Selbstanzeige


Der folgende Auszug aus einem längeren Aufsatz (»Karl Kraus« von Walter Serner, 'Karlsbader Zeitung' XXV., Nr. 8) — mit Streichung noch überschwänglicherer Teile — wird hier nicht als Kritik veröffentlicht, sondern als Beispiel einer Anhängerschaft, wie sie seit Jahren täglich mir in Zuschriften sich beweist. Jetzt diene solch ein Beweis — von einem mir persönlich Unbekannten — als Gegenstück. Von der Geteiltheit, deren die Meinungen über mich fähig sind, könnte ein neuer Leser Kopfschmerzen bekommen. Die Berliner literarische Kultur, der ich das Berliner Revierkellnersystem immer vorgezogen habe, mag sich gegen mich organisieren: sie muß doch über die Kontraste, die sie bewirkt, erschrecken, und wenn sie vollends bedenkt, dass sie selbst früher auf der andern Seite gestanden hat, stutzig werden und sagen: am Ende löst sich der ganze Widerspruch in unserer Lumperei auf.

»In Wien, wo man Lehm sagt und davon überzeugt ist, dass man Leben meint, erscheint seit ungefähr zwölf Jahren die Zeitschrift 'Die Fackel', deren Herausgeber Karl Kraus mit ihr bezweckt, dieser Überzeugung heimzuleuchten. Er tat das bisher mit einer Gründlichkeit, die, nur äußerlich begrenzt, beim Kutscher anfängt und beim Obersten Gerichtshof aufhört. Zwischeninne liegt das weite Feld seiner Kulturarbeit, von der die Presse Österreichs noch bis vor kurzem schwieg und die Wiens beharrlich schweigt .... Nicht Eimer voll Haß, nicht alle Totschweigerei haben es zu verhindern vermocht, dass ein gewaltiger Kopf seinen Mund hörbar machte; sie haben es erreicht, dass sein Nacken mehr und mehr sich steifte und nach oben durchstieß .... Dass ihn die einen Satiriker, die anderen Kulturkritiker, jene einen Philosophen, die einen Publizisten heißen, ist ein Beleg mehr für das Einschachtelungsbedürfnis, das der Staatsverband weckt und das selbst vor einem Phänomen nicht Halt macht .... Was keiner noch von ihm sagte, ist er: ein Wahrheitssucher .... Aber eine Wahrheit, die im Blut braust, die so übermächtig ist, dass sie die ahnungsvollen Schauer von Schöpfungsseligkeiten über den Rücken führt, solch eine Wahrheit ist in Karl Kraus. Und aus ihr heraus quillt sein Genie, dessen Sprache die Sprache ist .... Man bedenke, was es bedeutet, dass die Sprache von Karl Kraus wie ehedem die Goethes und Nietzsches eine Schlucht hinter sich klaffen läßt, die Jahrzehnte emsiger geistiger Arbeit erst werden überbrückt haben. Karl Kraus steht mit seiner Sprache einsam da, so einsam, dass es schier an Wunder mahnt, welche Schönheit und Kraft, welche Fülle und Beweglichkeit er in sie trug .... Sie tat ihren folgenschwersten Schlag in dem Essay »Heine und die Folgen« .... Das Titanenhaft-Befreiende, das von diesem Büchelchen ausgeht, hat in seiner Wirkungsgewalt nur ein Ähnliches: so muß Lessings 'Laokoon' in alle tätigen Köpfe gefahren sein. Karl Kraus hat mit diesem Essay an einem Schulbeispiel, dem er die Berechtigung zum Beispiel und zur Schule zertrat, die Grenzen von Genie und Freibeutertum aufgezeigt. Er hat einen Götzen umgelegt, dem wohl bald auch die schmarotzend-anbetende Sekte folgen muß. Er hat damit eine unvergleichliche Kulturtat getan, deren Folgen noch unabsehbar sind wie die Heines nun schon absehbar.... Ewig unvergessen auch wird ihm die herrliche Kühnheit bleiben, mit der er der österreichischen Strafrechtspflege an den Hals fuhr ....; unvergessen die Weltperspektive, die er hinter dem Mord an Elsie Siegl aus der Erde riß .... Die Form des Aphorismus ist dieser Wucht die selbst ergriffene Zwangsjacke, in der ein übermenschlicher Geist die unerhörte Triebstärke seiner Denkerlebnisse austobt. Wenn man den Band 'Sprüche und Widersprüche' aus der Hand legt, dauert es lange, bis man wieder alles und auf alles hört. Jedem, der das Denken sich nicht abgewöhnt hat, muß dieses Buch zum Erlebnis werden .... Karl Kraus hat seit Nietzsche nicht seinesgleichen. In hundert Jahren wird man ihn in billigen Volksausgaben lesen und die spärliche Bewunderung seiner Zeit für ihn nachsichtig belächeln.«

Anders der verehrende Max Brod in Prag. Er schreibt einen polemischen Essay, um zu begründen, warum er den polemischen Essay für eine niedrige Kunstgattung hält. Er behält recht. Er beklagt sich darüber, dass ich ihn »Herr« nenne. Er hat recht. Er zitiert schlechte Witze, die ich gemacht habe; mit Recht, sie sind schlecht, wenn sie der Brod zitiert. Denn es kommt auf die Luft an, in der ein Wort atmet, und in schlechter Luft krepiert selbst eines von Shakespeare. Geist auf Brod geschmiert ist Schmalz. »Die einfachste Wortähnlichkeit wird ihm zum Erlebnis«, sagt diese Brodkrume und ahnt nicht, wie recht sie hat. Aber die Kunstauffassung ist hier nicht so wichtig wie die Sachlichkeit:

»Wer meine Entwicklung vom Indifferentismus zu einem eigenartigen Optimismus kennt, weiß, dass ich mich aus sachlichen Gründen von Kraus abwenden mußte, dass mich seine günstigen Urteile über mich, die mir seine und meine Freunde zutrugen, ebensowenig an dieser Stellung irregemacht haben wie die Freikarte, die mir die Unternehmer seiner Prager Vorlesung (ob auf seinen Wunsch oder nicht, weiß ich nicht — doch weiß ich, dass er das Arrangement bis in die kleinsten Details mit Telegrammen überwacht hat) zusandten, mit der ausdrücklichen Betonung, dies sei die einzige, und die ich unbenützt zurückgab.«

Auf dieses Gedicht — das Parzenlied aus der Iphigenie ist stärker — wäre nur zu erwidern, dass ich die Überreichung der Freikarte nicht überwacht habe. Hätte ichs getan, so wäre es unabsichtlich geschehen, weil ich nicht wußte, dass der Brod seine Entwicklung vom Indifferentismus zu einem eigenartigen Optimismus — ich kam ja ganz ahnungslos nach Prag — bereits vollzogen hatte. Dass der Brod trotz der Versuchung — und wiewohl es offenbar in der neueren Literatur möglich ist, mit Freikarten in Weltanschauungen einzugreifen — sich nicht herumkriegen ließ, sondern bei seinem eigenartigen Optimismus blieb, ist wacker. Aber telegraphiert habe ich nicht, und nie hätte ich den tadelnswerten Versuch unternommen, durch eine plötzliche Freikarte hereinbringen zu wollen, was ich mir durch eine jahrelange Nichtbeachtung des Brodschen Schaffens, die mir fast schon zur zweiten Natur geworden war, verscherzt hatte. Es wäre ja eine Bestechung zur Erlangung eines Nachteils gewesen. Von gemeinsamen Freunden weiß ich nichts, von günstigen Urteilen, die man ihm hätte zutragen können, ist mir nichts bekannt; es wäre denn, er meinte das Kompliment, dass er der erotische Wurmfortsatz des Übersetzers Blei sei. Ich kannte den Brod stets viel zu wenig, um ein günstiges Urteil über ihn zu fällen. Ich kenne nicht viel mehr von ihm als den oben zitierten Satz, und etwa noch den folgenden: »Ein schönes Prager Mädchen, die ich von der Gasse kenne«. Also eine ziemlich oberflächliche Bekanntschaft, wie sie sich sonst nur bei tieferem Eindringen in Herrn Brod ergeben mag.

 

 

Nr. 326/327/328, XIII. Jahr

8. Juli 1911.


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