Die Transvestiten


sind Leute, deren Geschlecht sich in der Tracht des andern Geschlechtes wohl fühlt. Ein Berliner Arzt, dessen Spezialität es ist, die lebenden Minderwertigkeiten durch die historischen Genies zu entschuldigen und zu dessen ständigen Patienten Michelangelo, Shakespeare und Friedrich der Große gehören, hat ein Buch über die Transvestiten geschrieben. Was wird nun vollends aus dieser Wissenschaft, wenn sie in die Hände der Feuilletonisten gerät? Da gerät einer in meine Hände, der sich in der 'Zeit' bemüht, sich mit fremden Kompilationen zu schmücken, und dem es richtig gelingt, die Geschlechter durcheinanderzubringen. Die Wissenschaft ist ihrer Popularisatoren würdig; sie gehören in eine Miszelle. Was ist ein Transvestit? Einer, der Frauenkleider anzieht, also ein Homosexueller. Der erfreute Betrachter dieser Verwandlung aber ist kein Homosexueller und jedenfalls kein Transvestit. So wenig, wie der Besucher eines Strichmädchens ein Prostituierter ist.« Von Nero ist es bekannt«, schreibt der Feuilletonist, der es gestern gelesen hat, »dass er seinen Lieblingssklaven Sporus als Kaiserin verkleiden ließ und ihn erst dann liebte. Das ist nun einer jener transvestitischen Wünsche..« Vermutlich hält auch die Wissenschaft, aus der der Feuilletonist schöpft, Neros Wunsch für einen Beweis des Tranvestitentums. Tatsächlich ist er die denkbar stärkste Betonung des eigenen Geschlechts, der männlichste Ausdruck geistiger Verantwortlichkeit, die nicht sich zum Weib macht, sondern den Mann zum Weib, die die Zone der Männlichkeit erweitert, indem sie die Grenzen des Weibseins erstreckt. Die Psychiatrie aber exkulpiert die nicht anders Könnenden mit Hilfe der alles Könnenden, die sie freilich, soweit sie nicht historische Beispiele sind, erbarmungslos der Kriminalität überläßt. Aber so seicht kann diese Wissenschaft gar nicht sein, dass sie nicht immer noch vom Journalismus mißverstanden werden könnte, und für manche zierliche Wendung, die in jenem Feuilleton steht, ist der Gelehrte gewiß nicht haftbar zu machen. »Es ist wohl ganz klar, dass Menschen, die die Neigung haben, weibliche Kleider anzuziehen, eine starke feminine Komponente haben müssen. Viele von ihnen führen ein ganz merkwürdig wüstes und romantisches Abenteurerleben; es sind Frauen darunter, die als Matrosen unzählige Male ausgemustert wurden, als Heizer und Stewards durch die Meere fuhren. Es sind Männer darunter, die jahrelang als Kammermädchen lebten.« Wenn unter jenen, die die Neigung haben, weibliche Kleider anzuziehen, Frauen sind, so ist der Fall von Transvestitentum nicht besonders kraß. Dagegen ist es kein Zweifel, dass unter jenen, die die Neigung haben, Hosen anzuziehen, Feuilletonisten vorkommen.

 

 

Nr. 324-25, XIII. Jahr

2. Juni 1911.


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