3. Feuerbach


a) Leben und Schriften. Ludwig Feuerbach, geb. 1804 zu Landshut als Sohn des berühmten Kriminalisten Anselm Feuerbach, Oheim des gleichnamigen Malers, zog sich nach kurzer Dozententätigkeit in Erlangen 1836 aufs Land zurück und starb, einsam lind verlassen, in bedrängten Verhältnissen 1872. Seinen philosophischen Entwicklungsgang hat er selbst einmal in die Worte zusammengefaßt: Mein erster Gedanke war Gott, mein zweiter die Vernunft, mein dritter und letzter der Mensch. Seine lateinische Habilitationsschrift Über die eine universale unendliche Vernunft (1828) atmet noch ganz den Geist Hegels, den er seinen »zweiten Vater« nannte. Allein schon seine 1830 (anonym) erschienenen Gedanken über Tod und Unsterblichkeit haben mit dem Glauben an eine persönliche Unsterblichkeit gebrochen und predigen einen naturalistischen Pantheismus. Und seine Geschichte der neueren Philosophie von Baco bis Spinoza (1833), die den letzteren preist, wie noch mehr sein Pierre Bayle (1838) richten bereits scharfe Angriffe gegen die Theologie, bis endlich in seinem Hauptwerk Das Wesen des Christentums (1841) sein eigentlicher Standpunkt unverhüllt hervortrat.

b) Religionsphilosophie. Danach sind Philosophie, das Erzeugnis des Denkens, und Religion, das Erzeugnis des Gemüts, unvereinbar. Religion muß in Anthropologie aufgelöst werden. Homo homini Deus est, d.h. der Mensch erzeugt selbst den Begriff Gottes aus dem Bedürfnisse des eigenen Herzens, das die Schranken der Vernunft sprengt. Er erweitert in ihr sein eigenes Wesen, über das er nicht hinaus kann, ins Unendliche und stellt es sich dann als Gottheit gegenüber, um es zu verehren. Die Götter eines Volkes sind seine Ideale, die je nachdem das Höchste und Erhabenste oder auch das Unsinnigste und Verkehrteste enthalten. So ist auch im Christentum (unter dem Feuerbach nicht das »komfortable, epikureische«, durch Wissenschaft und Leben beeinflußte Christentum der modernen Welt, sondern das ursprüngliche, »klassische« Christentum des Herzens versteht) die »Liebe Gottes« im Grunde nur die unendliche Liebe des Menschen, die ihre höchste Bewährung im Leiden findet; und ebenso wird in Gott die vollendete Persönlichkeit, Weisheit, Würde und Stärke des Menschen gedacht. Im Vergleich mit der Fülle dieses Menschlich-Göttlichen fühlt sich natürlicherweise der Einzelmensch arm und elend, ohne zu bedenken, dass er damit nur seine eigenen Eigenschaften und Wünsche ins Unendliche gesteigert hat. Indem Feuerbach von diesem Gesichtspunkt aus alle wichtigeren christlichen Dogmen nacheinander durchgeht, will er keineswegs alle Religion negieren, sondern sie nur kritisieren, auf ihr wahres Wesen zurückzuführen. Ja, er will im Gegenteil »dem Gemeinen«, selbst dem Essen und Trinken, »ungemeine Bedeutung, dem Leben als solchem überhaupt religiöse Bedeutung abgewinnen« »Heilig sei uns darum das Brot, heilig der Wein, aber auch heilig das Wasser! Amen.« (Schluß des Hauptwerkes).

c) Sensualismus. In der Folge ging Feuerbach auf diesem Wege weiter fort zu einem erklärten Sensualismus. In seinen Grundzügen der Philosophie der Zukunft (1843) erklärt er: »Sonnenklar ist nur das Sinnliche; nur, wo Sinnlichkeit anfängt, hört aller Zweifel und Streit auf. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit « Freilich nicht die »pöbelhaften, rohen«, sondern die »gebildeten« Sinne sind gemeint, die Augen nicht des Anatomen oder des Chemikers, sondern die des Philosophen! Den einzigen Gegenstand der Philosophie bildet der Mensch und »seine Basis«, die Natur; Universalwissenschaft ist die Anthropologie einschl. Physiologie. Indem Feuerbach nun dem Studium der letzteren immer eifriger sich widmet, gelangt er in einer begeisterten Besprechung (1850) einer Schrift Moleschotts (s. § 65) zu dem berüchtigten Satze: »Der Mensch ist, was er ißt «, zu dessen gerechter Beurteilung man ihn im Zusammenhange lesen muß. Unmittelbar vorher gehen die Sätze: »Die Lehre von den Nahrungsmitteln ist von großer ethischer und politischer Bedeutung. Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz und Hirn, zu Gedanken- und Gesinnungsstoff.

Menschliche Kost ist die Grundlage menschlicher Bildung und Gesittung. Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen«. Völlig dem Materialismus, dem allerdings solche Sätze sehr nahe stehen, sich hinzugeben, hinderte Feuerbach, wie er auch selbst bekannt hat, sein Grundstandpunkt: das Ausgehen nicht von der Materie, sondern der unkorrigierbaren und unverlierbaren Empfindung.

d) Ethik. Dieser Sensualismus macht sich auch in seiner eudämonistischen Ethik geltend. Der wahre und ursprüngliche Grund des Wollens, also auch der Ethik, ist der Glückseligkeitstrieb. Sittlichkeit ohne Glückseligkeit ist ein Wort ohne Sinn; freilich nicht bloß die Glückseligkeit des Ich allein, sondern die des Ich und des Du. Der erste kategorische Imperativ ist die Stimme des Gefühls. Nicht Entsagung gebietet die Pflicht, sondern den Genuß. »Folge unverzagt deinen Neigungen und Trieben, aber allen: dann wirst du keinem einzigen zum Opfer fallen.« Freilich oft genug - wie Feuerbach an sich selbst bitter genug erfahren hat - geht der Weg zu diesem Epikureismus des Genusses nur durch den Stoizismus der Arbeit und der Entsagung.

e) Wirkung Feuerbachs. Was Feuerbach fehlt, ist die Erkenntniskritik. Er bleibt dogmatisch und gefühlsmäßig auch da, wo er ganz naturalistisch auftritt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb übte sein Hauptwerk zu Anfang der vierziger Jahre einen großen Einfluß auf die gesamte radikale Jugend. »Die Begeisterung war allgemein; wir waren alle momentan Feuerbachianer«, schreibt Engels noch 1886. Aber das Revolutionsjahr 1848 mit seinen Folgen zerstreute bald die lose Gemeinde, die sich um den Einsiedler von Brucksberg (so hieß das Dorf im Ansbachischen, wo er lebte) gesammelt hatte. Als seinen Schüler kann man wohl nur den früh verstorbenen L. Knapp (1821 - 58) bezeichnen, dessen System der Rechtsphilosophie (1857) die ziemlich unfertige, rein individualistische Ethik Feuerbachs durch das Prinzip der Gesellschaft und des Gattungsinteresses ergänzt und mit dem französischen und englischen Positivismus verbindet. Von späteren Denkern stehen ihm am nächsten W. Bolin (geb. 1835, in Helsingfors) und Friedrich Jodl (in Wien). Auch auf Gottfried Keller hat er eingewirkt.

Wichtiger sind die allgemeinen Nachwirkungen der Feuerbachschen Philosophie, die sich nach verschiedenen Seiten hin erstrecken: 1. Sein anthropozentrischer Individualismus wird übertrumpft durch den reinen Egoismus von Max Stirner (§ 75). 2. Sein sensualistischer Materialismus setzt sich in dem reinen Materialismus der 50er Jahre von Moleschott, Büchner u. a. (§ 65) fort. 3. Seine Umstülpung des Hegelianismus wird weitergeführt in dem »historischen Materialismus« von Marx-Engels (§ 74). Feuerbachs Hauptverdienst gegenüber der Hegelschen Spekulation, das ihn zum Urheber des deutschen Positivismus stempelt, besteht darin, dass er energisch die Losung ausgab: »Begnüge dich mit der gegebenen Welt!« Diese Forderung hatte, ungefähr zur selben Zeit und unabhängig von ihm, auch in den beiden großen westlichen Nachbarländern hervorragende Vertreter gefunden.

 

Literatur: C. N. Starcke, L. Feuerbach, 1885. W. Bolin, L. Feuerbach, sein Wirken und seine Zeitgenossen, 1891. F. Jodl, L. Feuerbach (Frommanns Klassiker der Philosophie XVII), 1904. Vgl. auch die kleine Schrift von Fr. Engels, L. Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie (mit Anhang von K. Marx) 1888. - Neuaufgabe (›Säkularausgabe‹) von Feuerbachs Sämtlichen Werken in 10 Bänden durch W. Bolin und F. Jodl, 1903 ff. Einen wertvollen Beitrag für Kenntnis seiner Persönlichkeit liefern die ›Ausgewählten Briefe von und an Ludwig Feuerbach‹, mit biographischer Einleitung herausgegeben von W. Bolin, 2 Bde., 1904.


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