Maschine

Maschine. (Epische und dramatische Dichtkunst) Durch dieses Wort bezeichnet man die ganz unnatürlichen Mittel einen Knoten der Handlung in epischen und dramatischen Gedichten aufzulösen, dergleichen Wunderwerke, Erscheinungen der Götter, völlig außerordentliche, aus Not von dem Poeten erdichtete Vorfälle und andere Dinge sind, wodurch der Knoten mehr zerschnitten als aufgelößt wird. Bisweilen dehnt man die Bedeutung auch noch auf andere der Handlung willkürlich eingemischte und bloß in den Bedürfnis des Dichters gegründete Wesen oder Vorfälle, aus; wie wenn Voltaire in der Henriade die Zwietracht oder wenn man andere allegorische Wesen zu großen Veränderungen in die Handlung einführt. Aber eigentlich und ursprünglich bedeutet das Wort jene unnatürliche Auflösung des Knotens und ist daher entstanden, dass die Alten die Erscheinung der Götter in den dramatischen Vorstellungen durch künstliche Maschinen veranstalltet haben, daher das Sprüchwort Deus ex Machina entstanden ist.

 Die gesunde Kritik verwirft diese Maschinen als Erfindungen, die der Absicht des epischen und dramatischen Gedichtes gradeentgegen sind. Beide sollen uns durch wahrhafte, nämlich in der Natur gegründete Beispiele zeigen, was für glücklichen oder unglücklichen Ausgang große Unternehmungen haben, was für wichtige Veränderungen in dem Zustand einzelner Menschen oder ganzer Gesellschaften durch große Tugenden oder Laster oder durch Leidenschaften bewirkt werden. Das völlig Außerordentliche aber, das nie zur Regel dienen kann, ist zu dieser Absicht nicht tüchtig und folglich zu verwerfen. Es gibt in dem menschlichen Leben Lagen der Sachen, da jedermann höchst begierig wird zu sehen, was für einen Ausgang die Sachen haben werden. Die Erwartung wird aber nicht befriediget, wenn er nicht natürlich ist oder nicht durch die in den handelnden Personen liegende Kräfte bewirkt wird.

 Darum sollten die Dichter nicht einmal völlig zufällige Ursachen, ob sie gleich historisch wahr sind, zur Bewirkung des Ausganges brauchen; denn sie erfüllen unsere Erwartung eben so wenig als die Maschienen. Wenn wir eine durch vielerlei Unglücksfälle in Armut geratene Familie in einer höchst bedenklichen Lage sähen, die sich jetzt bald entwickeln müsste; so würden wir in unserer Erwartung wegen des Ausganges der Sachen uns sehr betrogen finden, wenn sie von ungefähr einen in der Erde verborgen gewesenen Schaz fände, der sogleich ihrer Verlegenheit ein Ende machte. Ein solcher Ausgang wäre weder für die Kenntnis des Menschen, noch für den Gebrauch des Lebens lehrreich. Darum sagt Aristoteles, der Dichter habe mehr darauf zu sehen, ob die Sachen wahr scheinlich als ob sie wahr seien.

 Aus diesem Grunde können wir auch mancherlei Ursachen der Verwicklung und der Auflösung, die wir in alten Komödien finden, dergleichen die mancherlei Vorfälle sind, die in der ehemals gewöhnlichen Wegsetzung neugeborener Kinder oder in der Sclaverei ihren Grund hatten, nicht brauchen; weil sie jetzt bloße Maschienen wären, da sie in Athen oder Rom natürlich gewesen.

 


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