Für Frauen


ist jetzt eine gute Zeit. Sie sollen zum Leitartikel zugelassen werden, nachdem sie der Fesseln des Feuilletons überdrüssig geworden sind. Das ist die neueste Pest. Sie erscheint unter dem Titel: »Zustimmungen anläßlich des Artikels der Neuen Freien Presse gegen die Rede Hohenblums«. Ein Agrarier hatte von den Wiener Hausfrauen behauptet, sie seien deshalb gegen die landwirtschaftlichen Zölle, weil sie Geld ersparen wollten, um sich noch breitere Hüte anzuschaffen. Anstatt sich nun durch diesen Tadel geehrt zu fühlen, fühlten sie sich durch dieses Lob beleidigt. Und da die alte Neue Freie Presse, deren Reizen ein breiterer Hut nicht schaden könnte, ausrief: »Die Wiener Hausfrau der Mittelklasse ist unser Bestes«, so gingen sie alle hin und schrieben Briefe an die Redaktion, die alle veröffentlicht wurden. Es war ihnen bestätigt worden, dass sie den ganzen Tag nichts anderes tun als »scheuern, waschen und putzen, bis alles von Reinlichkeit blinkt«. Sie berichtigten aber diese freundliche Meinung, indem sie bewiesen, dass sie auch den Leitartikel lesen. Hätten sie freilich genau gelesen, so wäre es ihnen aufgefallen, dass sich die liberale Meinung über die Wiener Hausfrau nicht zu weit von der agrarischen entfernt. Denn es steht geschrieben: »An der Seite ihres Gatten mag sie ein Vergnügen daran haben, zu gefallen, und sich vielleicht einen breiten Hut auf das hübsche Köpfchen setzen.« Eine derart unökonomische Koketterie, die Wert darauf legt, dass es an der Seite des Gatten geschehe, hat nicht einmal der agrarische Todfeind den Wiener Hausfrauen zugemutet. Trotzdem waren sie über ihn empört und hoch erfreut, der Neuen Freien Presse, die ihnen das hübsche Köpfchen verdreht und den breiten Hut zurecht gesetzt hatte, unter einem auch die Zustimmung zum Artikel gegen den Fürsten Schwarzenberg ausdrücken zu können. »Sie zeigen Ihr Blatt wieder in dem Glanze, den es im Kampfe gegen Greuter und gegen Hohenwart ausstrahlte, im Kampfe gegen klerikale Bevormundung und für das freisinnige Bürgertum der Städte«, schreibt eine, die gewiß keinen breiten Hut trägt. »Die Professorsgattin Frau Leopoldine Pokorny«, sagt die Neue Freie Presse, »braucht dem Publikum nicht erst vorgestellt zu werden .. Ihre entschiedene und dabei so besonnene und weibliche Art hat eine so starke Wirkung gehabt, dass die Wellen, die von Krems ausgegangen sind, immer weitere Kreise ziehen«. Was ist das? In welcher Welt spielt es? Ein Herr aus Trebitsch, der plötzlich unter den Staatsfrauen auftaucht, faßt sich kurz: »Ganz speziellen Dank für ausgezeichneten Leitartikel im heutigen Morgenblatt«. Eine gewisse Rosenberg ruft: »Auch wir städtischen Frauen sind Amme, Kinderfrau und Dienstmädchen, wenn es nottut, aber wir sind auch die Trägerinnen jeder Kultur .. Und wir gehen — wirklich ja — auch gerne hübsch, wenn selbst einfach gekleidet, wir wollen einen netten, adretten Anblick bieten .. Auch für uns gilt das Wort des Dichters: 'Die schlechtsten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen!'« Und acht Tage später tauchte die Rosenberg wieder im Leitartikel auf und rief: »Der Freiheit eine Gasse!« Diese Rosenberg ist das, was der Liberalismus dem Schwarzenberg entgegenzustellen hat. Da kanns denn nicht fehlen. Und es kommt von überall Sukkurs. Die Kathi Tortaghian aus Konstantinopel — was es für Namen gibt, wenn einmal der Höllenschlund geöffnet ist! — schrieb: »Auch am Bosporus ist die Neue Freie Presse gelesen und geachtet .. Ein Hoch der Neuen Freien Presse!« Ich glaube, dass dergleichen Dinge im Harem nicht möglich wären ... Als der Hosenrock in der Kärntnerstraße auftauchte, wurde er verhöhnt, angepöbelt, betastet. Und doch fügte er sich in die feministische Ordnung, ohne direkt unappetitlich zu sein. Das Weib im Leitartikel bleibt unbehelligt in Zeiten, wo die Männer das Feuilleton anhaben.

 

 

Nr. 324-25, XIII. Jahr

2. Juni 1911.


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