c) Gegen die Begründung der Religion auf Gefühl


Ebenso wie die Begründung auf Geschichte wird die Begründung der Religion auf Gefühl von Kant grundsätzlich abgelehnt. Denn Gefühl gilt dieser spröden norddeutschen Natur als das Unklarste, Unbestimmteste, Schwankendste, was es geben kann. Selbst eine so feine und tiefe Fundamentierung wie diejenige Schleiermachers: schlechtsinnige Abhängigkeit vom Universum, hätte ihm nicht genügt. Aus diesem Grund geht ihm auch das Verständnis für das Große am Pantheismus gänzlich ab. Wie er gesteht, er habe in Spinoza "nie einen Sinn bringen können", so hätte er auch für Goethes dichterische Verklärung des pantheistischen Gefühls in Fausts Glaubensbekenntnis an Gretchen schwerlich etwas übrig gehabt. Auf Gefühl läßt sich nach Kant weder Erkenntnis noch Sittlichkeit gründen. Bloße Gefühlsreligion führt nach seiner Überzeugung unausbleiblich zu Schwärmerei und Mystik, in seinen Augen dem denkbar Schädlichsten und Gefährlichsten. Gegen den Vorwurf, seine Religionsphilosophie leiste einer feineren Mystik Vorschub, hat er sich daher aufs Entschiedenste verwahrt. Dass ein solcher Mystizismus sich an keiner Stelle seiner Schriften auch nur im mindesten findet, hat denn auch sein einstiger Zuhörer Jachmann noch zu Lebzeiten des Meisters in einer, von diesem gebilligten und mit einem Vorwort begleiteten, besonderen Abhandlung (1800) dargelegt. Auch im mündlichen Gespräch mit ihm hat Jachmann niemals irgendeine Spur von mystischen Vorstellungen bemerkt; vielmehr hat ihm der Philosoph die ausdrückliche Erklärung abgegeben, dass "keines seiner Worte mystisch gedeutet werden müsse, dass er nie einen mystischen Sinn damit verbinde, und dass er nichts weniger als ein Freund mystischer Gefühle", im Gegenteil jede Neigung dazu als eine Folge und ein Zeichen "einer gewissen Verstandesschwäche" anzusehen sei (Biogr. S. 116—119). Die Mitwirkung der Phantasie in religiösen Dingen erschien ihm als eine Abirrung vom geraden Wege der Vernunft: "Die Phantasie verläuft sich bei Religionsdingen unvermeidlich ins Überschwängliche, wenn sie das Übersinnliche ... nicht an bestimmte Begriffe der Vernunft, dergleichen die moralischen sind, knüpft, und führt zu einem Illuminatismus innerer Offenbarungen, deren ein jeder alsdann seine eigene hat, und kein öffentlicher Probierstein der Wahrheit mehr stattfindet" ('Religion innerhalb'). Darum besitzt er auch verhältnismäßig wenig Interesse für das religionspsychologische Moment.

Eine gewisse Trockenheit der Empfindung ist allerdings von einem solchen Standpunkt unzertrennlich: sie entspricht seiner Trockenheit auf dichterisch-künstlerischem Gebiet. Dem Religiösen z. B. in einem Bachschen Oratorium oder einer Messe Palestrinas, in einem Gemälde Rafaels oder in Paul Gerhardts 'O Haupt voll Blut und Wunden' dürfte Kant, vielleicht abgeschreckt durch die pietistische Überfütterung seiner Jugend, kaum Verständnis entgegengebracht haben. Wer mit romantischem Gefühlsschwung zu seiner kritischen Philosophie kommt, findet in ihr keine Nahrung. Darum gehen Eichte und Hegel, Schelling und Schleiermacher andere Wege. Das Gefühl wird von Kant zwar keineswegs abgewiesen, aber es darf, wie in der Ethik, erst nachträglich hinzukommen. So hat er eine Art religiöser, ehrfurchtsvoller Bewunderung der Schöpfung in der Natur vom Größten bis zum Kleinsten auch später beibehalten, obgleich in der kritischen Periode das religiöse Gefühl häufiger ein moralisches Gewand erhält und als Dankbarkeit, Demut und Gehorsam zum Ausdruck kommt (Kr. d. Urteilskraft).


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