Künste; Schöne Künste. Der, welcher diesen Künsten zuerst den Namen der schönen Künste gegeben hat, scheint eingesehen zu haben, dass ihr Wesen in der Einwebung des Angenehmen in das Nützliche oder in Verschönerung der Dinge bestehe, die durch gemeine Kunst erfunden worden. In der Tat lässt sich ihr Ursprung am natürlichsten aus dem Hang, Dinge, die wir täglich brauchen, zu verschönern, begreifen. Man hat Gebäude gehabt, die bloß nützlich waren und eine Sprache zum notdürftigen Gebrauche, ehe man daran dachte, jene durch Ordnung und Symmetrie, diese durch Wohlklang angenehmer zu machen.
Also hat ein, feineren Seelen angeborener Trieb zu sanften Empfindungen, alle Künste veranlasst. Der Hirte, der zuerst seinem Stock oder Becher eine schöne Form gegeben oder Zierraten daran geschnitzt hat, ist der Erfinder der Bildhauerei; und der Wilde, dem ein glücklicheres Genie eingegeben hat seine Hütte ordentlich einzurichten und ein schickliches Verhältnis der Teile daran zu beobachten, hat die Baukunst erfunden. Der sich zuerst bemühet hat, das, was er zu erzählen hatte, mit Ordnung und Annehmlichkeit zu sagen, ist unter seinem Volke der Urheber der Beredsamkeit.
In dieser Verschönerung aller dem Menschen notwendiger Dinge und nicht in einer unbestimmten Nachahmung der Natur, wie so vielfältig gelehrt wird, ist also auch das Wesen der schönen Künste zu suchen.
Aus jenen schwachen in der Natur liegenden Keimen hat der menschliche Verstand durch wohl überlegte Wartung nach und nach die schönen Künste selbst heraus getrieben und zu vortreflichen, mit den herrlichsten Früchten prangenden Bäumen, gezogen. Es ist mit den Künsten, wie mit allen menschlichen Erfindungen. Sie sind oft ein Werk des Zufalles und in ihrem ersten Anfange sehr geringe; aber durch allmähliche Bearbeitung bekommen sie eine Nutzbarkeit, die sie höchst wichtig macht. Die Geometrie war im Anfange nichts als eine sehr rohe Feldmesserei und die Astronomie eine, aus bloßer Neugier entstandene Beschäftigung müßiger Menschen. Zu der Höhe und dem ausnehmenden Nutzen, den diese Wissenschaften dem menschlichen Geschlechte leisten, sind sie durch anhaltende, vernünftige Erweiterung ihrer ursprünglichen Anlage, gestiegen.
Wenn wir also gleich mit völliger Zuversichtlichkeit wüßten, dass die schönen Künste in ihren Anfängen nichts anders als Versuche gewesen, das Auge oder andere Sinne zu ergötzen, so sei es ferne von uns, dass wir darin ihre ganze Nutzbarkeit und ihren höchsten Zweck suchen sollten. Wir müssen, um von dem Werte des Menschen richtig zu urteilen, ihn nicht in der ersten Kindheit, sondern in dem vollen männlichen Alter betrachten.


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