Die Metaphysik der Sitten


In das Jahr 1797 fällt außerdem noch ein ausführliches Werk Kants: die Metaphysik der Sitten, zunächst in zwei gesonderten Teilen: den 'Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre' gegen Anfang, und den 'Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre' im August dieses Jahres erschienen. Da wir ihre wichtigsten Gedanken bereits in der Schilderung des Ethikers und Politikers Kant zur Sprache gebracht haben, da andererseits die (in unserer Ausgabe, Bd. 42 der Philos. Bibl. erzählte) Entstehungsgeschichte des Buches nichts biographisch Interessantes bietet, so bleibt uns nur noch wenig über den Inhalt nachzutragen.

Rechts- und Tugendlehre entsprechen der äußeren Gesetzgebung und Verpflichtung einer-, der inneren andererseits. Ein vollständiges System der Rechtsphilosophie und Ethik will das Werk nicht geben, sondern nur die philosophische Einleitung dazu. Mit Kants den gleichen Stoff behandelnden Vorlesungen über Naturrecht bzw. Moral scheint es wenig gemeinsam zu haben; doch sind die juristischen Fachausdrücke dem in dem Naturrechts-Kolleg benutzten Kompendium von Achenwall entnommen. Ein großer Teil der an das römische Recht sich anlehnenden privatrechtlichen Erörterungen ist recht trocken-abstrakter Natur; am interessantesten die Paragraphen über das Bodenbesitzrecht, das Geld, das Eltern- und Hausherrenrecht. Das öffentliche Recht wird mit ausdrücklicher Beziehung auf die bewegte Zeit, die noch kein abschließendes Urteil erlaube, kürzer behandelt, am kürzesten das Völker- und Weltbürgerrecht. Im Strafrecht huldigt Kant der strengen Vergeltungstheorie (puniatur, quia peccatum est), tritt insbesondere nachdrücklich für die Todesstrafe ein. Der entgegengesetzte Standpunkt des Italieners Beccaria scheint ihm aus teilnehmender "Empfindelei einer affektierten Humanität" hervorzugehen, ja auf Sophisterei und Rechtsverdrehung hinauszulaufen; höchstens die Bestrafung von Kindesmord und Duell mit dem Tode erscheint ihm "zweifelhaft". Das Begnadigungsrecht solle der Souverän nur bei Beleidigungen seiner eigenen Person ausüben.

Gegen Ende seiner literarischen Tätigkeit fand sich Kant noch bewogen, mit einer der Gefühls- und Glaubensphilosophie entgegengesetzten Seite abzurechnen: mit der "Philosophie" des platten Menschenverstandes, wie ihn speziell Herr Nicolai betrieb. Wir erinnern uns, dass unser Philosoph in den 60er und 70 er Jahren in, wenn auch kühlen, so doch freundlichen Beziehungen zu ihm und seiner "Allgemeinen Deutschen Bibliothek" gestanden hatte; wie dann während des Jacobi-Mendelssohn-Streites um 1786/87 eine gewisse Spannung gegenüber den extremen "Nicolaiten" eingetreten war. Seitdem war der literarisch allzu einflußreiche Mann immer mehr in selbstgefällige Eitelkeit verfallen, betrachtete sich als den allein berufenen Wächter des gesunden Menschenverstandes und guten Geschmacks und bekrittelte mit hämischem Spott alles, was über seinen beschränkten Gesichtskreis hinausging. Wie gegen die klassische Dichtung, so richtete er jetzt seine Angriffe auch gegen die klassische Philosophie, die er in einem Roman 'Geschichte eines dicken Mannes' (1794) lächerlich zu machen suchte. Schon in der Vorrede zur 'Rechtslehre' hatte Kant die Spöttereien Nicolais, ziemlich milde, gestreift: Über den unpopulären Pedanten, der mit den Kunstausdrücken der Vernunftkritik außerhalb der Wissenschaft Unfug treibe, wie es "einige Nachäffer" der kritischen Philosophie täten, lasse sich allerdings viel lustiger lachen als über den unkritischen Ignoranten, der steif an seinem alten papierenen System hänge und nichts Neues aufkommen lassen wolle. Aber Nicolai verstärkte seine plumpen Witzeleien in einem neuen gegen die kritische Philosophie gerichteten Opus: 'Leben und Meinungen Sempronius Gundiberts' (1798). Da hielt es unser Denker doch für angebracht, den anmaßenden Vielschreiber und Verleger in zwei offenen 'Briefen an Herrn Friedrich Nicolai' zurechtzuweisen. Sie trugen den Titel 'Über die Buchmacherei' (1798). Während der erste nur mittelbar gegen Nicolai gerichtet ist, in dem er einen von diesem herausgegebenen Angriff des bekannten Osnabrückers Justus Möser auf Kants politische Anschauungen über den Erbadel zurückweist, so geißelt der zweite scharf und derb einmal den profithungrigen Verleger, der in seinem literarischen Fabrikbetrieb nicht sowohl auf den inneren Gehalt seiner "Ware" als auf die "Liebhaberei des Tages" und den geschwinden "Abgang" sieht, und dem zu solcher "Buchmacherei" jedes Mittel recht ist. Dann aber auch den Autor, der, selbst in der Philosophie völlig unfähig und unwissend, die Tatsachen auf den Kopf stellt, bloß um recht viel Neugierige durch "die Seltsamkeit des Spektakels" anzulocken, die sich freilich zuletzt von dem sie schließlich anekelnden Possenspiel angewidert abwenden.

Kant hatte auch in diesem Falle nicht bloß seine engeren Anhänger, wie den jungen Mediziner Erhard (der Kants Philosophie in Nicolais Munde in einem offenen Brief an letzteren mit der von einem Stümper verfertigten Karikatur eines schönen und reizenden Mädchens verglich!), auf seiner Seite, sondern auch die beiden Weimarer Dioskuren. Schon 1795 hatte Schiller getadelt, dass Nicolai mit seinen "Platitüden" "alles unbesehen, das Gute wie das Horrible, was die Kantische Philosophie ausgeheckt, in einen Topf werfe" (an Goethe, 1. Nov. 1795). Jetzt antwortete ihm Goethe auf die Zusendung von Kants 'Sendschreiben' mit folgenden, auch allgemeines Interesse bietenden Sätzen: "Kants Zurechtweisung des Salbaders ist recht artig. Es gefällt mir an dem alten Manne, dass er seine Grundsätze immer wiederholen und bei jeder Gelegenheit auf denselben Fleck schlagen mag, Der jüngere, praktische Mensch tut wohl, von seinen Gegnern keine Notiz zu nehmen; der ältere, theoretische muß niemanden ein ungeschicktes Wort passieren lassen. Wir wollen es künftig auch so halten" (an Schiller, 28. Juli 98).


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