e) Methode der Religionsschrift


Da der Ausgang einer gewaltsamen Revolution, so erklärt ein Loses Blatt (S. 68) sehr offen, "mißlich" ist, so sei es das Vernünftigste, die Reform zu versuchen, indem man das Moralische aus der Bibel heraushebe, das Historische aber — "auf sich beruhen lasse". Der philosophische oder Vernunfttheologe ist im Gegensatz zum biblischen oder Schrifttheologen zu einer bewußten moralischen Umdeutung oder Auslegung der christlichen Dogmen berechtigt, ohne darum der Bibel selbst einen ihr fremden Sinn aufdringen zu wollen. Ihm heißt "an Christum glauben" nicht mehr: den geschichtlichen Bericht über Jesu Leben als wahr ansehen, sondern: das Ideal des vollkommenen, Gott wohlgefälligen Menschen in sich aufnehmen, um es in seinem Handeln zu verwirklichen; denn "des Menschen Sohn" bedeutet (wie schon eine handschriftliche Bemerkung zu Kv. Joh. 3, 13 in seinem Bibel-Exemplare besagt) nichts anderes als "die Menschheit in ihrer natürlichen Reinigkeit". Die "stellvertretende Genugtuung" übernimmt der wiedergeborene "neue Mensch" selber, indem er die ihm durch seine sittliche Umkehr auferlegten, dem "alten Adam" in uns erwachsenden Opfer und Leiden freiwillig auf sich nimmt. Unser wahrer "Tröster" (Paraklet) ist das Bewußtsein einer lauteren Gesinnung. Himmel und Hölle sind nur Bilder für das Sittlich-Gute und Böse. Die Dreieinigkeit läßt sich moralisch als Glaube an einen heiligen Gesetzgeber, gütigen Regierer und gerechten Richter begreifen. Ebenso steht es mit den anderen "Heilswahrheiten" des Christentums. Vor den sogenannten "Gnadenmitteln" besteht das wahre Gebet in dem Geist des Betens, das heißt der sittlichen Gesinnung, die "ohne Unterlaß" unser ganzes Handeln begleiten soll. Und von den Sakramenten sind Taufe und Abendmahl, ebenso wie das Kirchengehen, nur Symbole der sittlichen Gemeinschaft, die bloß als Beförderungsmittel des Guten inneren Wert in sich tragen.

Das ist kein flacher Rationalismus, sondern tiefste und zugleich gesundeste sittlich-religiöse Empfindung, wie sie der Sinnesweise des an Herz und Gemüt unverbildeten Menschen entspricht: die wahre Religion besteht im guten Lebenswandel des "natürlichen, ehrlichen Mannes". So ist auch die 'Religion innerhalb' im letzten Grunde kein "diplomatisches Unternehmen" (Cohen, a. a. O., S. 489), sondern eine von "Gewissenhaftigkeit und wahrer Hochachtung für die christliche Religion", aber auch von "geziemender Freimütigkeit" geleitete "offene Darlegung" seiner Auffassung, "wie ich die mögliche Vereinigung der letzteren (sc. christlichen Religion) mit der reinsten praktischen Vernunft einzusehen glaube" (an Stäudlin, 4. Mai 1793). Sehen wir von den kleinen Menschlichkeiten des durch die Zensur bedrängten Schriftstellers ab, so tritt der höhere Zweck einer geistig-sittlichen Läuterung der gangbaren Religionsvorstellungen zu größerer Reinheit und Tiefe immer leuchtender hervor. Der Kirchenglaube ist ihm nur die Hülle, aus welcher der Embryo der reinen Religion ans Tageslicht treten soll. Die Bibel kann vielleicht noch eine Zeitlang als Beförderungsmittel dienen. Aber "es müssen nach und nach alle Maschinen, die als Gerüste dienten, wegfallen, wenn das Gebäude der Vernunft errichtet ist" (Ak.-A. XV, S. 616). "Vor jetzt leben wir noch in der unsichtbaren Kirche, ... die Zurückhaltung ist jetzt noch nötig." Aber wenn einmal die "Erfüllung da ist", dann wird "Offenherzigkeit" an ihre Stelle treten, "die aber gütig ist" und auch "davor aufgenommen wird" (ebd. 614).

Seine Hoffnung setzt der Philosoph dabei zunächst auf einige "wohlgesinnte und gut instruierte mächtige Regenten", die zu gleicher Zeit in Europa regieren würden — Beispiele bot ja das Zeitalter Friedrichs II. und Josephs II. mehrere —, und die von einigen ebenso denkenden Generationen gefolgt wären. Noch mehr aber auf die Erziehung der kommenden Geschlechter, die "alles auf den einfältigen Begriff eines Gott wohlgefälligen Lebenswandels zurückbringt" (ebd. 898). Daher vor allem sein begeistertes Interesse für die pädagogischen Reformbestrebungen seiner Zeit. Daher auch sein Wunsch, die jungen Theologen möchten, nach Vollendung ihrer Fachstudien, "eine besondere Vorlesung über die reine philosophische Religionslehre", etwa nach Art seines Buches, hören (1. Vorr. S. 9, vgl. Reflexionen ed. Erdmann II, Nr. 173). Die Hauptaufgabe, die Königsaufgabe im Sinne Platos, fällt eben den Philosophen zu: "Sie müssen die wahren Grundsätze allgemein machen. Die Geistlichen, ihre Schüler, müssen die Religion darnach modeln und die Erziehung der Regenten" (XV, 606). Dass heute noch "in Religionsdingen die meisten unmündig und immer unter der Leitung von fremder Vernunft sind" (ebd. 223), darf den echten Idealisten nicht entmutigen. Denn "im ganzen Weltlos sind tausend Jahr ein Tag. Wir müssen geduldig an diesem Unternehmen arbeiten und warten" (ebd. 609).


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