In einem einzigen Fall
soll man den Gaffern recht geben. Wenn sie nämlich eines Mannes habhaft werden, der ein Biedermeierkostüm trägt. Es genügt auch ein Überzieher, der hinten eine schöne Zeichnung hat. Es genügt auch der Taillenrock mit zwei Knöpfen, in dem der liebe Lebemann als Püppchen wirkt. Es genügt auch ein schwarzer Vollbart mit roten Backen. Solches Ungeziefer mag als bewußte Behelligung der Menschheit Anstoß erregen. Wenn es aber gar reformerische Absichten hat, dann sollte es keinen Pardon geben. Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Herrenmode den »Künstlern« ausgeliefert wird und dass der enorme Schönheitsdurst, den sie in ihren Bildern nicht aufbrauchen können, an einem neuen Überzieher Befriedigung findet. Ein Blatt hat bereits bei einigen Malermeistern angefragt, wie sie sich zu dem Problem stellen. Einer hat geantwortet:
»Dass die Herrenmode von heute unmalerisch und unkünstlerisch ist, bedarf keiner langen Beweisführung. Ich glaube, dass es niemals anders wird. Es fehlt den Männern an Initiative, vielleicht auch an der Lust, Anlaß zu verständnislosem Humor zu geben. Ich erinnere bloß an die Versuche, die geblümte Weste einzuführen. Was gab es da für ein Hallo, als man Träger dieser neuen Mode auf der Straße sah. Ein Freund versuchte jüngst in einem Rock, etwa in der Biedermeiermanier, mit mir die Straße zu betreten. Wir mußten auf halbem Weg haltmachen, weil wir es vorzogen, den Versuch bleiben zu lassen, als einen Haufen von Gaffern zu unseren Begleitern zu haben. Um zu resümieren: Wir sind heute auf der Suche nach einem neuen Stil in unserer Kleidung. Wir haben ihn noch nicht. Wollen sehen, ob, wenn und wann wir ihn finden.«
Hoffentlich nie! Denn ein unmalerischer Überzieher ist unter Umständen schöner als ein malerisches Gemälde. Der Schöpfer eines solchen sollte auf halbem Wege haltmachen. Der Besitzer eines Biedermeierkostüms traue sich überhaupt nicht aus dem Haus. Die Straße gehört dem Verkehr. Ich warne Biedermeier.
Nr. 324-25, XIII. Jahr
2. Juni 1911.