Schmock


Schmock. Ich will meinen diesjährigen Konkordiaball-Bericht in die geflügelten Worte zusammenfassen: »Der diesjährige Konkordiaball übertraf an Glanz alle seine Vorgänger«. Nun wird man mir vorhalten, dass ich nicht über eine Veranstaltung sprechen soll, die ich nicht kenne, wird nachzuweisen suchen, dass ich dem diesjährigen Konkordiaball nicht beigewohnt habe und meine Kenntnis von seinem Gelingen bloß aus den Zeitungsberichten schöpfe. Das ist ja alles ganz richtig. Aber ich kann versichern, dass ich schon vor der Lektüre der Zeitungen, vordem diesjährigen Konkordiaball gewußt habe, dass der diesjährige Konkordiaball alle seine Vorgänger an Glanz übertreffen weide. Die Zeitungen selbst hatten das gewußt und in Vornotizen wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass »der diesjährige Konkordiaball, welcher Montag, den 19. Februar in den Sophiensälen stattfindet, seine Vorgänger an Glanz übertreffen dürfte«. Im nächsten Satze kamen natürlich die allbekannten »Spitzen der Behörden«, die trotz jahrzehntelangem Gebrauch gegen die Lockungen des Konkordiaballes noch immer nicht abgestumpft sind. Der Ballbericht hielt getreulich, was die Vornotiz versprochen hatte. Fürchterlich brandete das Schmocktum an der Estrade. Auf dieser Insel der Seligen müssen wieder schwitzende Komiteemitglieder, denen die Geistesperlen von der Stirne tropfen, die Politik mit der Kunst gepaart haben! Sind die folgenden Sätze meine Erfindung oder sind sie dem Bericht der 'Neuen Freien Presse' entnommen? »Es wurde gestern im Sophiensaale viel politisiert. Alle Welt tat es. Unsere schönen Gäste aus der Kunstwelt, die Sterne des Schauspiels und der Oper, schlossen sich nicht aus. Manches Wort an den, nein an die Minister wurde gerichtet, manche Interpellation aus schönem Munde wurde gestellt und mit galanter Bereitwilligkeit beantwortet. Die unzugänglichsten Parlamentarier hielten mit ihren Anschauungen über die Lage nicht zurück, nur sahen sie die Dinge weit rosiger und freundlicher als an gewöhnlichen Tagen ... Die Estrade im Sophiensaal, die am Konkordiaball stets das interessanteste und farbenreichste Kaleidoskop der Wiener Gesellschaft bietet, hat auch gestern Politiker und Diplomaten, Künstler und Künstlerinnen in schier unübersehbarer Fülle vereinigt. Da hört man aus einer Gruppe das inhaltsschwere Wort 'Demission!' Ein Minister hat's gesprochen; aber kein Grund zur Besorgnis um unser staatliches Wohl. Die schlagfertige Exzellenz hat das politische Gespräch mit der schönsten Wiener Operettendiva abgebrochen und die Neugierige seinerseits interviewt: 'Ist es richtig, dass gnädige Frau dem Direktor Ihre Demission angeboten haben? ...' Dort sieht man die französische Anmut der Després, hier werden Slezak und Schrödter autogrammhungrige Fächer entgegengestreckt. Frau Medelsky lacht so lieb und herzlich, dass man ihr tränenschwere Sentimentalität gar nicht zutrauen würde. Die Sterne der Oper und der Operette, Fräulein Kurz und Fräulein Bland, Frau Günther und Frau Zwerenz werden von zahllosen Trabanten umschwärmt, und Blasel, der Ewigjunge, erzählt freudig, dass er seinen vierzigsten Konkordiaball mitmacht; ein schönes Jubiläum, das aufgedeckt zu haben, ein Verdienst des rührigen Komitees bildet.« Ist das lieb? Und erst die Präsenzliste! Soviel Menschen im Saal, soviel Namen in der Zeitung. Trotzdem war nicht jeder da, der genannt wird, und wird nicht jeder genannt, der da war. Wie das? Genannt wird jeder, dessen »auf Namen lautende« Karte von seinem Sohn, seinem Schneider, seinem Kommis abgegeben wurde. Auf dem antisemitischen Schriftstellerball, der sich der liberalen Methode geschickt bemächtigt hat, wurde neulich ein längst verstorbener Burgschauspieler, an dessen Adresse nach alter Gewohnheit die Einladung geschickt wird, »unter den Anwesenden bemerkt«. Man teilt aber die Menschen in zwei Gruppen: solche, die den Konkordiaball besuchen und solche, die ihn nicht besuchen. Die ihn nicht besuchen, teilt man wieder in solche ein, die »unter den Anwesenden bemerkt« werden, und solche, die »ihr Fernbleiben entschuldigen«. Diese bilden eine eigene Rubrik. »Ihr Fernbleiben«, heißt es, »hatten entschuldigt«: Erzherzog Franz Ferdinand, Fürst Montenuovo, der Ministerpräsident, der Reichskriegsminister, der Finanzminister, der Leiter des Justizministeriums, Gesandte, Generale etc. etc. Eine stattliche Liste! Aber die »Entschuldigung«, die der Thronfolger dem Konkordiaball-Komitee geschrieben haben soll, würde mich interessieren. Auch ob der diesjährige Konkordiaball wirklich seine Vorgänger übertroffen hat. Nicht etwa bloß an grauenvoller Langweile, schlechter Luft, ordinärem Gedränge und ekelhaften Visagen. Das einzige 'Neue Wiener Tagblatt' übertreibt nicht: »Der Konkordiaball, der Montag in den Sophiensälen abgehalten wurde«, schreibt es, »glich auf ein Haar seinen Vorgängern«. Allerdings, weil nach seiner Ansicht »eine Steigerung des traditionellen Glanzes, der tausendfältigen Attraktionen dieses Balles wohl kaum möglich erscheint«.

 

 

Nr. 197, VII. Jahr

28. Februar 1906.


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