1. Rückkehr zur spekulativen Metaphysik


Seit dem Anbruch des 20. Jahrhunderts vollzog sich ohne Frage in der philosophischen Gesamtstimmung ein gewisser Rückschlag gegenüber den erkenntniskritischen und positivistischen Richtungen. Wie vor hundert Jahren machte sich eine romantische Richtung nicht bloß in der schönen Literatur, sondern auch in der Philosophie von neuem geltend. Ihren Vertretern mehr oder weniger gemeinsam ist ein Zug zum Pantheismus, der Glaube an eine Einheit von Geist und Materie, Einzel- und Weltseele, sowie verstärkte Betonung des religiösen Empfindens und des Gefühls überhaupt: alles Züge, die wir auch an der Romantik des beginnenden 19. Jahrhunderts wahrnehmen, deren dichterische und philosophische Vertreter, namentlich Schelling und Novalis, denn auch bis vor kurzem eifrig gepriesen und neu herausgegeben wurden. Daneben her gingen Neuausgaben älterer Mystiker und Naturphilosophen wie Plotins, der Gnostiker, Eckharts, Picos, Paracelsus'. Ja Dinge, die man für längst abgetan hielt, wie Spiritismus, Theosophie und Okkultismus, verbreiten sich wieder. Zur Kennzeichnung des Inhaltes genügt es, die Titel einer oder der anderen ihrer, freilich oft sehr kurzlebigen, Zeitschriften und Bücher anzuführen. So erschien seit 1895 in Zehlendorf eine Neue metaphysische Rundschau als Monatsschrift für philosophische, psychologische und okkultistische Forschungen mit den Unterabteilungen: Archiv für Biomagnetismus, Rundschau für Astrologie, theosophisches Forum, phrenologische Rundschau, metaphysische Bücherei. Eine andere nannte sich Zeitschrift für Xenologie zur exakten Erforschung der sogenannten okkulten Tatsachen und der zurzeit noch fremden Energieformen im Menschen und in der Natur (Hamburg 1900 f.). Eine dritte, neuere: Psyche. Zeitschrift für den gesamten Okkultismus und alle Geheimwissenschaften, für wissenschaftliche Erforschung der okkulten Phänomene des Seelenlebens, ferner für Indische Philosophie, Theosophie, Spiritualismus, wahre ethische Kultur- und Sozialreform. Unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachgelehrten. 3. Jahrg. Pankow 1918.*)

Auch in den wissenschaftlichen Kreisen macht sich eine verstärkte Anlehnung an die älteren spekulativen. Systeme von Fichte, Hegel und Schelling, die darum wieder Neuausgaben erfuhren und noch erfahren, bemerkbar. Von den späteren Philosophen werden bezeichnenderweise (vgl. Kap. XXIII) Lotze und namentlich Fechner eifriger studiert als Schopenhauer oder Herbart. In der Naturphilosophie treten energetische und neuvitalistische Richtungen stärker hervor. Seltener tauchen dagegen, wie es scheint, selbständige systematische Versuche metaphysisch-spekulativer Richtung auf. Die meisten der ernst zu nehmenden idealistisch-metaphysisch gerichteten Denker der Gegenwart sind vielmehr entweder von dem Geist des modernen Kritizismus mehr oder weniger berührt worden, oder sie haben das Bedürfnis einer Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Geiste unserer Zeit empfunden: sodass man ihre Gesamtrichtung vielleicht am kürzesten als kritische Metaphysik bezeichnen könnte.

 

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*) Vgl. die kritische Darstellung von M. Dessoir, Vom Jenseits der Seele. Stuttgart 1917. 


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Seite zuletzt aktualisiert: 31.10.2006 
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