Künste - Niedergang der Kunst in der Neuzeit
Um sich von dem Geiste, der gegenwärtig die Künste mehr schwächt als belebt, einen richtigen Begriff zu machen, darf man nur dasjenige von unseren Schauspielen betrachten, bei dem sich doch eigentlich alle schönen Künste vereinigen, die Oper. Ist es wohl möglich, etwas unbedeutenderes, abgegeschmackteres und dem Zwecke der Künste weniger entsprechendes zu sehen? Und doch könnte das Schauspiel, das jetzt kaum der Aufmerksamkeit der Kinder würdig ist, gerade das erhabenste und nützlichste sein, was die Künste hervorzubringen im Stande sind [s. Opera].
Dass die Neueren überhaupt die göttliche Kraft der schönen Künste ganz verkennen und von ihrem Nutzen niedrige Begriffe haben, erhellt am deutlichsten daraus, dass sie kaum zu etwas anderm als zum Staat und zur Üppigkeit gebraucht werden. Ihren Hauptsitz haben sie in den Pallästen der Großen, die dem Volke auf ewig verschlossen sind; braucht man sie zu öffentlichen Festen und Feierlichkeiten, so geschieht es nicht in der Absicht, einen der ursprünglichen Bestimmung dieser Feierlichkeiten gemäßen Zweck desto sicherer zu erreichen, sondern dem Pöbel die Augen zu blenden und die Großen einigermaßen zu betäuben, damit sie den Eckel elend ausgesonnener Feierlichkeiten nicht fühlen. In so fern sie dazu dienen, werden sie geschützt und genährt; aber wo sie noch aus Beibehaltung eines alten Herkommens zu ihrer wahren Bestimmung sich einfinden, bei dem Gottesdienste, bei öffentlichen Denkmälern, bei den Schauspielen, da werden sie für unbedeutend gehalten und jedem wahnwitzigen Kopfe, dem es einfällt, sie zu mißhandeln, Preis gegeben. Wenn noch hier und da auf unseren Schaubühnen etwas Gutes gesehen wird; wenn unsere Dichter noch bisweilen auf den wahren Zweck arbeiten, so geschieht es doch ohne alle Mitwirkung öffentlicher Veranstaltungen. Man betrachte mit einigem Nachdenken unsere Gebäude und Wohnungen, unsere Gärten, alles um uns, woran die schönen Künste ihren Anteil haben und sage dann, ob der tägliche Gebrauch aller dieser Dinge, in irgend einem Menschen, Erhöhung seines Geschmacks, Erhebung seiner Sinnes- und Gemütsart bewirken könne? In diesem Gesichtspunkte betrachtet, wird Rousseau in seinem Unwillen gegen die schönen Künste den Beifall der Vernunft behalten und man wird es dem Lord Littleton nicht übel nehmen können, wenn er den guten Cato sagen lässt, er wollte lieber in den Zeiten des Fabricius und Cincinnatus gelebt haben, die kaum schreiben und lesen gekonnt als unter dem Augustus, da die Künste blühten [s. Littletons Todtengespräche].
Wir sind in Ansehung der Talente und des Kunstgenies, nicht so weit hinter den Alten zurück als man uns bisweilen zu bereden versucht. Das Mechanische der Künste besitzen wir und in manchem Teile besser als die Alten. Der Geschmack am Schönen ist bei manchem neuen Künstler eben so fein als bei dem Besten unter den Griechen. Das Genie der Neueren überhaupt ist durch die Ausbreitung der Wissenschaften und eine viel weiter gehende Kenntnis der Natur und der Menschen eher erweitert als ins Kleine getrieben worden. Also sind die Kräfte, die Künste wieder in dem schönsten Glanze zu zeigen, noch da; aber weil die Politik ihnen nicht die erforderliche Aufmunterung gibt und versäumet, sie zu ihrem wahren Zwecke zu lenken oder sie gar bloß zur Üppigkeit und einer raffinirten Wollust anwendet; so ist auch der Künstler, wie groß man auch von seinen Talenten spricht, nicht viel besser als ein feinerer Handwerksmann; er wird als ein Mensch angesehen, der die Großen oder das Publikum angenehm unterhält und den reichen Müßiggängern die Zeit vertreibt.
Wo nicht irgendwo eine weise Gesetzgebung die Künste aus dieser Erniedrigung herausreißt und Anstalten macht, sie zu ihrem großen Zwecke zu führen, so sind auch die einzelnen Bemühungen der besten Künstler, der Kunst aufzuhelfen, ohne merklichen Erfolg. Von der Schuld des schlechten Zustandes der Sachen, ist mancher Künstler, der sich gerne höher schwingen möchte, frei: Aber durch seltene und einzele Bemühungen dafür richtet man wenig aus.
Der große Haufe der Künstler kennt, nach dem gemeinen Vorurteile, das die Großen nur zu sehr unterhalten, keinen anderen Beruf als müßige Leute zu vergnügen. Wie soll aber das glücklichste Genie, auf dieses schwache Fundament gestützt, sich in die Höhe heben können? Woher soll es seinen Schwung nehmen? Große Kräfte werden nie durch kleines Interesse gereizt und so bleiben die herrlichsten Gaben des Genies, die die Natur den Neuern, nicht mit kargerer Hand als den Alten ausgeteilt hat, meist ungebraucht liegen.
Würde der Künstler, nicht in das Kabinet des Regenten, wo dieser nichts als ein Privatmann ist, sondern an den Thron gerufen, um dort einen eben so wichtigen Auftrag zu hören als der ist, der dem Feldherrn oder dem Verwalter der Gerechtigkeit oder dem, der die allgemeine Landespolicei besorgt, gegeben wird; wären die Gelegenheiten, das Volk durch die schönen Künste zum Gehorsam der Gesetze und zu jeder öffentlichen Tugend zu führen, in dem allgemeinen Plane des Gesetzgebers eingewebet; so würden sich alle Kräfte des Genies entwickeln, um etwas Großes hervorzubringen; und alsdann würden wir auch wieder Werke sehen, die die besten Werke der Alten vermutlich übertreffen würden. Dort öffnet sich also der Weg, der zur Vollkommenheit der schönen Künste führt. Will man große Künstler haben und wichtige Werke der Kunst sehen, so darf man nur Veranstaltungen machen, dass solche Werke bei einem ganzen Volke Aufsehen erwecken können; dass der Künstler von Genie Gelegenheit bekomme, sich in dem hellen Lichte zu zeigen, das den redlichen Staatsmann umgibt. Die Ehre, etwas zur Erhebung einer ganzen Nation beizutragen, ist edeln Gemütern eine hinlängliche Reizung, alle Kräfte des Genies anzustrengen. Und darauf kommt es allein an, um große Künstler zu haben.
Dieses sei über die Natur, die Bestimmung und den Wert der schönen Künste gesagt. Hieraus kann nun auch der Weg zu der wahren Theorie derselben eröfnet werden. Sie entsteht aus der Auflösung dieser psychologischen und politischen Aufgabe:» Wie ist es anzufangen, dass der dem Menschen angeborene Hang zur Sinnlichkeit, zu Erhöhung seiner Sinnesart angewendet und in besonderen Fällen als ein Mittel ge braucht werde, ihn unwiderstehlich zu seiner Pflicht zu reizen?« In der Auflösung dieser Aufgabe, findet der Künstler den Weg, den er zu gehen hat und der Regent die Mittel, die er anzuwenden hat, die vorhandenen Künste immer vollkommener zu machen und recht anzuwenden.
Es ist hier der Ort nicht, diese Frage ausführlich zu beantworten. Wir wollen nur die Hauptpunkte berühren, auf die es ankommt.