Kenner

Kenner. (Schöne Künste) Diesen Namen verdient in jeden Zweig der schönen Künste, der, welcher die Werke der Kunst nach ihrem innerlichen Wert zu beurteilen und die verschiedenen Grade ihrer Vollkommenheit zu schätzen im Stand ist. Der Kenner steht zwischen dem Künstler und dem Liebhaber in der Mitte. Jener muss das Mechanische der Kunst verstehen und auch die Ausführung desselben in seiner Gewalt haben; dieser empfindet nur die Wirkung der Kunst, indem er ein Wohlgefallen an ihren Werken hat und nach dem Genuß derselben begierig ist. Alle drei urteilen über die Kunstwerke, aber auf sehr verschiedene Weise. Der Künstler, wenn er nicht zugleich ein Kenner ist und er ist es nicht allemal, beurteilt das Mechanische, das, was eigentlich der Kunst allein zugehört; er entscheidet, wie gut oder schlecht, wie glücklich oder unglücklich der Künstler dargestellt hat, was er hat darstellen wollen und in wie fern er die Regeln der Kunst beobachtet hat. Der Kenner beurteilt auch das, was außer der Kunst ist; den Geschmack des Künstlers in der Wahl der Sachen; seine Beurteilungskraft in Ansehung des Werts der Dinge; sein ganzes Genie in Absicht auf die Erfindung; er vergleicht das Werk, so wie es ist, mit dem, was es seiner Natur nach sein sollte, um zu bestimmen, wie nahe es der Vollkommenheit liegt; er ent deckt das Gute und das Schlechte an demselben und weiß überall die Gründe seines Urteils anzuführen. Der Liebhaber beurteilt das Werk bloß nach den unüberlegten Eindrücken, die es auf ihn macht; er überlässt sich zuerst dem, was er dabei empfindet und denn lobt er das, was ihm gefallen und tadelt, was ihm mißfallen hat, ohne weitere Gründe davon anzuführen. Man ist ein Liebhaber, wenn man ein lebhaftes Gefühl für die Gegenstände hat, die die Kunst bearbeitet; ein Kenner, wenn zu diesem Gefühl ein durch lange Übung und Erfahrung gereinigter Geschmack und Einsicht in die Natur und das Wesen der Kunst hinzukommt; aber ein Künstler wird man allein durch Übung in der Kunst.

 Es gehört nicht wenig dazu um den Namen eines Kenners zu verdienen. Zwar wird er meistenteils Leuten gegeben, die weitläufige historische Kenntnisse von Künstlern und Kunstwerken haben; die aus der Manier den Meister erkennen; die die ganze Geschichte berühmter Werke besitzen; die von den mechanischen Regeln der Kunst, mit den eigentlichen Kunstwörtern und Redensarten zu sprechen wissen. Aber alles dieses gehört noch nicht zu dem Wesentlichen der Wissenschaft, die ein Kenner besizen muss. Die wahre Kenntnis gründet sich auf richtige Begriffe von dem Wesen und der Absicht der Künste überhaupt; aus diesen urteilt der Kenner von dem Wert der Erfindung des Kunstwerks; bestimmt, in welchem Grad es schätzbar und brauchbar sei und ob es sich für die Zeit und den Ort schickt; er sieht kein Werk als einen Gegenstand der Liebhaberei, sondern als ein zu einem gewissen Zweck bestimmtes Werk an und beurteilt daher in wiefern es seine Wirkung tun könne oder müsse. Er kennt den Geschmack verschiedener Zeiten und Völker, die verschiedenen Grade seines Wachstums und unterscheidet genau, was darin den allgemeinen natürlichen Empfindungen und was den vorübergehenden Sitten und dem Veränderlichen in der Denkungsart zuzuschreiben ist. Darum muss er ein Kenner der Menschen und der Sitten sein. Sein eigener Geschmack ist sicher und überlegt; darum fühlt er die so mannigfaltigen Arten und Stufen des Schönen und beurteilt nicht alles nach einer einzigen Form; nennt das minder Schöne nicht hässlich und verwirft ein Werk, das seiner Bestimmung nach die erste rohe Gestalt des Schönen haben muss, deswegen nicht, weil es die feinen Schönheiten eines für Liebhaber einer höheren Art verfertigten Werks nicht hat. Die Fehler gegen das Mechanische der Kunst erkennt er für Unvollkommenheiten, hält sie aber gegen die höheren Vollkommenheiten der Kraft des Werks, nicht für überwiegend. Er hält nie dafür, dass die genaue Befolgung aller mechanischen Regeln, ein gutes Werk machen könne; weil er in jedem Werk zuerst auf den Geist und die Kraft der Gedanken sieht. Seine Urteile über Kunstwerke sind allemal bestimmt; weil er nicht in allgemeinen Ausdrücken lobt oder tadelt, sondern immer die besondere Art des Vollkommenen und Unvollkommenen, zu nennen weis.

  Hier entstehen die Fragen, in wiefern der Künstler, der Kenner und der Liebhaber von den Werken der Kunst urteilen können und wer überhaupt, über den Wert eines Werks der Kunst der beste Richter sei.

 Es scheint natürlich und vernünftig, dass der Künstler in jeder Absicht der beste Richter über die Werke der Kunst sei; und doch leidet dieses eine beträchtliche Einschränkung. Wer viel mit Künstlern umgegangen ist, wird ohne Zweifel bemerkt haben, dass sie sehr selten von gewissen Vorurteilen frei sind, die sie zu parteiischen Richtern machen. Was Webb von den Malern beobachtet hat, kann auch von anderen Künstlern angemerkt werden. »Selten, sagt er, hab ich einen Künstler angetroffen, der nicht ein heimlicher Bewunderer irgend einer besonderen Schule gewesen oder sich nicht an irgend eine besondere Manier gebunden hätte, die ihm vorzüglich gefallen. Selten gelangen sie, so wie Liebhaber und Kenner, zu einer von allem Handwerksgebrauch befreiten und von Vorurteil gereinigten Betrachtung, des natürlich Schönen. Denn ziehen auch die Schwierigkei ten, die sie in der Ausübung der Kunst finden, sie ganz in die Mechanik herab, da zu gleicher Zeit die Eigenliebe und etwas Eitelkeit sie verleiten, die Pinselstriche, die ihrer Manier am nächsten kommen, vorzüglich zu schätzen.«1 Es gehört so sehr viel dazu es in Ausübung der Kunst zu einer gewissen Vollkommenheit zu bringen, dass fast das ganze Nachdenken des Künstlers dahin gezogen wird: hat er denn nicht ein sonderbar glückliches und etwas weit reichendes Genie, so bleiben ihm nicht Kräfte genug übrig, das außer der Kunst liegende oder von der Kunst unabhängliche Schöne, so wie der Kenner es tut, zu betrachten. Wie nun jeder Mensch in Beurteilung der Dinge zuerst auf das fällt, was ihm am geläufigsten ist, so fällt auch die Aufmerksamkeit des Künstlers in Beurteilung der Kunstwerke, zuerst auf das, was bloß Kunst ist; und gar oft bleibt er nicht nur dabei stehen, sondern richtet auch wohl seine Beurteilung bloß auf einen einzeln Teil der Kunst. Man sieht also Maler, die den Wert eines Gemäldes bloß aus dem Kolorit, andere die es nur aus der Zeichnung beurteilen; Tonsetzer, die ihr Ohr allein der Empfindung der Harmonie schärfen; andere die bloß auf den schönen Gesang sehen. Daher kommt es endlich auch, dass einige Dichter, jedes Gedicht erheben, das wohlklingend ist, andere das, was witzig ist.

 Dieses sind wahrhafte und aus der Erfahrung ge nommene Beobachtungen, die offenbar beweisen, dass nicht jeder gute Künstler ein guter Richter über den Wert der Kunstwerke sei. Es kann ein Werk in Ansehung eines Teils der Kunst, große Vollkommenheit haben und doch sehr wenig wert sein.2 Daher kommen die einander so gerade widersprechenden Urteile der Künstler aus verschiedenen Schulen.

 Ein Werk ist zwar nie vollkommen, so lang ein wirklich geschickter Künstler Fehler darin entdeckt; aber es kann darum doch einen hohen Wert haben; hingegen kann es ohne Wert sein, wenn alle Künstler zusammen als Künstler, nichts auszusetzen haben. Man sieht Gesichter, die jeden Menschen von Empfindung zur Liebe reizen, an deren Zeichnung und Farbe verschiedenes auszusetzen ist, das doch Niemand aussetzt als wer über Verhältnis und Kolorit raffinirt hat: und es gibt Gedichte die vermutlich kein Mensch ließt als die Dichter, die also außer der Kunst gar keinen Wert haben. So sieht man oft die Tonkünstler mit Entzücken einer Musik zuhören, die keinen anderen Menschen das geringste empfinden lässt.

 Wenn wir hier als einen ausgemachten Grundsatz annehmen, was an einem anderen Orte bewiesen worden ist,3 dass das, was den Kunstwerken ihren eigentlichen Wert gibt, außer der Kunst liege; so können wir auch behaupten, dass der Künstler, der nicht zu gleich die Kenntnis des Kenners hat, nicht der eigentliche Richter über den Wert der Kunstwerke sei.

 Wollt ihr wissen, ob ein Werk Kunstmäßig sei, so fraget den Künstler darüber; verlangt ihr aber zu wissen, ob es zum öffentlichen oder zum Privatgebrauch, nach dem Endzweck der Künste schätzbar sei, so fraget den Kenner; aber richtet euch niemals nach einem fremden Urteil, um zu entscheiden, ob es euch gefallen oder mißfallen soll, dieses müßt ihr durch euer eigenes Gefühl ausmachen.

  Die Frage wiefern jedermann berechtiget oder tüchtig sei, über Künstler und Kunstwerke zu urteilen, ist alt; und Cicero spricht an mehr Orten davon. Man weiß, in wiefern Apelles der Sage nach, dem gemeinen Mann ein Urteil über seine Gemälde zugestanden hat. Die Sache lässt sich auf ganz einfache Grundsätze bringen und völlig entscheiden.

 Wir müssen die Gründe dazu etwas weit herholen, doch kann es ohne große Weitläufigkeit geschehen. Jede klare Vorstellung, auf die wir Achtung geben, wirkt entweder auf unsere Empfindung oder sie beschäftigt unsere Vorstellungskraft. Jenes geschieht auf eine mechanische, uns meistenteils unbekannte Weise, da wir einen angenehmen oder unangenehmen Eindruck von der Sache empfinden: dieses äußert sich auf zweierlei Art; entweder bestreben wir uns die Sache deutlich zu fassen oder wir beurteilen sie. Diese drei Wirkungen zeigen sich gar oft auf einmal, so dass wir sie nicht unterscheiden. Daher geschieht es nicht selten, dass wir von den vorkommenden Gegenständen ganz unbestimmt sprechen und Empfindungen wie Urteile aussprechen. Anstatt zu sagen, die Sache gefalle oder mißfalle uns, sagen wir, sie sei schön, vollkommen, gut oder schlecht, unvollkommen und hässlich. Das Wohlgefallen oder Mißfallen, kommt gar oft nicht von der Sache selbst her, sondern entsteht aus der gelungenen oder mißlungenen Bemühung sie zu erkennen, die allemal etwas Vergnügen oder Mißvergnügen erweckt. Auch dieses schreiben wir oft den Gegenstand zu, wo es doch nur von uns selbst herkommt.

 Auf diese Weise muss notwendig in unseren Reden und Urteilen eine große Verwirrung entstehen. Aber es mangelt der Kritik nicht an dem Leitfaden, vermittelst dessen man sicher aus diesem Labyrinth herauskommen kann. Man muss nur drei Sachen wohl von einander unterscheiden. 1. Den unmittelbaren Eindruck des Wohlgefallens oder Mißfallens, den wir ohne alle Bemühung oder Mitwirkung unserer seits empfinden. 2. Die angenehme oder unangenehme Empfindung, die aus der gelungenen oder mißlungenen Bemühung entsteht, die wir angewendet haben, eine deutliche Vorstellung von dem Gegenstand zu bekommen. 3. Das Urteil über die Art der Sache, über ihre Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit. Das erste ist, wie schon angemerkt worden, ganz mechanisch, wie der Geschmack an Speisen und diese Art des Eindrucks haben wir von den Sachen, indem sie sich unserer Vorstellungskraft darstellen, es sei dass wir sie kennen oder nicht kennen. Die andere Empfindung erfolgt niemals als nach einer Bestrebung die Sache zu erkennen, weil sie eine Wirkung dieser Bestrebung ist. Das Urteil aber hat nie statt als da, wo wir den vorhandenen Gegenstand gegen ein Urbild halten und die größere oder geringere Übereinstimmung damit entdecken. Wenn nun die Frag aufgeworfen wird, wer über Werke des Geschmacks oder der schönen Künste der beste Richter sei, so müssen wir den hier entwickelten Begriffen zufolge, diese Frage in drei andere zerteilen. 1. Wem soll man am meisten trauen, wenn er nach den mechanischen Eindrücken, die das Werk auf ihn macht, es rühmet oder tadelt? 2. Wessen Urteil soll vorzüglich gelten, wenn es darauf ankommt zu entscheiden, ob es einen Wert hat, in Absicht auf die zweite Art der Empfindung? 3. Wer ist der zuverläßigste Richter über die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit eines Werks, insofern es einen gewissen Urbild oder idealen Muster entsprechen muss?

Die erste Frage wird also beantwortet. Jeder Mensch, der dem Werk gehörige Aufmerksamkeit zu wendet und so viel Besonnenheit hat, dass er seiner eigenen Empfindungen gewiss ist; muss gehört werden. Wenn wir nicht die Natur einer Unbeständigkeit beschuldigen wollen, der sie gewiss nicht schuldig ist; so müssen wir annehmen, dass die noch natürlichen Menschen, die durch Gewohnheit und Lebensart, noch keinen besonderen Hang angenommen haben, überall gleichmäßig empfinden. Jedes Urteil (wenn man den Ausspruch, dass man angenehm oder unangenehm gerührt werde, ein Urteil nennen kann) ist richtig: aber Gewohnheit und Lebensart ändern sehr viel darin ab. Dieser Mensch hat noch rohe, ungeübte Sinne; der andre hat sein Gefühl schon durch lange Übung geschärft. Ihm ist nun schon angenehm, was der erste noch gar nicht fühlt; ihm ist das schon zu rohe und hart, was dem ersten gerade recht ist. Sie gehen nun in ihren Urteilen von einander ab. Nicht deswegen, dass die Gründe der Empfindung verschieden seien; denn ehedem urteilte, der nun feinere Kenner, eben so, wie jetzt, der noch ungeübte; sondern weil jeder das Angenehme nur denn empfindet, wenn es das Maß der ihm gewöhnlichen Stärke hat.

 Hier kann man also nicht fragen, wer am richtigsten urteile, sondern wer den feinsten Geschmack habe. Der gemeine Mann, der in seinen Lustbarkeiten noch roh ist, lobt die Komödie, darin er rohe Scherze und etwas grobe Lustbarkeiten findet. Auch der fei nere Kenner lobte sie ehedem; jetzt aber, da er schon feiner empfindet, erwartet er feinere Scherze; und Lustbarkeiten, die ihn auch nicht erschüttern. Dieser hat also recht die feinere Komödie, jener die rohere zu loben. Aber der Kunstrichter, der über die Komödie urteilt, muss Rücksicht auf den Zuschauer haben. Er kann die rohere Komödie loben, wenn sie für rohere Zuschauer bestimmt und die feinere, wenn sie für feinere Menschen gemacht ist. Obgleich also die Empfindung des Vergnügens, von dem hier die Rede ist, ganz mechanisch ist, so muss das Urteil des Kenners überlegt sein. Nicht das, was ihm mechanisch gefällt oder mißfällt, muss von ihm gelobt oder getadelt werden, sondern das, was die eigentliche Sphäre der Empfindung der Menschen, für die das Werk gearbeitet ist, nicht erreicht oder übersteiget.

 Sollen wir Europäer, dem Asiater ein unrichtiges Gefühl zuschreiben, wenn wir seine Musik unharmonisch, grob und barbarisch finden? Keinesweges; wir müssen ihm auf sein Wort glauben, dass sie ihn ermuntere. Diese Wirkung hätte sie auch auf uns, wenn wir so ungeübet wären als er. Aber den könnten wir auszischen, der uns mit einer Musik ergötzen wollte, darin alle Regeln der Harmonie übertreten worden; und dem würden wir die Beurteilungskraft absprechen, der mit einer feinen und sehr künstlichen Symphonie, ein noch rohes Volk rühren wollte.

 Die zweite Frage betrift das Vergnügen, welches man empfindet, wenn man nach einiger Anstrengung des Geistes, deutlich erkennt, was man vorher undeutlich oder gar verworren, gesehen. Der unmittelbare Zweck der schönen Künste geht nicht auf deutliche Erkenntnis; da sie aber eine von den Ursachen des Vergnügens ist, so ist sie insofern doch ein Gegenstand derselben. Gar oft kommt ein großer Teil des Gefallens, das wir an Werken der schönen Künste haben, aus dem gesuchten Übergang, von undeutlicher Erkenntnis zur deutlichen. Wir loben den Redner, der uns eine verworrene Sache deutlich erzählt und den dramatischen Dichter, der eine verwickelte Handlung deutlich entfaltet und so zu Ende bringt, dass jede Ursache ihre natürliche Wirkung erreicht. In dem Umfang der schönen Künste, gibt es häufige Schönheiten von dieser Art. Also kann auch hier die Frage aufgeworfen werden, wer diese am besten beurteilen könne.

 Vielleicht gibt es Menschen, die dieses Vergnügen nicht kennen, weil sie das Bestreben deutlich zu erkennen nie fühlen; diese würden also über diesen Punct gar nicht urteilen. Überhaupt kann man sagen, dass die verständigsten Menschen, sich am meisten bestreben, überall, wo es angeht, deutlich zu sehen. Dieses Bestreben aber kommt sowohl von einem dazu angeborenen Trieb, den Menschen von viel Verstand haben als von langer Übung durch Erlernung der Wissenschaften. Ob ein Werk der Kunst gut angeordnet sei, dass das Ganze einen gewissen Grad der Deutlichkeit bekomme; ob eine verwickelte Handlung sich gut entwickle; ob eine Begebenheit deutlich erzählt, eine Beschreibung ordentlich und bestimmt sei; ob ein Bild, ein Gleichnis, eine Metapher, von der erklärenden Art richtig, ob eine Rede gründlich sei und noch andere Fragen dieser Art, kann der Verständigste und der Philosoph am besten beantworten, wenn er sonst gleich weder Kenntnis der schönen Künste, noch einen geübten Geschmack hat.

 Hingegen bleibt ein Zweig des Vergnügens aus deutlicher Erkenntnis, folglich auch das Urteil über den Wert des Werks, insofern er daher entsteht, bloß dem Künstler und dem Kunstrichter; das Vergnügen, das aus der deutlichen Erkenntnis der in dem Werk beobachteten Kunstregeln entsteht. Die vollkommene Ausübung jeder Kunst setzt eine Wissenschaft voraus, die der Kunstrichter in dem vollkommenen Werk anschauend erkennt. Der Tonsetzer bemerkt bei Anhörung der Musik, wie genau jede einzelne Regel des harmonischen Satzes darin beobachtet worden; und bei Betrachtung einer vollkommen gezeichneten Landschaft, hat der die Theorie seiner Kunst besitzende Maler, alle Regeln der Perspektive in ihren mannigfaltigen Anwendungen auf einmal vor Augen und sieht die Übereinstimmung des Werks mit denselben. Gar oft ist dieses Vergnügen das einzige, das Künstler und Kunstrichter von Werken der Kunst haben. Ihnen gefallen oft Werke, denen es sonst an Geist und innerer Kraft fehlt. Wo die Rede von dieser Art der Vollkommenheit ist, da sind sie die einzigen Richter.

 Nun ist noch die dritte Frage übrig, die das Urteil sowohl über ganze Werke als über einzelne Teile derselben betrift. Beinahe in jedem Werke der Kunst, machen die Schilderungen oder die Darstellung gewisser in der Natur vorhandenen Dinge, das vornehmste des Inhalts aus. Die Dichtkunst schildert Charaktere der Menschen, bildet jede Tugend und jedes Laster ab; drückt die Sprache jeder Leidenschaft und Empfindung aus; dieses tut auch die Musik und die zeichnenden Künste bestehen ganz aus Schilderungen. Es scheint der wichtigste Teil ihrer Vollkommenheit zu sein, dass diese Schilderungen bis zur Täuschung natürlich seien. Wer soll nun dieses beurteilen? Hier ist die Antwort sehr leichte. Niemand als wer richtige und helle Begriffe von den Urbildern hat, zugleich aber die jeder Kunst eigene Art des Ausdrucks richtig versteht. Hierzu gehört nun wieder gar keine Kenntnis der eigentlichen Kunst. Ohne eine Note zu kennen und ohne eine einzige Regel der Harmonie zu verstehen, ist es möglich zu beurteilen; ob die Töne die man hört, ein richtiger Ausdruck einer leidenschaftlichen Sprache seien. Wer auch kein Blumenblatt zeichnen kann, wenn er nur sehr helle Vorstellungen von Physionomien, von redenden Gesichtsbildungen und Stellungen hat, ist ein zuverläßiger Richter über die Zeichnung der Figuren in dem historischen Gemälde: und so ist ein Kenner der Menschen ein guter Richter, der Gedichte, wenigstens der einzeln Teile, da Menschen und menschliche Eigenschaften geschildert werden. Die besten Richter sind in diesem Stück die, in deren Köpfen das reinste Tageslicht leuchtet. Dieses ist nicht allemal der Fall der Künstler; die gar oft durch allzuhellen Schein geblendet werden. Ihre Vorstellungen sind die lebhaftesten, aber nicht allemal die richtigsten und deutlichsten.

 Doch wird hier allerdings auch Übung in dem jeder Kunst eigenen Ausdruck erfordert. Man mag noch so deutliche und so bestimmte Begriffe von allem, was zum Menschen gehört, haben; so kann man den Dichter noch nicht hinlänglich beurteilen, wenn man sich nicht völlig mit seiner Sprache, mit der ihm eigenen Art des Ausdrucks, des Tones und der Wendung etwas bekannt gemacht hat. Und so verhält es sich auch mit den übrigen Künsten. Wer gar nie über Zeichnung und Verhältnisse nachgedacht und sein Auge nie an Zeichnung und Gemälden geübt hat,

dem ist doch in der Sprache der zeichnenden Künste nicht alles geläufig. Um mit völliger Sicherheit über die Teile des Werks zu urteilen, die ihre Urbilder in unserer Vorstellungskraft haben, muss man zu der vorher erwähnten Fähigkeit auch noch eine hinlängliche Kunsterfahrung haben, die durch öftern Genuß der Werke der Kunst erlangt wird. Demnach urteilt der philosophische Kenner hier am besten; obgleich auch jeder Mensch von hellem Geist wohl urteilen kann.

 Noch ist vielleicht die wichtigste der hier untersuchten Fragen übrig. Was wird dazu erfordert, den Wert oder die innere Würde und Vollkommenheit eines ganzen Werks zu beurteilen? Zuerst muss der Grund angegeben werden, auf den sich dieses Urteil stützen soll; darüber ist in einem anderen Artikel gesprochen worden.4 Hier wird angenommen, dass jedes Werk der Kunst auf etwas bestimmtes abzielen müsse. Seinen Zweck, das was es sein soll, muss man aus seiner Art abnehmen können. Ist dieses geschehen, so hat man das Urbild, wonach es im Ganzen zu beurteilen ist und der wird es am besten beurteilen, der sowohl das Urbild als das Werk am vollkommensten gefasst hat: fehlt uns das Urbild, so können wir dem Werk überhaupt seine Stelle nicht anweisen. Welcher verständige Mensch würde die Frage beantworten, ob ein gewisses Instrument gut sei, wenn er nicht weis, wozu es dienen soll? Wenn wir ein Ge bäude von einer uns völlig unbekannten Art sähen; so könnten wir wohl überhaupt urteilen, dass alles mit Fleis und Nettigkeit gemacht und aneinander gefügt sei; dass das Ganze gut in die Augen falle; dass es eine gute Festigkeit habe: aber ob der Baumeister in der Anlage und in der Einrichtung, sich als ein verständiger Mann oder als ein leichtsinniger Kopf gezeigt habe, davon können wir gar nichts sagen. Wir wissen ja nicht, was es für ein Gebäude ist.

  Es gibt gar viel Liebhaber, die diese so sehr einfache und so einleuchtende Grundsätze der Beurteilung ganz aus den Augen setzen. Und daher kommt es, dass sie denn auf gutes Glück loben und tadeln oder dass sie sich in einer ganz unnötigen Verlegenheit befinden, jemand anzutreffen, der ihr Urteil lenke: als wenn irgend eine geheime Wissenschaft dazu gehörte über den Wert eines Werks der Kunst zu urteilen. Dieser Wahn macht, dass sie jedem, den sie, bisweilen sehr unverdienter Weise, für einen Kenner halten, nachsprechen und aus vollem Munde loben oder tadeln, ohne einige Gründe dazu zu haben. Daher kommt es, dass so mancher Künstler ohne Verdienst oder Schuld, in einem guten oder schlechten Rufe steht.

  Gleichwohl ist es keine schwere Sache zu wissen, was in jeder Kunst, jede Art des Werks eigentlich sein solle. Wem fällt es schwer zu begreifen, dass das historische Gemälde Menschen vorstellen müsse, die in einer interessanten Handlung begriffen oder bei einem bemerkenswürdigen Vorfall versammelt sind; dass des Malers Schuldigkeit ist, uns diese Handlung so vorzustellen, dass das was jede der gemalten Personen dabei empfindet, in ihrem Gesicht, in ihrer Stellung und in ihren Gebärden, richtig und lebhaft ausgedrückt werde? Hat man nun Begriffe von einer solchen Handlung; besizt die Einbildungskraft Urbilder von leidenschaftlichen Minen, Gebärden und Stellungen; so ist gar keine Schwierigkeit mehr vorhanden, ein gründliches Urteil über das Werk zu fällen. Wie wenig gehört nicht dazu, um zu wissen, dass jedes Tonstück entweder Äusserungen eines in Leidenschaft gesetzten Herzens, durch den Gesang ausdrücken oder unser Gemüt in gewisse Empfindung setzen soll? Selbst die Werke der dramatischen Dichtkunst, über deren Beschaffenheit die Kunstrichter so geheimnisvoll sprechen, sind gar nicht schwer zu beurteilen. Man darf sich nur erst sagen, dass das Schauspiel eine interessante Handlung vorstellen müsse, bei welcher wir das Verhalten der intereßirten Personen, so natürlich vor uns sehen als wenn die Sache selbst vor unseren Augen vorgefallen wäre und als wenn die Schauspieler nicht bloß für diesen Fall erdichtete, sondern wirklich in diesem Handel begriffene Personen wären. Welcher Mensch von einigem Nachdenken wird sich denn scheuhen sein Urteil zu sagen, ob das Schauspiel ihm das wirklich gezeigt hat, was er hat sehen wollen? Oder was für Wissenschaft gehört dazu, zu sagen, ob die Handlung die wir sehen, eine interessante und natürliche Handlung sei; ob dieser Mann, den man uns als einen Geizhals oder als einen feinen Betrüger oder als einen rachsüchtigen Menschen beschrieben hat, wirklich ein solcher sei?

  Also brauchen bloße Liebhaber sich gar nicht um die Regeln der Kunst, sondern bloß um richtige und faßliche Begriffe über die Natur und den Zweck der verschiedenen Arten der Kunstwerke zu bekümmern. Nach diesen Begriffen, können sie ohne alle Kunsttheorie, das Wesentlichste von dem Wert solcher Werke selbst beurteilen. Roußeau hat über die Beurteilung der für die allgemeine Kultur des Verstandes und Herzens geschriebenen Bücher, einen sehr einfachen Grundsatz angegeben, der sich leicht auf die Beurteilung der Kunstwerke, insofern sie zu allgemeinem Gebrauch bestimmt sind, anwenden lässt. »Ich meiner seits, lässt er jemand sagen, habe keine andere Art, das, was ich lese zu beurteilen als dass ich auf die Gemütslage achtung gebe, in der mich das Buch lässt: und ich kann mir gar nicht vorstellen, was für einen Wert ein Buch haben könne, das den Leser nicht zum guten lenkt.«5 Mit diesem Grundsatz ist es leicht ein gründliches Urteil über ein Buch zu fällen.

 Und eben so leicht würde die Beurteilung der Kunstwerke sein, wenn unsere Kunstrichter und die Verfasser der mannigfaltigen periodischen Schriften, darin die von Zeit zu Zeit herauskommenden Werke des Geschmacks beurteilt werden, sich angelegen sein ließen, anstatt so viel Geheimnisvolles von den Regeln der Kunst, in einer dem gemeinen Leser unverständlichen Kunstsprache, zu sagen, ihm auf die rechte Spur hülfen, selbst zu urteilen. Dieses wäre bald getan, wenn man nur bei jeder Gelegenheit die Wahre und gar einfache Theorie der Kunst überhaupt und jedes Zweiges derselben besonders, vorbrächte, danach urteilte und so die allgemeine Kritik in ihrer wahren Einfallt darstellte und auf populare Kenntnis zurückführte.

  Man überlasse den Künstlern und Kunstrichtern über die Geheimnisse der Kunst und über die Regeln zu urteilen und halte sich an die Wirkung, die ihre Werke auf verständige und nachdenkende Menschen machen. Wem ist etwas daran gelegen zu wissen, nach was für Regeln das Kleid gemacht ist, das ihm gut sizt und commod ist; oder wie die Speise zugerichtet worden, die ihm gut schmeckt und wohl bekommt? Man bekümmere sich nur erst überhaupt um helle und richtige Begriffe und hüte sich ein Urteil über die Beschaffenheit einer Sache zu fällen, ehe man weiß, was sie eigentlich sein soll. Hat der Liebhaber einmal die ersten Grundbegriffe über die Werke der Kunst; so übe er sich fleißig im Genuß dieser Werke. Dadurch wird sein Geschmack allmählich seiner und er aus einem bloßen Liebhaber, zulezt ein Kenner werden. Man setze, dass bei einem noch etwas rohen Volke, dramatische Schauspiele eingeführt werden und dass ein Kenner zugleich unternehme, den Geschmack dieses Volkes für solche Schauspiele nach und nach anzubauen. Wenn dieser Kenner verständig genug ist; so wird er sich begnügen das Volk nur auf die ersten Grundbegriffe der dramatischen Kunst aufmerksam zu machen. Er wird ihm sagen, dass es die verstellten Menschen auf der Schaubühne und die erdichteten Handlungen und Begebenheiten derselben, gerade so beurteilen soll, wie es die Menschen und Handlungen beurteilt, die es in der Natur vor sich findet; er wird ihm bloß raten, das für schlecht und ungereimt zu halten, was dem natürlichen Lauf der Dinge, den es doch schon einigermaßen kennt, wiederspricht; die erdichteten Menschen zu tadeln, deren Charakter und Sinnesart völlig außer der Natur ist, die abgeschmackt reden und handeln, wie gar kein Mensch tut. Ob übrigens die Sitten fein, die Scherze witzig genug seien; ob die Äusserungen der Empfindungen noch roh oder schon verfeinert seien und dergleichen Anmerkungen, hat er eben nicht nötig zu machen. Diese Dinge werden sich allmählich von selbst einfinden. Wenn der Mensch nur einmal auf dem rechten Weg des Geschmacks und des Nachdenkens ist, so geht er von selbst weiter. Aber wen man durch willkürliche Regeln, die Vorurteile erzeugen, auf Abwege gebracht oder dem man durch eine Menge unverständlicher Vorschriften, den Weg schwer gemacht hat, dem ist danach sehr schwer wieder fortzuhelfen.

 

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1 Webbs Inquiryinto the Beauties of Painting. Dial. II. am Ende.

2 S. Werke der Kunst.

3 Art. Werke der Kunst.

4 S. Werke der Kunst.

5 Nouvelle Heloise T. I. Let. 18.

 


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