Eine Bombe


Bekanntlich war gleich zu Beginn des Krieges, am 2. August 1914, die (seitdem oft wiederholte und meist geglaubte) Nachricht in die deutschen Zeitungen übergegangen, dass ›auf der Strecke Nürnberg—Kissingen sowie auf der Strecke Nürnberg—Ansbach Flieger gesehen wurden, die Bomben auf die Bahnstrecke warfen‹. Diese Nachricht ist neuerdings von J. Schwalbe, dem Herausgeber der ›Deutschen medizinischen Wochenschrift‹, in einem Artikel am 16. März 1916 in der Form wiederholt worden: ›Nachdem noch vor der Kriegserklärung ein französischer Flieger auf Nürnberg Bomben abgeworfen hatte‹... In der Nummer vom 18. Mai 1916 sieht sich jetzt Schwalbe genötigt, zu berichtigen, dass es sich bei jener Nachricht nicht um Nürnberg, sondem um die obenerwähnten Bahnstrecken gehandelt, dass aber auch diese Nachricht unzutreffend gewesen. Er schreibt: »Aus einem weiteren Schriftwechsel von Geheimrat Riedel und dem Magistrat von Nürnberg hat sich ergeben, dass diese Behauptung, die bisher niemals berichtigt, vielmehr allgemein bei uns als ein Beweis für den Bruch des Völkerrechts angenommen worden ist, tatsächlich nicht zutrifft. Der Nürnberger Magistrat schreibt nämlich am 3. April d. J.: ›Dem stellvertretenden Generalkommando des III. bayrischen Armeekorps hier ist nichts davon bekannt, dass auf die Bahnstrecke Nürnberg—Kissingen und Nürnberg—Ansbach vor und nach Kriegsausbruch je Bomben von feindlichen Fliegern geworfen worden sind. Alle diese Behauptungen und Zeitungsnachrichten haben sich als falsch herausgestellt.‹«

Diese Bombe traf eines der stärksten Fundamente des Hasses und der Begeisterung. Und die Wahrheit unterscheidet sich von anderen schweren Gegenständen, die aus dem blauen Himmel geworfen werden, dadurch, dass sie nicht daneben haut, dass das Wurfziel immer getroffen wird und dass statt eines Bahnhofs kein Tiepolo zu Schaden kommt. Die interessante Frage, wer angefangen hat, ist damit zur guten Hälfte abgetan. Wenn noch die andere Halbscheit des Seelenaufschwungs durch tatsächliche Berichtigungen ramponiert wird, mag sich die Welt die Augen reiben und sagen: Ja, woran soll man denn noch glauben, wenn man nicht mehr an die Berechtigung des Weltkriegs glauben kann? Und darum Räuber und — Wächter!

 

 

August, 1916.


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