Distanzen


Der Bartsch, der mit Vorliebe im Neuen Wiener Tagblatt laicht, hat schon deshalb seine Feinschmecker, weil man an die Karpfen, die dort vorkommen, allzulange gewöhnt ist. Ich kann mir aber nicht helfen, mir erscheint Graz für dichterische Keime noch ungeeigneter als Linz, von Wien nicht zu reden und ganz abgesehen davon, dass ich neuestens sogar gegen Innsbruck mißtrauisch bin. Um aber auf besagten Bartsch zurückzukommen, so glaube ich, dass er zu jenen österreichischen Autoren gehört, die ihren Ruhm der Notwendigkeit verdanken, dass Österreich wieder einen Dichter hat, und die entweder an ihrer Geburt sterben oder ihren Tod nicht überleben. Nun, man wird doch da sehen — heißtes in den Stücken jener »Budapester Orpheumgesellschaft«, die nicht nur in den Leistungen der Herren Eisenbach und Rott das einzige reelle Theatervergnügen bietet, das Wien nach Girardi heute zu bieten hat, sondern die auch als das einzige künstlerische Abbild einer Kulturformation, welches heute auf einem Podium gezeigt wird, mit allem Unflat alles überbietet, was die Theater- oder Taschenspielerei der Berger und Reinhardt imstande ist. Um aber auf besagten Bartsch zurückzukommen, so ist kürzlich im Neuen Wiener Tagblatt dem Adalbert Stifter die Ehre des folgenden Satzes widerfahren:

Dieses kleine Buch von den Wienern hat keiner geschrieben, dessen Stamm tief im Donauufer wurzelt, keiner, der die Kraft und den Mut hatte, die Totalität einer Stadt, ihre ganze soziale und künstlerische Unendlichkeit, restlos in sich aufzunehmen. Kein Rudolf Hans Bartsch und kein Emile Zola. Aber doch ein Dichter. Adalbert Stifter hat ....

Er mag sich trösten, und wenn er sogar, wie der Kritiker ferner meint, an die Meister des Wiener Feuilletons nicht heranreicht, so ist er doch ein Dichter. Shakespeare hat noch keinen Tröster gefunden. In einer Zeit, wo so viele Personen im »Medardus« vorkommen, wäre es wohl anständig, ihm zu sagen, dass er doch ein Dramatiker ist. Um aber auf besagten Bartsch zurückzukommen, so glaube ich, dass zwölf aus der Steiermark auf ein Dutzend gehen.

 

 

Nr. 324-25, XIII. Jahr

2. Juni 1911.


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