Pracht

Pracht. (Schöne Künste) Man lobt gewisse Werke der schönen Künste, wegen der sich darin zeigenden Pracht. Deswegen scheint das Prächtige eine ästhetische Eigenschaft gewisser Werke zu sein und wir wollen versuchen, den Begriff und den Wert desselben hier zu bestimmen. Ursprünglich bedeutet das Wort ein starkes Geräusch; deswegen man in dem eigentlichsten Sinn dem Donner einer sehr stark besetzten und feierlichen Musik, Pracht zuschreiben würde. Hernach hat man es auch auf sichtbare und andere Gegenstände, die sich mit Größe und Reichtum ankündigen, angewendet; daher man einen Garten, ein Gebäude, Aussichten auf Landschaften, Verzierungen, prächtig nennt, wenn das Mannigfaltige darin groß, reich und die Vorstellungskraft stark rührend ist. Es scheint also, dass man jetzt überhaupt durch Pracht mannigfaltigen Reichtum mit Größe verstehe, insofern sie in einem einzigen Gegenstand vereinigt sind; eine Mannigfaltigkeit solcher Dinge, die die Sinnen oder die Einbildungskraft durch ihre Größe stark einnehmen.

 Wahre Größe mit mannigfaltigem Reichtum verbunden, findet man nirgend mehr als in der leblosen Natur, in den erstaunlichen Aussichten der Länder, wo hohe und große Gebirge sind. Daher nennt auch jedermannn diese Aussichten vorzüglich prächtig. So nennt man auch den Himmel, wenn die untergehende Sonne verschiedene große Partien von Wolken mit hellen und mannigfaltigen Farben bemalt.

Gegenstände des Gesichts sind überhaupt durch die Menge großer Formen und großer Massen, darin aber Mannigfaltigkeit herrscht, prächtig. Gemälde sind es, wenn sie aus großen, mit kleineren untermengten Gruppen und eben solchen Massen von Hellem und Dunkelen bestehen, die dabei dem Auge einen Reichtum von Farben darbieten. Ein Gebäude fällt von außen mit Pracht in das Aug, wenn nicht nur das Ganze in Höhe und Weite die gewöhnlichen Maße überschreitet; sondern zugleich eine Menge großer Hauptteile ins Auge fällt. Denn es scheint, dass zu einer solchen Pracht etwas mehr als die stille, einfache Größe solcher Massen, wie die ägyptischen Pyramiden sind, erfordert werde.

 In der Musik scheint die Pracht, sowohl bei geschwinder als bei langsamer Bewegung statt zu haben; aber ein gerader Takt von 4/4 oder 1/2 scheint dazu am schicklichsten und kleinere Schritte des Taktes scheinen der Pracht entgegen. Dabei müssen die Stimmen sehr stark besetzt sein und besonders die Bäße sich gut ausnehmen. Die Glieder der Melodie, die Ein- und Abschnitte müssen eine gewisse Größe haben und die Harmonie muss nicht zu schnell abwechselnd sein.

 In den Künsten der Rede scheint eine Pracht statt zu haben, die nicht bloß aus der Größe und dem Reichtum des Inhalts entsteht, sondern auch von der Schreibart oder der Art, die Sachen vorzutragen, herkommt. Prächtige Gegenstände können gemein und armselig beschrieben werden. Die Pracht hat immer etwas feierlich veranstaltetes und es scheint, dass ohne einen wohl periodirten und volltönenden Vortrag, einen hohen Ton, vergrößerende Worte, keine Rede prächtig sein könne. Vornehmlich aber trägt die Feierlichkeit des Tones und der Gebrauch solcher Verbindungs- und Beziehungswörter, wodurch die Aufmerksamkeit immer aufs neue gereizt wird, das meiste zur Pracht bei. Also, sagt er – Jetzt erhebt er sich – Nun beginnt das Getümmel – u. d. gl.

 Außerdem bekommt die Rede Pracht, wenn die Hauptgegenstände, von denen die Größe herrührt, erst jeder besonders mit einigem Gepränge vors Gesicht gebracht worden, ehe man uns die vereinigte Wirkung davon sehen lässt. So ist Homers Erzählung von dem Streit des Diomedes gegen die Söhne des Dares im Anfange des V Buchs der Ilias. Ein gemeiner Erzähler würde ungefähr so angefangen haben. »Darauf trat Diomedes voll Mut und mit glänzenden Waffen gegen die Söhne des Dares heraus; sie auf Wagen, er zu Fuße« u.s.w. Aber der Dichter, um die Erzählung prächtig zu machen und uns Zeit zu las sen, die Helden, ehe der Streit angeht, recht ins Gesicht zu fassen und uns in große Erwartung zu setzen, beschreibt erst umständlich und mit merklicher Veranstaltung den Diomedes. »Aber dem Diomedes, des Tydeus Sohn gab jetzt Pallas Athene Kühnheit und Mut, u.s.w.« Nachdem wir diesen Helden wohl ins Auge gefasst haben und seinethalber in große Erwartung gesetzt worden, lässt er nun seine Gegner ebenfalls feierlich auftreten. »Aber unter den Trojanern war ein gewisser Dares – Dieser hatte zwei Söhne u.s.w.« Von dieser Pracht in dem Vortrag ist die, welche in der Materie selbst liegt, verschieden. Der Inhalt der Rede bekommt seine Pracht von der Größe und dem Reichtum der Dinge, die man uns vorstellt und darin übertreffen die redenden Künste die übrigen alle. Welcher Maler würde sich unterstehen, in einem Gemälde auch nur von weitem die unendliche Pracht der großen und reichen Szenen in der Meßiade nachzuahmen? Denn alles Große, das der Verstand und die Einbildungskraft nur fassen mögen, kann durch die Rede in ein Gemälde vereinigt werden.

 Die unmittelbareste Wirkung der Pracht ist Ehrfurcht, Bewunderung und Erstaunen. Die schönen Künste bedienen sich ihrer mit großem Vorteil, um die Gemüter der Menschen mit diesen Empfindungen zu erfüllen. Bei wichtigen, politischen und gottesdienstlichen Feierlichkeiten, ist die Pracht not wendig; weil es wichtig ist, dass das Volk nie ohne Ehrfurcht und Vergnügen an die Gegenstände gedenke, wodurch jene Feierlichkeiten veranlasst werden. Da aber der Eindruck, den die Pracht bewirkt, wenig überlegendes hat; so ist es freilich mit der bloßen Pracht nicht allemal getan. Pracht in den Worten, ohne wahre Größe des Inhalts, ist was Horaz fumum ex fulgore nennt. Wenn man bei feierlichen Anlässen gewisse bestimmte und zu besonderen Endzweck abzielende Vorstellungen zu erwecken sucht; so muss man mit der Pracht dasjenige zu verbinden wissen, was diese besondere Vorstellungen mit gehöriger Klarheit zu erwecken vermögend ist. Man ließt in der Geschichte der mosaischen Gesetzgebung, dass durch Donner und Bliz das Volk zu Anhörung des Gesetzes vorbereitet worden. So muss die Pracht die Gemüter zu den wichtigen Vorstellungen, die man bei gewissen Gelegenheiten erwecken will, vorbereiten.

 Pracht ohne wahre Größe, ist bloßes Gepräng, das so gar ins Lächerliche fallen kann. Auch die Pracht, die man bei mittelmäßiger Größe durch überhäuften Reichtum gleichsam erzwingen will, tut nur schlechte Wirkung. In Venedig sieht man eine Kirche, die den Namen Sta. Maria Zobenigo hat, wo an der Außenseite alles entweder Säule oder Bilderblinde mit Statuen oder Felder mit Schnitzwerk ist. Dies ist ein erzwungener Reichtum, der bloß ermü det und nie die Wirkung der wahren Pracht haben kann.

 


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