Organisation
der Schauspielerinnen, das ist, wenn es rechte Schauspielerinnen sind, wie eine Organisation der Ligusterschwärmer. Aber dem kühnen sozialpolitischen Gehirn, welches nicht ahnt, dass die Schauspielerin mehr Weib ist als der Schauspieler Mann, scheint alles möglich. Und es findet richtig einige Theaterbürgerinnen, die für seine Pläne reif sind. Damen, die auf der Bühne Salonschlangen so darstellen, dass man ihnen ohneweiters die Fähigkeit zutraut, in einer Versammlung für Mutterschutz das große Wort zu führen. »Auch sie« verachten das »Laster«, aber wie ein gewiegter Soziologe wissen sie zu unterscheiden, »ob sich Verirrungen als Laster erweisen oder als Opfer wirtschaftlicher Schäden, wie sie alle Stände zeitigen und die von jeher jede Berufsgruppe unter sich bekämpft hat«. Wer würde denn gleich »den Bankierstand, den Advokatenstand, den Offiziersstand verachten, wenn der Bankier Krida macht, der Advokat Mündelgelder unterschlägt, der Offizier sich zu Spionagediensten hergibt?« Man sieht, die Schauspielerin von heute kann »argumentieren«. Die Wolter war es nicht imstande. Aber die Argumente taugen nicht; denn es ist keine Eigenschaft des Bankiertalents, Krida zu machen, es ist keine Naturanlage des Advokatenberufs, Mündelgelder zu unterschlagen, und es ist keine sympathische Notwendigkeit des Militärlebens, sich zu Spionagediensten herzugeben. Und es ist vor allem das traurige Stigma des Bürgergeistes, die Schrecken des außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit Bildern aus der kriminellen Sphäre zu illustrieren. Und der Notschrei einer Schauspielerin über die »wuchernden Liaisons« wird von den Zeitungen mit Sperrdruck gelobt. Sie läßt höchstens die »auf sentimentaler Grundlage beruhenden Liebesverhältnisse« gelten, aber »zahlende Verhältnisse« sind eine »Schädigung des ganzen Standes«. Und keiner wandte ein, dass doch die nichtzahlenden eine schwerere Schädigung seien. Aber dass selbst solche eine dem Wesen des Weibes, also der Schauspielerin organische Notwendigkeit seien, mit der Frauenrechtlerinnen beiderlei und keinerlei Geschlechtes kaum fertig werden dürften. »Wie die moderne Jurisprudenz und Medizin«, sprach die Salondame, »sich immer mehr auf die Prophylaxis der Verbrechen und Krankheiten verlegt und nicht erst auf deren Bestrafung respektive Heilung, so sollen auch bei uns vor allem sanitäre Zustände in moralischer Beziehung geschaffen werden .. Sind diese Zustände einmal geregelt und zeigen sich dann noch moralische Exzesse, die über den allgemeinen Ehrbegriff hinausgehen, dann werfet meinetwegen den ersten Stein auf die Schauspielerin.« Aber es wird sich bis dahin hoffentlich herausstellen, dass mit dem allgemeinen Ehrbegriff nur sehr dürftige schauspielerische Leistungen erzielt werden können. Die Naturgewalt, die die Richtung ins Schneideratelier nimmt und gewiß nicht in den Verein weiblicher Bühnenangestellten, läßt sich selbst von der Aussicht nicht bange machen, dass die Direktoren künftig die Toiletten beistellen. Es kann nicht schaden, dass man ihnen diese Last auferlegt, nicht weil dann die Moral beruhigt sein könnte, aber weil es unstatthaft ist, dass die Sorte selbst aus einem solchen Zustand Vorteil zieht, den sie nicht verschuldet hat. Doch die Bestrafung der Kuppler hat zum Glück keine abschreckende Wirkung auf die Prostitution. Das theater- und lebensferne Geschwätz der Sozialpolitiker aber vermehrt nur die Kopfschmerzen, die der heutige Tag dem Kulturmenschen bringt. In dem moralischen Zwielicht, in das die natürlichsten Dinge getaucht werden, muß jedes Wort, das da gesprochen wird, eine »zynische« Deutung finden, die immer noch lebendiger ist als der Trottelernst, mit dem es angehört wird. Eine zu oft genannte Frauenrechtlerin richtet »einen warmen Appell an die bürgerlichen Frauen, die Schuld, die sie durch Duldung solcher Verhältnisse auf sich geladen, von ihrer Seele zu wälzen«. Eine Provinzschauspielerin ruft, die Schauspielerin der Residenz habe eine Position: »in der Provinz hat sie nur Herrenverkehr, denn die Frauen meiden sie aus Angst, sie könnte ihnen den Gatten, den Sohn oder gar den Bräutigam rauben«. Deshalb verkehrt sie also nur mit diesen. »Sie haben uns gelehrt«, ruft eine Dame, die mit Recht dem »Bürgertheater« angehört, »dass das Zusammenfassen aller Kräfte bei einer Organisation der erste und sicherste Schritt ist zur Bekämpfung der Verhältnisse, unter denen wir leiden.« »Das Leben des Weibes ist die Liebe«, sagt ein Schmock dazu und verlangt das Recht der Schauspielerin auf ehelichen Geschlechtsverkehr. Die Grausamkeit der Direktoren zwinge die Schauspielerin, sich das Ideal der »Gründung einer Familie« aus dem Kopf zu schlagen. Dass man dieses Ideal justament mit der Pflicht, vor tausend Leuten eine Salonschlange zu machen, vereinigen muß und nicht lieber gleich in einer Sphäre, wo man zur listigen Verstellung nicht gezwungen ist, betätigt, das geht den Frauenrechtlern nicht ein. Sie sehen nur das Recht und nicht das Talent zur Mutterschaft. Wenn die Schauspielerin schon keine Nonne ist, soll sie wenigstens eine Gattin sein. Sie sehen nur das Recht, nicht das Talent. So ist die Theatersozialität der schäbige Rest eines krepierten Zeitalters. Das Leben, welches das Leben gefangen hatte, wurde ehedem auf der Bühne frei. Dort konnte es der Teufel holen. Jetzt wird es auch dort der Schinder holen.
Nr. 324-25, XIII. Jahr
2. Juni 1911.