3. Italien


In Italien war im letzten Viertel des 18. und im ersten des 19. Jahrhunderts der Sensualismus Condillacs (vgl. S. 136 ff.) am einflußreichsten. In die Zeit der beginnenden nationalen Erhebung fallen die Bestrebungen der freisinnigen norditalienischen Geistlichen Rosmini (1797-1855) und Gioberti (1801-52), die Philosophie und katholisches Dogma zu verbinden suchten und, von der »intellektuellen Intuition« ausgehend, einen Ideal-Realismus bezw. Ontologismus ausbildeten, den dann Mamiani (1799-1885) und dessen Nachfolger Luigi Ferri (1826-95) einigermaßen modernisiert haben (»dynamischer Monismus«, im Gegensatz zu der englischen Assoziationspsychologie). In Neapel herrschte um die Mitte des Jahrhunderts noch der Hegelianismus vor.

Wie diesen Richtungen neuerdings der Neukantianismus siegreich entgegentrat, ist in § 73 auseinandergesetzt worden. Daneben hat ein mit dem letzteren verwandter Positivismus auch in Italien zahlreiche Anhänger, als deren wichtigster der Lombarde Ardigò (geb. 1828, in Padua, Opere filosofiche, 10 Bde. 1882-1910) anzusehen ist. Ardigòs Grundbegriffe sind die »Distinktion«, d. i. Entwicklung vom Unbestimmten zum Bestimmten (ähnlich Spencer), und der »Rhythmus«, d. i. die regelmäßige Wiederkehr der gleichen Erscheinungen. Aus dem Rhythmus der Empfindungen entwickeln sich die Denkkategorien, die Willensvorgänge und die moralischen oder sozialen Gefühle. Abzweigungen dieses Positivismus bilden die Sozialpädagogik von Angiulli (1837-90) und der marxistische Sozialismus von Antonio Labriola (1843 bis 1904, vgl. oben S. 461), Turati, Calojanni, B. Croce und Enrico Ferri, die zum Teil auch mit Lombroso und Garofalo eine neue, soziologisch bedingte Strafrechtstheorie vertreten.*) B. Croce (geb. 1866) hat sich seitdem zum Idealisten entwickelt und neben einer Ästhetik (1901, deutsch Leipzig 1905), die neben der Philosophie (= Wissenschaft) die Kunst als eine zweite Ausdrucksform der Wahrheit betrachtet, 1909 eine groß angelegte Filosofia dello spirito (»Philosophie des Geistes«) vollendet. Natürlich wird die gesamte moderne Philosophie auch dort von dem Neuthomismus aufs heftigste bekämpft. Einer der einflußreichsten Vertreter des letzteren, der Jesuit Cornoldi, fällte das schöne Urteil: »Die Geschichte der modernen Philosophie ist nichts anderes als die Geschichte der intellektuellen Irrungen des dem Schwindel seines Stolzes überlassenen Menschen, so dass diese Geschichte die Pathologie der menschlichen Vernunft heißen könnte.«

 

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*) R. Michels zählt in Sombarts Archiv nicht weniger als ca. 160 italienische Arbeiten über marxistische Geschichtsphilosophie, an 100 über Marxs Werttheorie auf.


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