bei ihm mit seiner Begleitung speiste, eine Rechnung von 160 Kronen machte, so möchte ich nur konstatieren, dass die Bevölkerung, namentlich die Wiener mit dieser Sentenz durchaus nicht einverstanden ist. Wenn die Staatseisenbahn-Verwaltung vor dem deutschen Kronprinzen so zusammenknickt, dann ist da von Freisinn gar keine Rede. Was ist geschehen? Ein Kronprinz speist einmal in seinem Leben mit seiner Begleitung bei einem Wirte und es werden 160 Kronen gerechnet. Ist denn das gar so viel? Und wenn der Wirt die Hälfte, also 80 Kronen verdient hätte, ist denn das gar so außerordentlich? Die Strafe steht jedenfalls nicht im Verhältnisse zu der angeblichen Schuld. Es ist da ein Stück Mittelalter, das aufgerollt wird, und ein Beweis, wie rückschrittlich wir sind. Hochachtungsvoll …«

 

 

Nr. 214-215, VIII. Jahr

22. Dezember 1906.


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