Melodie - Hauptton, Modulation
I. Dass in der Melodie ein Hauptton herrsche, das ist, dass die auf einander folgenden Töne aus einer bestimmten Tonleiter müssen hergenommen sein, ist darum notwendig, weil sonst unter den einzelnen Tönen kein Zusammenhang wäre. Man nehme die schönste Melodie, wie sie in Noten geschrieben ist und hebe die Tonart darin auf; so wird man den Gesang sogleich unerträglich finden. Man versuche z.B. folgenden Satz: wenn man kann, so zu singen: man wird es, wegen Mangel des Zusammenhangs unter den Tönen, unmöglich finden und wenn man ihn auch auf einem Instrument so spielte, so gibt er dem Gehör nichts vernehmliches. Die in jeder Tonleiter liegende Harmonie gibt den aus derselben genommenen Tönen den nötigen Zusammenhang [s. Ton, Tonart]. Darum hat schon jede Folge von Tönen, wenn sie nur aus derselben Tonleiter genommen sind, sie folgen sonst auf- oder absteigend, wie sie wollen, (wenn nur nicht der Natur der Leittöne zuwieder fortgeschritten wird) [s. Leitton] etwas angenehmes; weil man Zusammenhang und Harmonie darin empfindet.
Der Ton aber muss dem Charakter des Stücks gemäß gewählt werden. Denn bald jede Tonart hat einen ihr eigenen Charakter, wie an seinem Orte deutlich wird gezeigt werden [s. Ton, Tonart]. Je feiner das Ohr des Tonsetzers ist, um den eigentümlichen Charakter jeder Tonleiter zu empfinden, je glücklicher wird er in besonderen Fällen in der Wahl des Haupttons sein, die mehr als mancher denkt, zum richtigen Ausdruck beiträgt.
Weil es gut ist, dass das Gehör sogleich von Anfang der Melodie von der Tonart eingenommen werde, so tut der Setzer wohl, wenn er gleich im Anfang die sogenannten wesentlichen Saiten des Tones, Terz, Quint und Oktave hören lässt. In Melodien von ganz geringem Umfang der Stimme wird deswegen, auch ohne Bass, die Tonart leichter durch die untere oder harmonische Hälfte der Oktave, von der Prime bis zur Quinte als durch die obere Hälfte von der Quinte zur Oktave, bestimmt. In dieser kann die Melodie so sein, dass man, wo die begleitende Harmonie fehlt, lange singen kann, ohne zu wissen, aus welchem Ton das Stück geht. So kann man bei folgendem Satze: gar nicht sagen, ob man aus C dur oder G dur singe.
In ganz kurzen Melodien, die bloß aus ein paar Hauptsätzen bestehen, kann man durchaus bei dem Haupttone bleiben oder allenfalls in seine Dominante modulieren: aber längere Stücke erfordern Abwechslung des Tones, damit der leidenschaftliche Ausdruck auch in Absicht auf das Harmonische seine Schattierung und Mannigfaltigkeit bekomme. Deswegen ist eine gute und gefällige, nach der Länge der Melodie und der verschiedenen Wendungen der Empfindung, mehr oder weniger ausgedehnte, schneller oder langsamer abwechselnde, sanftere oder härtere Modulation, ebenfalls eine notwendige Eigenschaft einer guten Melodie. Was aber zur guten Behandlung der Modulation gehört, ist in dem besonderen Artikel darüber in nähere Erwägung genommen worden.
Durch Einheit des Tones, harmonische Fortschreitung der Töne und gute Modulation wird schon ein angenehmer oder wenigstens gefälliger Gesang gemacht: aber er drückt darum noch nichts aus und kann höchstens dienen, ein Lied choralmäßig und doch noch sehr unvollkommen herzulallen.