Scherenschleifer


Scherenschleifer. Das 'Neue Wiener Journal' hat bekanntlich die gediegensten Mitarbeiter. Daran kann gar kein Zweifel sein, weil ja in anderen Zeitungen und Zeitschriften vortreffliche Aufsätze erscheinen. Mit Recht ist das 'Neue Wiener Journal' auf die Schar der Mitarbeiter dieser Zeitungen und Zeitschriften stolz. Es ist unvermeidlich, dass das 'Neue Wiener Journal' auch tote Autoren in mustergültigen Übersetzungen zu Worte kommen läßt, und man kann nicht verlangen, dass bei der unübersehbaren Fülle des Einlaufs immer unterschieden werde, welcher Mitarbeiter des Herrn Lippowitz bereits verstorben ist und welcher nicht. So ist es gewiß auch verzeihlich, dass in einem Zirkular, welches das 'Neue Wiener Journal' soeben versendet und in dem es seine Vorzüge anpreist, der folgende Passus enthalten ist: »Das Feuilleton bringt nur Originalarbeiten, vorwiegend aus der erzählenden Literatur, und nennt Namen wie: Anton Tschechoff, Maxim Gorki, Alfred Capus, Alphonse Daudet, Francis Coppée, Balduin Groller, Hans tom Kyle, Ottokar Tann-Bergler, Sigmund Schlesinger etc. unter seinen ständigen Mitarbeitern.« Nun, Meister wie Balduin Groller, Tann-Bergler und Sigmund Schlesinger unterscheiden sich von den Tschechoff und Daudet vor allem dadurch, dass sie noch am Leben und wirklich in der Redaktion des 'Neuen Wiener Journals' anzutreffen sind. Auch Gorki und Coppée leben noch, gehören aber nicht dem Verbande des 'Neuen Wiener Journals' an. Dass sie trotzdem ständig an dem Blatte des Herrn Lippowitz mitarbeiten, ist sicher. Viel bemerkenswerter ist aber die ständige Mitarbeit an dem 'Neuen Wiener Journal', die die Tschechoff und Daudet für die ewige Ruhe eingetauscht haben. Und sie alle liefern »nur Originalarbeiten«. Was jederzeit beweisbar ist. Denn es ist klar, dass sie ihre Arbeiten nicht aus dem 'Neuen Wiener Journal' gestohlen haben.

 

 

Nr. 200, VII. Jahr

3. April 1906.


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