3. Jüngere deutsche Positivisten


a) Schon des früh verstorbenen C. Göring (1841 bis 1879, in Leipzig) System der kritischen Philosophie (unvollendet, 2 Bände, 1874-75), das eine Art Verschmelzung von Kant und Comte versuchte, ging von der Sinneswahrnehmung oder dem unmittelbaren Bewußtsein als der gewissesten Erkenntnis aus und verwarf alle Erkenntnis, die über die Erfahrung hinausgeht.

Seinen Namen erhielt der neuere deutsche Positivismus indes erst von

b) Ernst Laas (1837-85, in Straßburg) und dessen Hauptwerk Idealismus und Positivismus (1879-84), dem bereits eine »kritische Studie über die Grundlagen der theoretischen Philosophie«, betitelt Kants Analogien der Erfahrung (1876), vorausgegangen war. Laas knüpft an Hume, Stuart Mill und den alten Protagoras an. Als »Positivismus« bezeichnet er diejenige Philosophie, die keine anderen Grundlagen als positive, d. i. auf äußere und innere Wahrnehmungen sich stützende Tatsachen anerkennt. Zwar sind uns Objekte nur als Bewußtseinsinhalte, aber anderseits auch Subjekte nur als Beziehungszentren bekannt. Die äußere Natur ist der Inbegriff gesetzmäßig verknüpfter Wahrnehmungen. Laas bekämpft nachdrücklich den »Platonismus« in der Philosophie, d.h. 1. die scholastisch-mathematisierende Methode, 2. den Drang zum Absoluten, 3. die normalen Vernunftgesetze, 4. das Spontaneitäts- und Freiheitsmotiv und 6. die Annahme einer transzendenten, übersinnlichen Welt (jenseitiges Leben usw.). Die positivistische Ethik entspringt den menschlichen Interessen und Bedürfnissen. Objektive Güter sind solche, welche bei möglichstem Freisein von augenblicklicher und persönlicher Befangenheit und bei weitem Blick auf das wohlverstandene Gesamtinteresse einer größeren Menge fühlender Wesen als wertvoll erscheinen.

c) Georg von Gizycki (1851-95, in Berlin) hat seine vielfach dem englischen Empirismus (Humes u. a.) entlehnten positivistischen Grundsätze hauptsächlich auf das ethische Gebiet (Moralphilosophie, 1888) angewandt. Er begründete mit dem Berliner Astronomen W. Förster, F. Tönnies, F. Jodl, F. Staudinger u. a. 1892 die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur und leitete deren Organ bis zu seinem Tode. In seinen letzten Jahren stand er dem Sozialismus nahe.

d) Für Friedrich Jodl (1849-1914, zuletzt in Wien), der bereits in seiner Geschichte der neuen Ethik (s. Bd. I, S. 292) seine grundsätzliche Übereinstimmung mit A. Comte, J. St. Mill und L. Feuerbach bekannte, bedeutet Positivismus nicht ein bestimmtes System, auch nicht bloß die Abwendung von aller konstruierenden Metaphysik, sondern eine durchgreifende methodische Forderung: Scheidung zwischen der theoretischen Erkenntnis gegebener Zusammenhänge und der schaffenden Verwirklichung von Zweckgedanken. Der Weltlauf zeigt nirgends etwas anderes als den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, aus denen sich das Gute, das Schöne, das Zweckmäßige nur als ein Spezialfall aus besonders günstigen Kombinationen ergibt. Dagegen drücken die Ideen nicht Tatsachen, sondern Aufgaben aus: Gott ist, sofern er irgendwo in reiner Güte wirklich wird; Schönheit ist, sofern wir die Welt mit künstlerischen Augen anschauen. Der praktische Idealismus, mit allen seinen Konsequenzen, ist daher wohl vereinbar mit theoretischem Naturalismus; ein Standpunkt, von dem Jodl auch in den allgemeinen Lehren seines Lehrbuchs der Psychologie (S. 494) über das Verhältnis des Bewußtseins zur Welt und das Verhältnis zwischen Physischem und Psychischem Gebrauch macht. Aus Jodls Nachlaß hat sein Schüler W. Börner zahlreiche gesammelte Aufsätze und Vorträge unter dem Titel Vom Lebenswege (2 Bde., Stuttg. 1916/17) herausgegeben, desgleichen eine Allgemeine Ethik (Stuttg. 1918).

Es zeigen sich bei Jodl deutliche Anklänge an den Neukantianismus, wenn auch nicht so stark wie bei dem häufig ebenfalls zu den Positivisten gerechneten A. Riehl, welch letzteren wir daher bereits oben (S. 443) behandelt haben.

e) Als Positivist im weiteren Sinne läßt sich wohl auch Theobald Ziegler (1846-1918) bezeichnen, obwohl er weder in seiner Geschichte der Ethik (vgl. I, 8) noch in seiner psychologischen Untersuchung Das Gefühl (1893, 5. Aufl. 1912) seinen systematischen Standpunkt scharf präzisiert hat. Er ist mehr ethisch und religions-philosophisch als erkenntnistheoretisch interessiert; von seinen zahlreichen, populär gehaltenen Schriften seien hier noch erwähnt: Sittliches Sein und sittliches Werden 1890, Religion und Religionen 1893, Geschichte der Pädagogik (1895, 4. Aufl. 1917).


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