Don Münz


(Epilog zur Trilogie)*)

Was hat uns ein Jahr lang gefehlt? Münz, am 22. April 1910 um ¼8 Uhr abends vom König von Rumänien entlassen, hatte infolge eines Ränkespiels der Palastdame Eboli, dargestellt von der Barsescu, den Schlüssel erhalten und war in den Gemächern der Königin verschwunden. Er behielt sich vor, in einem besonderen Artikel darauf zurückzukommen, das war am 5. Mai, und ich schrieb: Die Neue Freie Presse ist imstande und bringt auch das noch. Nun haben wir ein Jahr lang gewartet, es muß zu tumultuösen Auftritten gekommen sein, aber am 9. April 1911 ließ er sich nicht länger zurückhalten, und erzählte. Die Königin also lag ganz in Weiß gekleidet auf einer Chaiselongue, als Münz eintrat. »Ihre Augen leuchteten mit hellem Glanze ... Sie war würdevoll genug, um nicht die Königin vergessen zu machen, aber so menschlich, so natürlich, so feurig im Ausdrucke, dass man sich weit weg vom Hofe glauben konnte.« Nun aber spielt in die von den Beteiligten wie vom Publikum längst ersehnte Szene zwischen Elisabeth und Don Münz plötzlich ein Wallenstein-Motiv hinein. Er findet nämlich den Sir Max Wächter bei ihr; der hatte ihr den schon in weiteren Kreisen bekannten Plan einer europäischen Föderation auf wirtschaftlicher Grundlage vorgetragen, und »bei keinem der vielen Souveräne, denen er seinen Plan einer europäischen Förderation auf wirtschaftlicher Grundlage vorgetragen hatte, fand der englische Gentleman so begeisterten Zuspruch wie bei der Königin von Rumänien«. Sie war »sofort Feuer und Flamme für die Sache«, und ihr Idealismus habe sie vergessen lassen, »wie unendlich schwer durchführbar ideale Pläne sind und wie sich hart im Raume die Dinge stoßen.« Und da im Gegensatz dazu leicht beieinander die bedanken wohnen, so sind wir mitten im Wallenstein und tatsächlich sagt auch die Königin beim Eintritt des S. M.: »Es liegt kein Grund vor, warum Sir Max uns schon verlassen soll.« Es kann nicht sein, sie mag's und will's nicht glauben, dass sie der Max verlassen kann, wenn der Münz kommt. Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht. Sie lag da, keines Überfalls gewärtig, aber das ist eben das Los des Schönen auf der Erde. Ernst ist der Anblick der Notwendigkeit. Es gibt im Menschenleben Augenblicke. Eng ist die Welt und das Gehirn ist weich. Was soll man machen? Tee trinken. »Sie schlürfte ihn liegend; von Zeit zu Zeit hatte ich, während sie plauderte, ihr ein Sandwich zu reichen.« Außerdem aber reicht er ihr auch zwei Bücher, worauf sie sagt: »Das werde ich verschlingen«, eine Bemerkung, die der Münz auf die Bücher bezieht. Indem aber die Königin so den Münz vor sich sieht, beginnt sie von den Blinden zu sprechen und ihr Los zu preisen. Denn das Geschick hat sie nicht nur reich entschädigt, sondern ihnen auch vieles versagt. Die Königin schlägt vor, dass der Staat seine sämtlichen Blinden in einer Stadt vereinige: »es sollte dort auch einige sehende Handelsleute geben, die den Verkauf der Arbeiten der Blinden besorgen würden, damit diese von dem Ertrage leben können, heiraten und ihre Kinder erhalten können«. Die Königin spricht wie ein Buch und wie eines von der Carmen Sylva. (Die Humanität ist blind wie die Gerechtigkeit: sie stellt die blinden Erzeuger immer unter den Schutz der sehenden Händler. Die Blindenstadt wäre gut aufgehoben, wenn ein paar weitsichtige Handelsleute den Betrieb in die Hand nähmen!) Aber der Münz ist berauscht von diesen Ideen. Und ganz hingerissen, da sie »auf das Verhältnis zu den Monarchen und den Höfen zu sprechen kam«. (»Er und die Königin sind Eins. Schon schleicht, verborgen zwar, in beider Brust das Gift der Neuerer.«) Freilich meint sie es anders, als er. »Oft frage ich mich, was denn die Leute davon haben, wenn sie sich in jämmerlichen Umständlichkeiten gegenüber königlichen Personen ergehen, was ihnen das feige Kriechen frommen soll, und es gibt nur eine Erklärung dafür, und das ist die, dass sie sich offenbar durch solch ein Tun gehoben fühlen. Solche Leute glauben wohl, dass ein Schimmer von dem angeblichen Glanz der Majestäten auf sie selber falle ...«. Sagt die Königin. Der Münz aber, der ihr wieder ein Sandwich reichen darf, nennt es Freimut und Vorurteilslosigkeit. Sie spricht vom König und klagt, »wie wenig sie den König genieße, der vom Morgen bis zum Abend den Staatsgeschäften obliege«. Erst während seiner Krankheit habe er ihr ganz gehört: da habe sie ihn massiert. »Die Königin sprach in den wärmsten Ausdrücken vom König und rühmte seine über jeden Zweifel erhabene Zuverlässigkeit.« Da rief Münz: »Wie wäre es, Majestät, wenn Sie Ihre Erinnerungen niederschreiben wollten?« Diese Anregung genügte, die Königin klingelte, und es wurde ein Buch hereingebracht, das sich »Mein Penatenwinkel« betitelt. Diese Memoiren aber seien nicht höherer Klatsch, sondern es seien »Memoiren sozusagen der Seele«. »Als die Königin die Kapitelüberschrift 'Bernays' vorlas, bemerkte ich: 'Majestät meinen wohl Michael Bernays?' Die Königin machte darauf eine Handbewegung, die unwillig zu sagen schien: Mit Leuten dieser Gattung befasse ich mich nicht.« Dabei rief sie: »Was? — Michael? Um Gotteswillen! Nein! Jakob Bernays!« Münz bekam ein Exemplar, in diesem war ein Exlibris, »das die Königin darstellt, wie sie unter den Baumstämmen des Waldes sinnend dahin-schreitet«. Darunter schrieb sie die Widmung: »Wir wandern durch die Welt und begegnen außer Bäumen auch manchmal — Seelen! Carmen Sylva«. Münz muß sich beherrschen. (»Bin ich nicht stark, Elisabeth?«) Aber was hat sie gegen Michael Bernays? Jakob war der bessere Aristoteles-Kenner. »Aber gegessen hat er nie bei uns.« Und warum nicht? Weil er auch der bessere Jude war. Die Königin gibt ihm ganz recht. (Münz ist aufgeklärt und wird sich wirklich nicht abhalten lassen, bei der Königin von Rumänien zu nachtmahlen.) Sie spricht sich abfällig über Leute aus, die sich taufen lassen. »Die Königin sprach mit einer Stimme, die so recht in die Seele drang.« Mit zwei Gedichten, die sie dann vorlas, »griff sie ans Herz«. Aber direkt aufgelöst war der Münz, als die Königin wieder von der Religion sprach und rühmend hervorhob, dass sich geistig hochstehende Menschen ganz von ihr abwenden. (Er wird also ruhig zum Essen bleiben können.) Höchstens die jüdische will sie gelten lassen. (Er wird doch nicht zum Essen bleiben können!) Da sich aber die Königin bisher nur im Feuilleton versucht hat, sucht S.M. sie für den Leitartikel heranzuziehen. Ihren Gatten nennt er unausgesetzt »den Hohenzollern« oder gar »den Hohenzollern auf dem rumänischen Königsthron« und spricht vor ihr den folgenden Satz aus: »Als ich nun die beiden spanischen Diplomaten in ihrer goldstrotzenden Uniform sah, die sich zum Palais begaben, um dem Hohenzollern auf dem rumänischen Königsthron ihre Akkreditive zu überreichen, stand vor mir deutlich die Episode aus dem Jahre 1870, die den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland einleitete. Die Kandidatur des Hohenzollern, des Bruders des Königs Carol, für den spanischen Königsthron wurde vor mir lebendig — die kleine Ursache der großen Wirkung. All das lebte vor mir auf, als ich jene Herren in spanischer Hoftracht gegen das Palais des Hohenzollern in der Calle Victorei sich bewegen sah.« Die Königin aber will nicht recht, sie scheint zu zweifeln, ob Münz sich der Bedeutung des Wortes Calle, das nämlich auch Gasse heißt, bewußt sei. Auch ist sie gegen Formalitäten und spricht lieber von einem andern spanischen Gesandten. »Er ergriff meine Hand, küßte sie mit Ekstase und sagte mir heißen Dank für all die Anregung, die seine verstorbene Gattin, eine Kubanerin, die eine der meinen gleichgestimmte Seele gewesen sei, aus meinen Schriften geschöpft hätte.« ... »Es war spät geworden.« (Still! Hörten Sie nicht etwas? Königin: Nichts hör'ich, als die fürchterliche Glocke, die uns zur Trennung läutet.) »Man meldete der Königin, dass das Souper bereit wäre.« (Bin ich nicht stark, Elisabeth?) »Die Königin sprach die Absicht aus, uns am nächsten Tag wieder zu sehen. Zu unserem Bedauern aber hatten wir bereits alle Vorbereitungen getroffen, um noch in der Nacht mit dem Orientexpreßzug abzureisen.« Ob es die Königin geahnt hat? »Ich schied von ihr mit dem Eindruck, auf einem nach dem Osten vorgeschobenen Posten der Zivilisation einer Frau von höchstem Sehnen nach Erkenntnis und von humanen Idealen begegnet zu sein, die auch noch im fernsten Westen nach Erfüllung ringen.« Und die leider mit dem Orientexpreßzug glatt zu erreichen sind. »Gute Nacht denn«, ruft der Infant, »aus Wien empfangen Sie den Leitartikel von mir, der das Geheimnis unsers Umgangs laut machen soll ... Von nun an, will ich, sei nichts Heimliches mehr unter uns. Sie brauchen nicht das Auge der Welt zu scheuen — Dies hier sei meine letzte Schmockerei.« (Der König, begleitet vom Herausgeber der Fackel und seinen Granden, erscheint im Hintergrunde, ohne bemerkt zu werden.) »Es ist deine letzte!«... (Kalt und still zum Herausgeber:) »—Tun Sie das Ihre!«

 

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*) Ein Abend beim bulgarischen Königspaar (Nr. 301/02); S. M. (Nr. 303/04); Die kretensische Frage (Nr. 305/06).

 

 

Nr. 321/322, XIII. Jahr

29. April 1911.


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