Der Fackel-Kraus
ist eine Bezeichnung, die zu den unverlierbaren Privilegien des Franz Josefs-Kai gehört. Es ist der ortsübliche Ausdruck einer Lebensbetrachtung, die das Werk nicht nach dem Mann, sondern den Mann nach der Ware bezeichnet. Er bezeugt die unselige Popularität, die ein grinsendes Wien verleiht, welches die Individualität auf hundert Schritte herausfindet und wie das Mutteraug unter allen Schlesingers den Paprika-Schlesinger sogleich erkannt hat. Wenn im herbstlichen Ischl Regenfluten die Kanaille weggeschwemmt haben und man endlich hofft, von Blicken unbetastet seiner Wege gehen zu können, zischt noch aus der Konditorei wie die Natter aus dem Gebüsch das Aviso: Mama der Fackelkraus! Und es sagen's aller Orten die Jourbesucher. Aber die Gefahr, die so bezeichnet wird, fühlt sich durch die Furcht bedroht, durch die Aufmerksamkeit erschreckt und möchte Ruhe haben. Weiß Gott, ich wünsche jedem, der's ausspricht, die Angina an den Hals. Oder zum wenigsten, dass alle diese glotzenden Spaziergänger, die vom Aug in den Mund leben, einmal zusammen auf den Potsdamer Platz getrieben würden. In Berlin, wo die Nullen sich nicht vor den Einser stellen, sorgt die heilige Regel dafür, dass man auf der Straße ein Privatmann bleibt. Eine trostlose Ausnahme bilden nur jene Berliner, die durch vorübergehenden Aufenthalt in Wien aus den Scharnieren geraten sind. Zum Beispiel Herr Paul Schienther, der hier sogar mehrere Jahre lang das Burgtheater geleitet hat und wiewohl ihm Herr v. Berger auf dem Fuße gefolgt ist, kein gutes Andenken hinterläßt. Aber mit wahrem Bedauern sah man, dass er nach der Glanzperiode des Löwenbräus in Berlin als Theaterkritiker frisch angeschlagen wurde. Als solcher nun begann er kürzlich ein Referat mit den folgenden Worten:
Schon vor mehreren Jahren machte in Wien der kleine »Fackel-Krauß« in einer der positiven Anwandlungen seines verneinenden Geistes den Versuch, Frank Wedekinds zweite Lulutragödie »Die Büchse der Pandora« auf die Bühne zu bringen. Es geschah sogar mit Hilfe von Hoftheatermitgliedern ...
Das ist richtig. Vielleicht erinnert sich sogar Frank Wedekind an diese Aufführung. Was nun die Kontrastierung der Kleinheit des Veranstalters und der Größe des Wagnisses betrifft, so ist es Geschmacksache, ob es nicht in solchen Dingen ausschließlich auf den Erfolg ankommt, und ob nicht das Mißverhältnis zwischen Herrn Schlenther und einem Dezennium Burgtheatergeschichte krasser ist. Was aber die Ornamentierung und Orthographie meines Namens anlangt, so ist zu sagen, dass ich solche Scherze nicht liebe. Gewiß, der dicke Burgtheaterschlender hat sich damals, als er seinen Schauspielern die Erlaubnis zur Mitwirkung an den beiden Abenden der »Büchse der Pandora« erteilte, sein Verdienst um die moderne dramatische Literatur erworben. Gebe ich dies aber auch mit meinem Danke zu, so berechtigt es den Mann noch zu keiner Intimität. Wir sind nie beisammen im Löwenbräu gesessen, und obschon er ein alter Leser der Fackel ist, so haben wir doch nie mitsammen die Schweine gehütet, sondern er weiß, dass ich es im Umkreis der Wiener Presse ganz allein besorgt habe und ihm oft zur stillen Freude. Was soll das also! Der Mann weiß ganz genau, wie mein Name geschrieben wird. Er ahme nicht die Nonchalance der literarhistorischen Sippe nach, die wenn sie schon einmal so tut, als ob sie mich nicht kennte, den Lehrerwitz macht, meiner Schärfe mit einem scharfen ß gerecht zu werden. Es ist kleinlich von mir, aber ich wünsche das nicht, lieber Schlenter. Wir wollen uns in hundert Jahren wieder sprechen, lieber Schlenter. Wir wollen sehen, wers länger aushält. Hofrat werde ich bis dahin bestimmt nicht. Auch wird es von mir nicht heißen, dass ich zwar alle möglichen Mängel hatte, aber doch ein gemütliches Huhn war. Und dennoch fürchte ich, dass man dann den richtigen Schlenther, wiewohl es sicher nur einen des Namens gibt, aus der Menge von Stammgästen nicht herausfinden wird, wenigstens solange nicht, bis jemand erklärt, er meine ja den dicken Löwenbräu-Schlemmter. Während es bei mir, der zeitlebens bloß sich satt gespottet und das Blut seiner Feinde getrunken hat, näherer Hinweise nicht bedürfen wird.
Nr. 324-25, XIII. Jahr
2. Juni 1911.