Musik - Geschichte der Musik. Neuzeit
Es wird also der Musik, die in den schönsten Zeiten Griechenlands in ihrer Art so vollkommen mag gewesen sein als irgend eine andere der schönen Künste, auch bei der Ausartung des griechischen Geschmacks nicht besser gegangen sein als diesen: und es ist höchst wahrscheinlich, dass sie allmählich von ihrem ersten Zweck abgeführt und bloß zur Belustigung müßiger Menschen gebraucht, dadurch aber mit willkürlichen und unnützen Zierraten überladen worden. Man hat deutliche Spuren, dass sie in diesem Zustande gewesen sei, als man anfing, sie zum Gebrauch des öffentlichen Gottesdienstes in den christlichen Kirchen einzuführen. Dadurch ist sie zwar von allen ausschweifenden Zierraten und von der theatralischen Üppigkeit wieder gereinigt, vermutlich aber auch einiger wahrer Schönheiten beraubet worden. Dann in jenen Zeiten, da der gute Geschmack überhaupt beinahe gänzlich erloschen war, konnte es nicht anders sein als dass auch die Musik von der allgemeinen Barbarei angesteckt werden musste. Sie wird, wie die Wissenschaften, bloß in den Händen unwissender und des Nachdenkens ungewohnter Mönche geblieben sein, wo sie notwendig ihre beste Kraft verlieren musste.
Doch ist in diesen finstern Zeiten, durch Erfindung einiger bloß zum äußerlichen und zur Bezeichnung der Töne dienenden Hilfsmittel, der Grund zu einer nachherigen großen Verbesserung gelegt worden. In dem 11. Jahrhundert, erfand ein Benediktiner Mönch, Guido von Arezzo , wie man durchgehends davor hält, das Liniensystem, um die Töne, die vorher bloß durch Buchstaben, die man über die Silben setzte, angedeutet wurden, durch die verschiedene Lage auf demselben, nach ihrer Höhe und Tiefe zu bezeichnen. Aus dieser höchstglücklichen Erfindung entstand nachher, durch allmähliche Zusätze und Verbesserungen, die jetzt übliche Art die Töne in Noten zu schreiben, wodurch nicht nur jeder Ton nach seiner Höhe und Tiefe, sondern auch nach seiner Dauer und anderen Abwechslungen auf eine sehr bequeme Weise, kann bezeichnet werden, welches den Vortrag eines Tonstücks erstaunlich erleichtert und eben darum auch die Musik selbst in ihren wesentlichen Teilen befördert hat. Im XIV Jahrhundert soll die Art ein Tonstück durch Noten zu bezeichnen, durch einen französischen Doktor der freien Künste, Jehan de Meurs oder de Muris noch mehr vervollkommnet worden sein. Wenigstens schreibt man ihm die Erfindung der verschiedenen Formen der Noten, wodurch die Dauer der Töne, angezeigt wird, zu; woran aber Rousseau, wie es scheint nicht ohne guten Grund, zweifelt. Es scheint aber, dass die Erfindung der Noten und dessen was sonst zum Schreiben der Tonstücke gehört, erst in dem nächst verflossenen Jahrhundert ihre Vollkommenheit erreicht habe.
Von anderen allmählichen Verbesserungen der Kunst, in Absicht auf das Wesentliche derselben, wird man nicht eher richtig urteilen können, bis ein Mann, der dazu hinlängliche Kenntnis hat, eine Sammlung auserlesener Gesänge aus verschiedenen Zeiten, nach der jetzigen Art in Noten geschrieben, herausgeben wird, damit sie mit Fertigkeit können gesungen und folglich richtig beurteilt werden. Die oben angeführte Nachricht des P. Gerberts lässt uns hierüber nicht ganz ohne Hoffnung. Am sichersten aber wäre diese Arbeit von dem berühmten Pater Martini in Bologna zu erwarten. Was wir von der Beschaffenheit der Musik in den mittlern Zeiten noch wissen, betrifft fast allein den Kirchengesang. Von Tanz- und anderen Melodien älterer Zeiten, weiß man sehr wenig und doch würde man uns auch solche vorlegen müssen, wenn wir von der Beschaffenheit der ältern Musik überhaupt ein Urteil zu fällen hätten.
Es scheint, dass man bis ins XVI Jahrhundert die diatonischen Tonleiter der Alten, in Absicht auf das Harmonische darin, ohne andere Veränderung als den weiteren Umfang in der Höhe und Tiefe, beibehalten habe: und in Absicht auf die Modulation ist man lediglich bei den Tonarten der Alten bis auf dieselbe Zeit stehen geblieben. Erst in erwähntem Jahrhundert scheint der Gebrauch der neueren halben Töne allmählich eingeführt worden zu sein, wodurch jeder Ton in seinen Intervallen, den anderen ungefähr gleich gemacht worden. Ehe diese halbe Töne eingeführt worden, konnte man nicht anders als nach den sogenannten Kirchentönen [s. Tonarten der Alten] modulieren. Spielte man in der ionischen Tonart oder nach jetziger Art zu sprechen aus C, so war es notwendig C dur, weil das C keine weiche Tonleiter hatte, so wenig als aus A oder der äolischen Tonart, nach einer harten Tonleiter konnte gespielt werden. Doch ist bis jetzt die eigentliche Epoche der Einführung der heutigen vier und zwanzig Tonarten, so neu sie auch ist, nicht bestimmt. Vermutlich sind nicht alle neuere halbe Töne auf einmal, sondern nur allmählich in den Orgeln angebracht worden. Dadurch sind die chromatischen und enharmonischen Gänge in die Musik eingeführt und daher ist auch die Mannigfaltigkeit der Modulationen vermehrt worden. In gedachtem XVI Jahrhundert, haben Zerlino und Salinas das meiste zum Wachstum der Musik beigetragen. Es scheint auch dass der vielstimmige Satz und die begleitende Harmonie damals in der Musik eingeführt worden.
In dem letztvergangenen Jahrhundert hat die Musik durch Einführung der Opern und der Konzerte, einen neuen Schwung bekommen. Man hat angefangen die Künste der Harmonie weiter zu treiben und mehr melismatische Verziehrungen in den Gesang zu bringen. Dadurch ist allmählich die sogenannte galante oder freiere und leichtere Schreibart und weit mehr Mannigfaltigkeit der Takte und der Bewegungen in der Musik aufgekommen. Es ist nicht zu leugnen, dass nicht dadurch die melodische Sprache der Leidenschaften ungemein viel gewonnen habe. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht in Abrede sein, dass von den Verziehrungen und den mehreren Freiheiten in Behandlung der Harmonie nach und nach ein so großer Missbrauch ist gemacht worden, dass die Musik gegenwärtig in Gefahr steht, gänzlich auszuarten. In dem vorigen Jahrhundert und in den ersten Jahren des gegenwärtigen ist die Reinheit des Satzes in Absicht auf die Harmonie und die Regelmäßigkeit der melodischen Fortschreitungen auf das Höchste getrieben worden und es kann nicht geleugnet werden, dass nicht beides zu dem ernsthaften Kirchengesang höchst notwendig sei. Beide werden gegenwärtig von vielen gering geschätzt oder gar für unnütze Pedanterie gehalten, wodurch besonders die Kirchenmusik und alle anderen Gattungen, wo jeder Schritt des Gesangs ausdrückend und bedeutend sein soll, ungemein viel leiden. Freilich hat man auch an Feuer, Lebhaftigkeit und an den mancherlei Schattierungen der Empfindung durch die Mannigfaltigkeit der neueren melodischen Erfindung und selbst durch kluge Übertretung der strengen harmonischen Regeln, gewonnen. Aber nur große Meister wissen diese Vorteile zu nutzen.
Dass die Musik in den neueren Zeiten, dem schönen und sehr geschmeidigen Genie und der feinen Empfindsamkeit der Italiener das meiste zu danken habe, ist keinem Zweifel unterworfen. Aber auch aus Italien ist das meiste, wodurch der wahre Geschmack verdorben worden, vornehmlich die Üppigkeit der nichts sagenden und bloß das Ohr kitzelnden Melodien, in die Kunst gekommen. Schwerlich werden die meisten Ausländer, die in vielen Stücken gegen das deutsche Genie unüberwindliche Vorurteile haben, unserer Nation das Recht widerfahren lassen, das ihr in Absicht auf die Musik gebührt. Sie werden nie mit wahrer Freimütigkeit gestehen, dass unsere Bache, Händel, Graun, Hasse in die Klasse der Männer gehören, die der heutigen Musik die größte Ehre machen. Händel hat, nicht seine bewunderungswürdige Kunst, sondern bloß die Ausbreitung seines Ruhmes, dem Zufall zu danken, dass er durch seinen Aufenthalt in England den Nationalstolz dieser sonderbaren Nation, interessiert hat: hätte er alles getan, was er wirklich getan hat, so würde seiner kaum erwähnet werden, wenn bloß seine Werke, ohne seine Person nach jenem Lande gekommen wären. Graun, der an Lieblichkeit des Gesangs alle übertrifft und an Richtigkeit und Reichtum der Harmonie, auch genauer Beobachtung aller Regeln, kaum irgend einem anderen nachsteht, ist außer Deutschland fast gar nicht bekannt.
Über die Theorie der Kunst ist bis jetzt, wenn man das, was die Richtigkeit und Reinheit der Harmonie und die Regeln der Modulation betrifft, ausnimmt, wenig Beträchtliches geschrieben worden. Selbst das, was die Harmonie betrifft ist nicht aus zuverlässigen Grundsätzen hergeleitet worden. Das wichtigste Werk über die Theorie wird ohne Zweifel das sein, was der Berlinische Tonsetzer Hr. Kirnberger unternommen hat, wenn erst der zweite Teil desselben wird an das Licht getreten sein. [Der erste Teil ist vor etwa 2 Jahren unter dem Titel: d. Kunst des reinen Satzes in der Musik herausgekommen.] Schon im ersten Teile ist die Kenntnis der Harmonie aus dem unbegreiflichen Chaos, worin sie, nicht in den Tonstücken großer Meister, sondern in den theoretischen Schriften darüber, gelegen hat, in ein helles Licht gesetzt worden. In diesem ganzen Werke bin ich überall den harmonischen Regeln dieses Mannes, so weit ich sie einzusehen im Stande war, gefolgt. Und hier wird auch der bequemste Ort sein, überhaupt das Bekenntnis abzulegen, dass das, was ich über diese Kunst hier und da bemerkt habe, aus dem Unterricht geflossen ist, den mir dieser in seiner Kunst höchst erfahrne und scharfsinnige Mann, mit ausnehmendem Eifer erteilt hat.