a) Die Junghegelianer


1. Die Spaltung der Hegelschen Schule.

Die nächste Entwicklung der deutschen Philosophie knüpft sich an das Schicksal der bis zum Tode ihres Urhebers (1831) herrschend gebliebenen Hegelschen Schule. In ihr waren die verschiedensten Elemente vereint; mit der Philosophie ihres Meisters konnte man, wie nicht ohne Grund gesagt wurde, »alles« beweisen. Besonders dunkel hatte sich derselbe, um die von ihm erstrebte Versöhnung von Philosophie und Religion (d.h. Kirche) nicht zu gefährden, über die Annahme eines persönlichen Gottes, die Gottheit Christi und die individuelle Unsterblichkeit geäußert. Das Leben Jesu von David Friedrich Strauß, einem Tübinger Hegelianer, 1835/36 brachte die bisher mehr versteckten Gegensätze innerhalb der Schule zum offenen Ausbruch. Dies Buch, welches die evangelische Geschichte zum größten Teile in Mythen auflöste, den historischen Christus als die reell gewordene Idee der Menschheit, Gott pantheistisch als das Unendliche, die Unsterblichkeit als bloße Erhebung zur Idee auffaßte, platzte wie eine Bombe in die von religiösen Problemen erfüllte Zeit. Es spaltete die Hegelsche Schule, nach dem zuerst von Strauß gebrauchten, später oft wiederholten Vergleiche, in eine Rechte und eine Linke. Jene, auch die Partei der Althegelianer genannt, neigte religiös der Kirchenlehre, politisch dem Konservatismus zu; die Namen ihrer Vertreter haben heute keine Bedeutung mehr für uns. Andere, die eine mehr vermittelnde Stellung einnahmen, auch wohl als »Zentrum« bezeichnet, haben sich allmählich von den Hegelschen Konstruktionen abgewandt und sich entweder als Historiker der Philosophie wie J. E. Erdmann (1805 - 92, von 1836 bis zu seinem Tod Professor in Halle), Eduard Zeller (1814 - 1908), Schwegler (1819 - 57) und Kuno Fischer (1824 - 1907), oder auf anderen Spezialgebieten einen Namen erworben: so die Ästhetiker Schasler (1819 - 1903) und F. Th. Vischer (1807 - 87, Ästhetik, 3 Bde. 1846 - 57), der liberale Rechtsphilosoph Gans (1798 - 1839), der Herausgeber Kants und Biograph Hegels Karl Rosenkranz (1805 - 79), ferner die liberalen Theologen Biedermann, Daub, Marheineke, O. Pfleiderer (§ 78, 7), Vatke und Baur, der Begründer der sogenannten Tübinger Schule und ihrer Evangelienkritik, mit seinen Schülern Hilgenfeld (Jena) und Köstlin. Als unentwegter Anhänger bis an sein spätes Ende, ist Meister Hegel wohl nur der Berliner Michelet (1801 - 93, von 1829 - 93 außerordentlicher Professor daselbst) treu geblieben, der noch 1870 eine Schrift: Hegel, der unwiderlegte Weltphilosoph in die Welt sandte.

2. Die Junghegelianer.

Von weit größerer und unmittelbarerer Bedeutung für die nächste Entwicklung der religiösen und politischen Philosophie und des geistigen Lebens überhaupt wurde die Linke oder die Junghegelianer, die ihr Organ in Arnold Ruges Hallischen (1838), später (1841) Deutschen Jahrbüchern (1843 verboten) fanden und zu immer stärkerem Radikalismus übergingen. Sie vertraten den Satz, dass der wahre Kern der Hegelschen Lehre nicht in dem System, sondern in der dialektischen Methode der Entwicklung liege, die zur Negation des Bestehenden treibe, das notwendig »mit der Zeit« unvernünftig werde und sich in sein Gegenteil verwandele. Zu diesen Junghegelianern gehören vor allem D. F. Strauß, die Brüder Bruno und Edgar Bauer, Ludwig Feuerbach, diese vorherrschend auf religiösem Gebiete; ferner A. Ruge, Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, diese vorzugsweise auf politischem Gebiet. Von den drei letztgenannten wird später (§ 74) noch besonders gehandelt werden.

Von den ersteren hat philosophische Bedeutung im strengeren Sinne eigentlich nur Feuerbach. Strauß (1808 - 74) gehört durch seine oben bereits kurz gekennzeichnete Hauptleistung, die er in der Christlichen Glaubenslehre (2 Bde. 1840 - 41) zu einer Kritik der gesamten christlichen Dogmatik erweiterte, weniger der Geschichte der Philosophie als der Theologie, außerdem der allgemeinen Literatur (Ulrich von Hutten 1858 - 60, Voltaire 1870 - 71) an. Auf seinen materialistischen Ausgang wird im folgenden Kapitel noch zurückzukommen sein. Auch Bruno Bauer (1809 - 82), der anfangs der »Rechten« angehörte, dann aber zu dem rein negierenden Standpunkt der »reinen oder absoluten Kritik« oder des »unendlichen Selbstbewußtseins« überging, und sein noch radikalerer, aber auch unbedeutenderer Bruder Edgar (1820 - 86) sind zwar interessante Zeiterscheinungen, aber ohne tiefere Bedeutung für die Entwicklung der Philosophie; übrigens sind beide später in reaktionäres bezw. kirchlich - orthodoxes Fahrwasser geraten. Der ihrem Kreise (der Berliner »Freien«) angehörende, aber weit über sie hinausgehende Max Stirner ist als Vertreter eines extremen Individualismus ebenfalls später noch besonders zu betrachten.

 

Literatur: D. Koigen, Zur Geschichte und Sozialphilosophie des Junghegelianismus, Bern 1901. Vgl. auch die Literatur zu § 74 (Marxismus). - Über D. F. Strauß vgl. die kurze populäre Biographie seines Freundes E. Zeller (D. F. Strauß in seinem Leben und seinen Schriften geschildert 1874), der auch Strauß' Gesammelte Schriften (12 Bde., Bonn 1876 - 81) und Ausgewählte Briefe (Bonn 1895) herausgegeben hat; ferner das ältere Werk des liberalen Heidelberger Theologen A. Hausrath, D. Fr. Strauß und die Theologie seiner Zeit, 2 Bde., 1876 - 78, und die umfangreiche neuere Biographie von Theobald Ziegler, 2 Bde., 1908 f. Vgl. auch das 5. Kapitel von H. Maier, An der Grenze der Philosophie (Tüb. 1909).


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