Melodie - Klarheit der Töne


IV. Über alles, was bereits von den Eigenschaften der Melodie gesagt worden, muss auch noch dieses hinzukommen, dass sie singbar oder spielbar, und, nach Beschaffenheit ihrer Art, leicht und ins Gehör fallend sei: wo diese Eigenschaft fehlt, da werden die anderen verdunkelt. Dazu wird erfordert, dass der Tonsetzer selbst ein Sänger sei oder dass er es gewesen sei und dass er einige Übung in den meisten Instrumenten habe, um zu wissen, was in jeder Stimme leicht oder schwer sei. Denn außerdem, dass gewisse Sachen an sich, des starken Dissonierens halber, jeder Stimm und jedem Instrument schwer sind, werden es andere, weil die Tonsetzer die Natur des Instruments, wofür sie gesetzt sind oder die Art, wie man darauf spielt, nicht genug gekannt oder überlegt hat.

Die Leichtigkeit, das Gefällige und Fließende des Gesangs kommt gar oft von der Art der Fortschreitung her und hierüber hat ein Meister der Kunst [Hr. Kirnberger] mir mancherlei Beobachtungen mitgeteilt, davon ich die vornehmsten jungen Tonsetzern zu gefallen hier einrücken will.

Leicht und faßlich wird eine Melodie vornehmlich schon dadurch, dass man bei der Tonleiter des angenommenen Tones, so lange man nicht ausweichen will, bleibt und nirgend einen durch oder b. erhöhten oder erniedrigten Ton anbringt. Denn die diatonische Tonleiter ist in jedem Intervall, jedem Ohr faßlich. Es versteht sich von selbst, dass dieses nur von den Fällen gelte, wo der Ausdruck nicht notwendig das Gegenteil erfordert. Die Regel dient zur Warnung der Unerfahrnen, die kaum ihren Ton angegeben haben, da sie schon Töne einer anderen Tonart hören lassen; vermutlich, weil sie sich einbilden, es sei gelehrter, wenn sie oft etwas fremdes einmischen.

Aber auch dabei muss man sich in Acht nehmen, dass man nicht auf gewissen Tönen, die wir Leittöne genannt haben [s. Leitton], stehen bleibe oder von da gegen ihre Natur fortschreite. So kann man z.B. wenn man in der großen Tonart Stufenweise von dem Grundton oder von der Quinte aus auf die große Septime der Tonika gekommen ist, nicht stehen bleiben, noch davon rückwärts gehen; die Oktave muss notwendig darauf folgen. Ist man in der weichen Tonart vom Hauptton Stufenweis bis auf die Sexte gekommen, so muss man notwendig von da wieder einen Grad zurücktreten, welches auch von der kleinen Septime der Dominante gilt, auf die man so gekommen ist; ingleichen muss man in der harten Tonart, wenn man von der Sexte noch um einen halben Ton steiget, von da wieder in den nächsten halben Ton unter sich zurück.

Hiernächst sind in Absicht auf das Leichte und Gefällige des Gesangs die Wirkungen der verschiedenen Arten gleichförmiger Fortschreitungen in Erwegung zu ziehen. Diesen Namen geben wir den Fortschreitungen, die eine Zeitlang durch gleichnahmige Intervalle, nämlich durch Sekunden, Terzen, Quarten u.s.w. geschehen. Diese sind allemal leichter als die ungleichförmigen oder springenden, da man jeden Schritt durch ein anderes Intervall tut.

Die Fortschreitung durch diatonische Stuffen gibt dem Gesange die größte Faßlichkeit und ist jedem Ohr angenehm. Sie hat auch für die Fugen besonders den Vorteil, dass der Hauptsatz dadurch von einem Gegensatz sich leicht auszeichnet, wie z.B. Nur wird das herauf und herunter Rauschen von einen Ton bis in seine Oktave und von dieser zur Prime, als: worin viele eine Schönheit zu suchen scheinen, zum Ekel. Aber Oktavenläufe, die Stuffenweis wiederholt werden, gefallen, wie z.B. Nach der Stufenweis gehenden Fortschreitung kommt die, da die zweite Stuffe wiederholt wird, als: Auch dieses findet jeder Liebhaber gefällig. Aus solchen Sekundenweis gehenden Fortschreitungen, die man auf unzählige Weisen verändern kann, entstehen tausenderlei Arten von gefälligen Melodien, davon wir nur wenige Fälle anführen wollen.

Aber Stufenweis chromatisch fortzuschreiten, hat für bloße Liebhaber etwas mißfälliges und muss nur da angebracht werden, wo der Ausdruck etwas finsteres oder gar schmerzhaftes erfordert: in Stücken von vergnügtem Charakter muss dieses gänzlich vermieden werden. Hingegen zum Possierlichen in komischen Stücken, kann eine solche Fortschreitung, unter angenehme vermischt, gute Wirkung tun.

Nach den Sekunden sind die Terzenfortschreitungen angenehm und leicht, auch zur schnellen Bestimmung der Tonart, wenn man von der Tonika eine Terz steigt oder von ihrer Dominante eine Terz fällt, sehr dienlich. Man kann eine ganze Folge von Terzensprüngen Stufenweise herauf oder heruntergehend anbringen, wie hier: Aber zwei große Terzen nach einander sind nicht nur unangenehm, sondern auch kaum zu singen. Auch Terzensprünge wodurch man allmählich heruntersteiget, sind auf folgende Art sehr unangenehm und zum Singen unbequem. Gut aber sind sie auf nachstehende Weise: Der hier durch einen Querstrich angezeigte Tritonus hat im Absteigen nichts Wiedriges. Man darf nur beide Arten nach einander singen, um die Richtigkeit dieser Bemerkung zu empfinden.

Auch übereinander in eine Reihe gesetzte Terzen sind angenehm und leicht, nur müssen sie alle aus der Harmonie des Basstons sein. Z.B. Überhaupt kann man die Fortschreitung durch Terzen unter die leichtesten und gefälligsten rechnen.

Man hat schöne Melodien, in welchen keine größere Fortschreitungen als durch Sekunden und Terzen vorkommen und die dennoch Abwechslung und Mannigfaltigkeit genug haben.

Bei Fortschreitungen durch größere Intervalle hat man immer darauf zu sehen, dass sie mit dem Basston konsonieren, damit sie im Singen leicht zu treffen seien. Man kann sie dann wie Stuffen brauchen, durch die man mit Leichtigkeit auf sehr schwere Intervalle herabsteiget. Nämlich die Terz, die Quinte, die Sexte, die Septime und die Oktave dienen die die die die und die große Septime zu treffen, deren jede als das Subsemitonium einer von jenen Konsonanzen ist, folglich durch das Absteigen von ihr leicht getroffen wird. Nur die None wird als Sekunde der Oktaveangesehen und auf diese Weise vom Sänger gefunden. Dieses wird durch folgende Beispiele erläutert. Quartensprünge, die Stufenweis höher steigen, können auf folgende Weise angebracht werden. Aber durch eine Folge von Quarten herunterzusteigen oder eine Stuffenweis höher gehende Folge von fallenden Quarten, ist selten gut. Darüber kann folgendes zur Lehre dienen. Ohne Unterbrechung durch Quarten zu steigen, geht auch an; aber der Tritonus muss nicht dabei vorkommen. Folgendes ist gut: Aber rückwärts herunter gingen diese zwei Quarten nicht an.

Zwei kleine Quinten können nicht unmittelbar auf einander folgen, es sei denn, dass einmal die übermäßige Quarte dazwischen liege, wie in folgendem Beispiel: Von kleinen Sexten können nicht über zwei nach einander folgen, ohne dass die Tonart dadurch verlezt würde. Aber große Sexten können viel nach einander folgen, zumal bei öfterer Abänderung der Modulation. Z. E. Aber folgende Sexten hintereinander wären gar nicht zu singen. Mehrere Septimen aber können nicht unmittelbar auf einander folgen; doch geht es an, wenn konsonierende Sprünge dazwischen kommen.

In Ansehung der gefälligen Fortschreitung verdient auch noch angemerkt zu werden, dass die kleineren Intervalle den Gesang angenehmer machen als die größeren: sie müssen also, wenn nicht der Ausdruck das Gegenteil erfordert, am öftersten gebraucht werden. Dadurch erhält man auch den Vorteil, dass die seltenen vorkommenden größeren Sprünge eine desto bessere Wirkung tun. Aber aus dem, was wir schon anderswo angemerkt haben [s. Eng], ist auch begreiflich, warum für den tiefsten Bassgesang größere Intervalle den kleinen vorzuziehen sind. Wo der Gesang vielstimmig ist, da gehört es wesentlich zur Faßlichkeit des Ganzen, dass die Stimmen nicht gegen ihre Natur mit Tönen überladen werden. Es geht nicht allezeit an, dass man hierin das beste und leichteste Verhältnis beobachte, welches darin bestünde, dass wenn der Bass durch halbe Takte fortrückt, der Tenor Viertel, der Alt Achtel und der Diskant Sechszehntel hätte. Aber gut ist es, wenn der Tonsetzer, wenigstens so weit es die Umstände erlauben, sich diesen Verhältnissen zu nähern sucht. Es ist offenbar, dass hohe Töne weniger Nachklang haben als tiefe und dass sie eben deswegen weniger Nachdruck und Schattierungen, wodurch der Ausdruck unterstützt wird, fähig sind. Dieses muss also durch Abänderung der Töne in hohen Stimmen erreicht werden. Und eben des Nachklanges halber, verträgt der Bass Brechungen oder sogenannte Diminutionen einzelner Töne in der tieferen Oktave gar nicht, weil sie ein unverständliches Gewirre verursachen. Je höher aber eine Stimme ist, je mehr verträgt sie solche, besonders schaden die daher im Durchgang entstehenden Dissonanzen der höchsten Stimme gar nichts.

Auch dieses ist zur Vernehmlichkeit sehr gut und oft notwendig, dass wenigstens eine Stimme bloß durch ganze Taktteile vorschreitet, durch Viertel in Vierteltakt und durch Achtel im Achteltakt.

Zuletzt möchte es, besonders in unseren Tagen, da die Melodien gar zu sehr mit unnützen Tönen überladen werden, nicht undienlich sein, auf Einfalt des Gesangs zu dringen. Aber es ist zu befürchten, dass die Tonsetzer wenig darauf achten. Mancher scheint in der Meinung zu stehen, dass er um einen so viel geschicktern Tonsetzer werde gehalten werden, je mehr Töne er in einen Takt hereinzwingt. Es wäre übertrieben, wenn man darauf dringen wollte, dass jede Silbe des Textes oder jeder Taktteil nur einen Ton haben sollte. Aber dieses ist gewiss nicht übertrieben, wenn man behauptet, dass ein Ton auf jeder Silbe und auf jedem Taktteil, sich besonders auszeichnen müsse; dass die ganze Kraft der Melodie allemal auf diesen Haupttönen beruhe und dass alle, durch die sogenannte Diminution oder Brechung dieses Tones, hineingekommene Töne als bloße Ausziehrungen dieses Haupttons anzusehen sind. Da nun alles, was mit Zierraten überladen ist, den guten Geschmack beleidiget, so ist auch von der mit Nebentönen überladenen Melodie dasselbe Urteil zu fällen.

Zu der Einfalt der Melodie rechnen wir auch noch dieses, dass dieselbe durch die begleitenden Stimmen nicht verdunkelt werde. Man wird finden, dass jeder Tänzer lieber und leichter nach einer Melodie tanzt, die nicht durch mehrere Mittelstimmen verdunkelt wird. Dieses beweiset, dass die Mittelstimmen dem Gesang seine Faßlichkeit benehmen können. Daher trift man in ältern Werken, wie z.B. in Händels Opern viel Arien an, die keine andere Begleitung als den Bass haben. Diese nehmen sich unstreitig am besten aus: aber der Sänger muss seiner Kunst dann gewiss sein. Es gibt freilich Fälle, wo, selbst rauschende Mittelstimmen, notwendig sind, wie z.B. wenn der Ausdruck wild und rauschend sein muss, die Melodie aber in einem hohen Diskant steht: da tun sehr geschwind rauschende Töne der Violinen in den begleitenden Stimmen die Wirkung, die von der dünnen Stimme des Sängers nicht konnte erwartet werden.

Aber darin muss der Tonsetzer auch die Einfalt der Melodie nicht suchen, dass er die Singestimme im Unisonus von Flöten, Violinen oder anderen Instrumenten begleiten lässt. Dieses ist vermutlich schwacher Sänger halber aufgekommen, welche ohne solche Hilfe die Melodie nicht treffen würden. Auch will man durch Empfehlung der Einfalt eben nicht sagen, dass man etliche Takte nach einander ganz einförmig sein oder allezeit nur die Töne setzen soll, die schlechterdings wesentlich sind. Es würde auf diese Weise dem Gesang an der so nötigen Abwechslung und Mannigfaltigkeit fehlen: wiewohl man auch in Tonstücken großer Meister bisweilen Folgen von Takten antrift, da dieselben Töne wiederholt werden. Dann aber wird durch die Mannigfaltigkeit der Harmonie und viel schöne Modulationen, die Abwechslung die der Melodie zu fehlen scheint, hervorgebracht, welches auch bei lange aushaltenden Tönen zu beobachten ist.


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 13:14:13 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z