Unerhörte Zumutungen


Neulich ging mir die Wiener Redewendung »Tuns Ihnen nichts an!« durch den Kopf, und ich suchte lange nach einem Beispiel, auf das sie passen würde. Ich glaubte es gefunden zu haben, als ich die folgende Nachricht las:

»Universitätsprofessor Dr. Karl von Noorden, Vorstand der Ersten medizinischen Klinik, schreibt uns: 'In der 'Neuen Freien Presse' vom 5. März befand sich die Mitteilung, dass ich das Protektorat über ein von einer Dame in der Nähe Wiens gegründetes Rekonvaleszentenheim übernommen hätte. Von dieser Notiz habe ich, da ich im März verreist war, erst durch eine Zuschrift der Wiener Ärztekammer Kenntnis bekommen. Ich bitte zu konstatieren, dass ich der Mitteilung vom 5. März gänzlich fernestehe, dass ich erst aus der Zuschrift der Wiener Ärztekammer von der Existenz jenes Rekonvaleszentenheims Kenntnis erlangt habe, auch nie aufgefordert wurde, das Protektorat über dieses oder ein anderes derartiges Institut zu übernehmen; ich hätte auch unter jeder Bedingung die Annahme des Protektorats abgelehnt. Da die Annahme eines derartigen Protektorats sich mit der Würde eines Arztes nicht vereinigt, bin ich gezwungen, im Wege der Publizität die ganze Angelegenheit, soweit sie mich betrifft, als frei erfunden und den Tatsachen nicht entsprechend zu kennzeichnen.'«

Wenn ich dieses Beispiel nicht zufällig gefunden hätte, ich hätte extra eins erfinden müssen. Nämlich so:

In der Neuen Freien Presse jeden Datums befindet sich die Mitteilung der Namen meiner sämtlichen Patienten, die in einem im Cottage gelegenen Hotelsanatorium, dessen Protektorat ich innehabe, jeweils abgestiegen sind. Von diesen Notizen habe ich, wiewohl ich in Wien lebe, nicht einmal durch eine Zuschrift der Wiener Ärztekammer, geschweige denn durch eine vom Gremium der Hoteliers und Fremdenbeherberger Kenntnis bekommen. Ich bitte zu konstatieren, dass ich diesen Mitteilungen gänzlich fernestehe. Da die Publikation von Patientenlisten durch meinen Chef-Arzt und deren Duldung durch mich sich mit der Würde eines Arztes nicht vereinigt und die Publikation von Fremdenlisten in einem hiezu nicht bestimmten Organ sogar vom Standpunkt der Hotelierehre als unlauteie Konkurrenz verpönt ist, bin ich gezwungen, im ungewohnten Wege der Publizität die ganze Angelegenheit, soweit sie mich betrifft, als frei erfunden und den Tatsachen nicht entsprechend zu kennzeichnen.

 

 

Nr. 324-25, XIII. Jahr

2. Juni 1911.


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