In Bayern und Österreich


"Ziemlich hell" sah es nach Reuß' Bericht auch auf der hohen Schule in Bamberg aus, wo Damm vor einem zahlreichen Hörerkreis aus allen Ständen las; desgleichen in Heidelberg, wo die Professoren Schmitt und Koch in kantfreundlichem Sinne wirkten. Um so "finsterer" in Bayern, dem katholischen Schwaben und der katholischen Schweiz; obwohl auch hier einzelne Ausnahmen zu verzeichnen waren, wie der Münchener Lyzealprofessor Mutschelle, der in mehreren Schriften für die neue Lehre eintrat und wohl deshalb für eine zweite Professur in Königsberg in Aussicht genommen war, der Professor Weber in Dillingen und andere. Allerdings mußten sie im Verborgenen zu wirken suchen, denn im Umkreis Stattlers (Bd. I, S. 426) waren Kants Schriften, besonders seine 'Religion innerhalb', "Konterbande". Um die Finsternis etwas zu lichten, unternahm der eifrige Reuß eine Reise dorthin und faßte, da die dortigen geistlichen Philosophielehrer nach einem deutschen und gar — protestantischen Kompendium nicht lesen durften, sogar ein "Vorlesbuch" über theoretische Philosophie in lateinischer Sprache ab, das er am 21. April 1797 Kant sandte. Natürlich mußte er in der Form gebührende Rücksicht auf das ihm erwiesene Zutrauen seines Fürstbischofs wie das seiner Kollegen nehmen, die jedoch stolz darauf waren, dass auf ihrer Hochschule von allen katholischen zuerst Kants Grundsätze öffentlich verkündet worden seien (Reuß an Kant, 21. April 97). Auch in Mainz, Landshut und Erfurt lehrten kantfreundliche Professoren. So glaubt denn ein neuerer süddeutscher Gelehrter, der eine wertvolle, leider nicht zu Ende geführte Untersuchung über diese Dinge veröffentlicht hat, deren Ergebnisse in den Satz zusammenfassen zu dürfen: "Kants Philosophie eroberte sich zum Teile Lehrstühle an den Universitäten — jedenfalls wagte es kein philosophischer und theologischer Lehrer mehr, achtungslos an ihr vorüberzugehen —, fand Eingang in die Erziehungsstätten des Klerus, in die Schulen und Zellen der Klöster und war auch auf dem platten Lande nicht unbekannt" (G. Huber in 'Kantstudien' XI, 12 f.). Ein begeisterter Schüler von Reuß, der 27jährige Graf Benzel-Sternau, veröffentlichte sogar 'Dichterische Versuche über Gegenstände der kritischen Philosophie' (Würzburg 1794), die in antikem Odenmaß 1. deren Stifter, 2. Zeit und Raum als reine Formen der Sinnlichkeit, 3. die Methodologie, 4. die Vernunft, 5. den obersten Grundsatz der Moral und 6. die Spontaneität des Verstandes und der Vernunft besangen!

Weniger erfreulich sah es auch weiter in dem benachbarten Österreich aus. Die kritische Philosophie war dort "als Feindin erklärt", der beschränkte Kaiser Franz "ganz dagegen eingenommen"; als der an der Spitze des Schulwesens stehende Herr von Birkenstock ihm das kritische System anpries, drehte er sich herum und sagte: "Ich will einmal für allemal von diesem gefährlichen Systeme nichts wissen" (Stang an Kant, 2. Okt. 96). Der Grazer Rektor verlor sein Amt, weil er den Kritizismus beschützte; und der dortige Nachdruck von Kants Hauptschriften (1795 ff.) passierte nur deshalb die Zensur, weil man auch die "Widerleger" Kants zu bringen versprach. Als Ben David um die Mitte der 90er Jahre Kant durch Vorlesungen, die er auch im Druck herausgab und in der Form dem gemütlichen Wiener Geschmack anzunähern strebte, in der Donaustadt einzubürgern suchte, strömten zwar alle Kreise der Bevölkerung, auch der hohe Adel, in den Hörsaal der Universität und, als dieser verboten ward, in das Palais des Grafen Harrach; aber bald wurden sie polizeilich untersagt und Ben David zur Rückkehr nach Berlin genötigt.

Ähnlich ging es in Ungarn. Ein Professor von Delling in Fünfkirchen, der nach kritischen Grundsätzen lehrte, vermochte sich zwar einige Jahre gegen die Kabalen der hohen Geistlichkeit zu halten, wurde aber schließlich doch abgesetzt wegen seines "verderblichen, zum Skeptizismus führenden Systems". Trotzdem brachten die in Jena und Halle studierenden ungarisch-siebenbürgischen Protestanten die neuen Gedanken mit in die Heimat. Indes sie durften sich mit ihnen nicht in die Öffentlichkeit wagen. Es fehlte, wie in Wien, unter den Gelehrten an dem wünschenswerten Gemeingeist.

Das Herbertsche Haus in Klagenfurt haben wir in Buch III, Kap. 9 schon kennen gelernt. Der begeisterte Kantianer Jens Baggesen (vgl. S. 247) und sein Reisegefährte Fernow, der spätere Jenaer Kunsthistoriker, fanden sich 1794 an der "paradiesisch-patriarchalischen" Stätte ebenso wohl, wie vordem Erhard und Forberg. Bezeichnend ist, dass auch hier die Damen, neben Maria von Herbert die beiden Baronessen von Dreer, sich als verständnisvolle Jüngerinnen der kritischen Philosophie erwiesen. "Sie haben", schreibt Fernow an Reinhold, "Kants sämtliche Kritiken sowohl als Ihre Schriften studiert und, wie aus ihren Gesprächen zu schließen ist, verstanden. Es war mir zum ersten Male ganz besonders zu Mute, als ich zwei Mädchen von Kategorien und Antinomien so geläufig sprechen hörte, als andere gewöhnlich von Putz, Mode und Wetter"; und "sie haben durch ihre Philosophie ihrer Weiblichkeit keinen Eintrag getan ..."

Gerade um jene Zeit aber begann in Österreich — der freisinnige Kaiser Josef war seit vier Jahren tot — eine Periode krassester Reaktion. "Jakobiner"-Furcht und Denunziantentum feierten ihre Orgien. Denken und Wissenschaft wurden in einem amtlichen Berichte des Polizeiministers Grafen Pergen für die Quelle alles Revolutionsgeistes, als die Vernichter aller monarchischen Gesinnung und bürgerlichen Ordnung erklärt. Man nannte in Wien alles "kantisch", was gegen die bestehende Ordnung in Staat und Kirche ging. So wurde natürlich auch das Herbertsche Haus, das sich offen zu der verfemten "neumodischen" Philosophie bekannte, staatsgefährlicher und umstürzlerischer Ideen verdächtigt. Obwohl der Freiherr, ähnlich wie Kant selbst, auch die schlechteste Regierung nicht eher umgestoßen wissen wollte, als die Nachfolge einer besseren mathematisch gewiß sei, mußte, um mit Schiller (an Erhard, 8. Sept. 94) zu reden, "ein Mensch wie er den Freunden der Finsternis natürlich ein Dorn im Auge sein". Dass er eben anders lebte als andere Menschen, dass er um 1796 durchziehende französische Offiziere gelegentlich gastfrei bewirtet hatte, dass er größere Reisen ins Ausland machte, und nun gar, dass er — Kantianer war, genügte der k. k. Regierung, ihn für staatsgefährlich zu erachten, Briefe an ihn zu konfiszieren, zweimal alle seine Papiere mit Beschlag zu belegen und ihn bis zu seinem Lebensende unter polizeilicher Aufsicht zu halten.

Als es dann in den Jahren 1796—1799 im Schoße des Unterrichtsministeriums zu Beratungen über die geplante große Unterrichtsreform kam, wurde trotz des Widerstandes einzelner "Josefiner" Kants Philosophie ausdrücklich vom öffentlichen Unterricht ausgeschlossen. Nur polemisieren durfte man natürlich gegen ihn1): wie denn der von seinem Schüler Grillparzer so köstlich geschilderte Wiener Professor Franz Samuel Karpe, ähnlich dem Jenaer Ulrich (Buch III, Kap. 6) im Kolleg seinen Gegner Kant mit den Worten persönlich zu apostrophieren pflegte: "Komm her, o Kant, und widerlege mir diesen Beweis!"

 

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1) Nähere Belege s. bei M. Ortner, Kant in Österreich (1904), S. 18 bis 21, der mich auch auf die den gleichen reaktionären Geist schildernden 'Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken' (Frankfurt u. Leipzig 1798) hingewiesen hat.


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