Mühsam

Mühsam. (Schöne Künste) Unter diesem Ausdruck verstehen wir hier eine Werken des Geschmacks anklebende Unvollkommenheit, aus welcher man merken kann, dass dem Künstler die Arbeit sauer geworden ist. Bei dem Mühesamen bemerket man einigen Zwang in dem Zusammenhang der Dinge; man fühlt, dass sie nicht natürlich und frei aus einandergeflossen oder neben einander gestellt sind. In den Gemälden merkt man das Mühesame an etwas verschiedentlich durch einanderlaufenden Pinselstrichen, wodurch eine Wirkung, die mit weniger Umständen hätte erreicht werden können, durch mehrere nur unvollkommen erreicht wird; an Strichen, wodurch andere, die unrichtig gewesen sind, haben sollen verbessert werden; an Kleinigkeiten, die dem, was schon ohne volle Wirkung vorhanden war, etwas nachhelfen sollten; und an mehreren Umständen, die man besser fühlt als beschreibt. In Gedanken und ihrem Ausdruck zeigt es sich auf eine ähnliche Weise. Der Zusammenhang ist nicht enge, nicht natürlich genug und hier und da durch eingeflikte Begriffe verbessert worden. Die Ordnung der Wörter etwas verworren, der Ausdruck selbst nicht genug bestimmt und oft durch einen anderen nur unvollkommen verbessert und selbst dem Klang nach fließen die Worte nicht frei genug. In der Musik machen erzwungene Harmonien, schwere Fortschreitungen der Melodie; eingeflikte Töne in den Mittelstimmen, wodurch Fehler der Hauptstimme sollten verbessert sein, ein in der Abmessung fehlerhafter Rhythmus, eine ungewisse Bewegung und mehr dergleichen Unvollkommenheiten, das Mühsame.

Menschen von einer freien und geraden Denkungsart, die keinen Umweg suchen und sich ihrer Kräfte bewußt, überall ohne viel Bedenklichkeit handeln, finden auch an Handlungen, Werken und Reden, wo alles leicht und ohne Zwang auf einander folgt, großes Wohlgefallen. Deswegen wird ihnen das Mühsame, das sie in anderer Menschen Verfahren entdecken, sehr zuwieder. In Werken des Geschmacks, wo alles einnehmend sein sollte, ist das Mühesame ein wesentlicher Fehler. Künstler, die durch Müh und Arbeit den Mangel des Genies ersetzen wollen, können durch keine Warnung, durch keine Vorschrift dahin gebracht werden, dass sie das Mühesame vermeiden. Aber da auch gute Künstler in besonderen Fällen ins Mühesame geraten können, so ist es nicht ganz überflüssig, sie davor zu warnen.

Wer das Mühesame vermeiden will, muss sich hüten, ohne Feuer, ohne Lust oder gar aus Zwang zu arbeiten; er muss die Feder oder den Pinsel weglegen, so bald er merkt, dass die Gedanken nicht mehr frei fließen; denn durch Zwang kann da nichts gutes aus gerichtet werden. Von den Mitteln sich in das nötige Feuer der Arbeit zu setzen, wodurch man das Mühsame vermeidet, ist anderswo gesprochen worden [im Art. Begeisterung]. 


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 07:56:47 •
Seite zuletzt aktualisiert: 26.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z