Volksvertretung, Staat und Kirche


Als die "einzig rechtmäßige" Verfassung sieht Kant das Repräsentativsystem an, obwohl er nicht bis zu den äußersten Konsequenzen geht, sondern sich mit den Bestimmungen der französischen Verfassung von 1791 begnügt, die als Vorbedingung für das aktive Wahlrecht die bürgerliche Selbständigkeit verlangte. So schließt auch er alle Angestellte (außer denen des Staates), alle Dienstboten, Zinsbauern, Tagelöhner und natürlich auch "alles Frauenzimmer" von dem Stand der vollberechtigten Staatsbürger aus und versetzt sie in die Klasse der Passivbürger oder, wie er sagt, bloßen "Staatsgenossen". Innerhalb der Staatsbürger aber soll der Großgrundbesitzer, wie der kleinste selbständige Handwerker, nur eine Stimme haben. Dem "Corps der Deputierten" kommt natürlich auch die Bewilligung der Steuern zu; durch öffentliche Beiträge der Vermögenden sind die Mittel zur Erhaltung derjenigen, "die es selbst den notwendigsten Naturbedürfnissen nach nicht sind", herbeizuschaffen. Übrigens ist er keineswegs blind gegen die Schäden des parlamentarischen Systems bei dem Volke, das "mit seiner Verfassung groß tut, als ob sie das Muster für alle Welt wäre". Er lobt zwar den Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit, erklärt aber die "Macht" des großbritannischen Parlaments für eitel "Blendwerk", ausgedacht, um den Absolutismus "unter dem Schein einer dem Volk verstatteten Opposition mit schönen Worten zu bemänteln". Das fällt dem Ministerium natürlich leicht bei Deputierten, die "für sich und ihre vom Minister abhängige Versorgung in Armeen, Flotte und Zivilämtern lebhaft interessiert und ... immer bereit sind, sich selbst der Regierung in die Hände zu spielen" (Rechtslehre).

Auf die äußere Staatsform kommt es für das Volk überhaupt nicht so sehr an, als auf die Regierungsweise. Die Hauptsache dessen, was er als "Republikanismus" und sein Verfassungsideal bezeichnet, ist die Montesquieusche Absonderung der ausführenden von der gesetzgebenden Staatsgewalt. Daneben sieht er, in diesem Punkte befangen durch die Rückerinnerung an die Fridericianische Zeit, die Volksrechte in erster Linie verbürgt durch die Freiheit der Feder, in Schranken gehalten nur durch Hochachtung und Liebe für die Verfassung, und durch den Geist der Freiheit, der von der Notwendigkeit gesetzlichen Zwanges "durch Vernunft überzeugt zu sein verlangt".

Auch die Kirche hat sich unbedingt den Staatsgesetzen zu fügen. Zwar in ihre inneren Angelegenheiten soll sich der Staat nicht einmischen, sondern nur etwaigen Übergriffen, insbesondere Störungen des öffentlichen Friedens, entgegentreten. Kirchliche Stiftungen und Besitztümer aber dürfen nicht auf ewig Bestand haben. "Die Kirche", so schreibt Kant schon einige Jahre vor der Säkularisation der deutschen Bistümer und Abteien in seiner Rechtslehre, "ist ein bloß auf Glauben errichtetes Institut und, wenn die Täuschung aus dieser Meinung durch Volksaufklärung verschwunden ist, so fällt auch die darauf gegründete furchtbare Macht des Klerus weg, und der Staat bemächtigt sich mit vollem Rechte des angemaßten Eigentums der Kirche, nämlich des durch Vermächtnisse an sie verschenkten Bodens." Selbstverständlich darf niemand wegen seines Religionsbekenntnisses von irgendeinem staatsbürgerlichen Rechte oder Vorteil ausgeschlossen, und müssen anderseits die kirchlichen Lasten von der betreffenden Kirchengemeinde, nicht vom Staate, getragen werden. Kurzum: Trennung von Kirche und Staat!


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