Poetisch; Poetische Sprache

Poetisch; Poetische Sprache. Poetisch nennt man jede Sache deren Art oder Charakter sich zum Gedicht schickt. Eine poetische Phantasie, ein poetischer Einfall, ein poetischer Ausdruck. Wir haben in verschiedenen Artikeln dieses Werks den poetischen Charakter mancherlei Eigenschaften und Gegenstände betrachtet; als z.B. das poetische Genie, den poetischen Stoff, die poetische Behandlung eines Stoffes und dergleichen. Dieser Artikel ist der Betrachtung der poetischen Sprache gewidmet, dem was die französischen Kunstrichter poesie du Stile nennen.

      –– Nil cupientium Nudus castra peto et transfuga divitum Partes linquere gestio.

Wer als ein in den höchsten poetischen Enthusiasmus gesetzter Mensch würde, anstatt – Siehe! Cäsar den man tod gesagt hatte, kommt siegreich aus Spanien zurück – sich so feierlich als Horaz ausdrücken:

Herculis ritu modo dictus, o, plebs Morte venalem petiisse laurum Cæsar hispana repetit penates Victor ab ora.

Es ist nicht wohl möglich jede Wirkung des poetischen Geistes, auf die Sprache anzuzeigen; sie kann sich auf jede Kleinigkeit derselben erstrecken.

Vielweniger lassen sich eigentliche Grenzen bestimmen, wo die gemeine Sprache aufhört und die poetische anfängt. Den eigentlichen förmlichen Vers rechnen wir nicht hierher; weil er aus überlegter Kunst entstanden ist; und weil die Sprache auch ohne ihn sehr poetisch sein kann. Bisweilen wirkt der poetische Geist nur auf den Ton und den Gang der Rede, die ohne Veränderung des Ausdrucks, bloß durch andere Ordnung vom poetischen ins prosaische kann heruntergesetzt werden. Folgende schöne Strophe

Viel zu teuer durchs Blut blühender Jünglinge, Und der Mutter und Braut nächtliche Thrän' erkauft, Lokt mit Silbergetön ihn die Unsterblichkeit

      In das eiserne Feld umsonst!

könnte mit Beibehaltung jedes Wortes, bloß durch veränderte Stellung derselben in eine zwar edle, aber gar nicht poetische Prose verwandelt werden. Umsonst lockt ihn die Unsterblichkeit u. s. w. Nur die Ausdrücke Silbergetön und das eiserne Feld, müssten etwas herabgestimmt werden. Folgendes Beispiel zeigt, dass ohne ein einziges Wort zu verändern, eine schöne poetische Rede in eine völlig gemeine könne verwandelt werden. Niemand wird sagen, dass folgende Rede poetisch sei. Equidem rex, inquit, fatebor tibi cuncta, quæcumque fuerint vera; neque negabo me de gente argolica: hoc primum. Nec si improba fortuna finxit Sinonem miserum, finget etiam vanum mendacemque und doch wird sie, durch andere Ord nung, ohne Veränderung einer einzigen Silbe in eine schöne poetische Rede vewandelt.

Cuncta equidem tibi Rex fuerint quæcumquo satebor, Vera, inquit; neque me argolica de gente negabo. Hoc primum; nec si miserum fortuna Sinonem Finxit, vanum etiam mendacemque improba singet.1 Andremale kommt zu der ungewöhnlichen poetischen Ordnung und dem empfindungsvollen Gang noch das hinzu, dass die Verbindungs- und Beziehungswörter vom Dichter übergangen werden und dass dadurch seine Sprache poetisch wird, wie folgendes, darin sonst kein Ausdruck als das einzige Wort singen poetisch ist.

Der Liebe Schmerzen, nicht der erwartenden Noch ungeliebten, die Schmerzen nicht,

Denn ich liebe, so liebte Keiner! so werd ich geliebt!

Die sanftern Schmerzen, welche zum Wiedersehn Hinblicken, welche zum Wiedersehn

Tief aufatmen, doch lispelt Stammelnde Freude mit auf!

Die Schmerzen wollt ich singen ––2

 Durch gehörige Versetzungen und Einschaltung der von dem Dichter übergangenen Verbindungs- und Beziehungswörter könnte man diese recht pindarische Strophen in eine gute gar nichts poetisches an sich habenden Rede verwandeln.

 Dieses sind die einfachsten aber nicht die leichtesten Schritte zur poetischen Sprache. Man findet bei den erhabensten Odendichtern als bei Pindar und Klopstock nicht selten dergleichen Strophen und doch ließt man sie mit Entzückung, bloß weil die Stellung und Verbindung der Wörter ihnen einen hohen poetischen Ton geben.

 Andremale wird die Sprache durch Einmischung besonders ausgesuchter sehr starker oder sehr malerischer oder auch bloß mehr als gewöhnliche Veranstaltung anzeigender Wörter. Haraz führt folgende Stelle des Ennius an:

   –– Postquam discordia tetra Belli ferratos postes portasque refregit.3

in welche die mit anderer Schrift gedruckten Wörter eine merkliche Bestrebung des Dichters, sich stark auszudrücken, anzeigen. Zum Beispiel des malerischen kann folgendes dienen, das auch der Prosopopöe ungeachtet noch poetisch wäre.

Von des schimmernden Sees Traubengestaden her, Oder, flohest du schon wieder zum Himmel auf?

Komm in röthendem Strale Auf dem Flügel der Abendluft,

Komm und lehre mein Lied jugendlich heiter sein, Süße Freude, wie du! gleich dem beseelten

Schnellen Jauchzen des Jünglings, Sanft, der fühlenden Fanny gleich.4

In diese Klasse des poetischen rechnen wir auch das bloß Veranstalltete, da man gemeinen Wörtern und Namen durch Umschreibung oder Beiwörter einen von der gemeinen Rede abgehenden Charakter gibt. Servius sagt: Amant poetæ rem unius sermonis circumlocutionibus dicere, ut, pro Troja dicunt urbem Trojæ: pro Buthroto, arcem Buthroti: sic pro Timaro Virgilius fontem Timari.

  Zuletzt nimmt die poetische Sprache die lebhaftesten und leidenschaftlichsten Figuren, die kräftigsten und kühnesten Tropen und die ungewöhnlichsten Wendungen der Sprache zu Hilfe. Der Ausdruck muss jede Sache, die die Einbildungskraft des Dichters gerührt hat, vergrößern oder verkleinern. Der Raum des Himmels wird jetzt zum Ocean der Welten, die Erde zum Tropfen am Eymer und das Vergnügen fühlende Herz vergeht in Entzückung.5 Leblose Dinge bekommen Leben und Handlung und die reinsten Vorstellungen des Verstandes werden in körperliche Gegenstände verwandelt. Dadurch geschieht es, dass alle Gedanken in bloß sinnliches Gefühl verwandelt werden.

 An dieser poetischen Sprache erkennt man den wahren Dichter und es scheint, dass schon Horaz darin das Wesen der Dichtkunst gesetzt habe,6 und die Neuern erkennen eben deswegen eine prosaische Poesie und eine poetische Prose. »Dieser Teil der Dichtkunst (die Poesie des Stils) sagt ein scharfsinniger Kunstrichter, ist der wichtigste und zugleich der schwerste. Die Bilder zu erfinden, welche das, was man sagen will, schön malen; den eigentlichen Ausdruck zu treffen, der dem Gedanken ein fühlbares Wesen gibt, dieses (nicht der Reim) ist die Kunst, wozu ein göttliches Feuer nötig ist. Ein mittelmäßiger Kopf kann durch langes und genaues Nachdenken einen regelmäßigen Plan machen und seinen Personen anständige Sitten geben: aber nur der, welcher zur Kunst geboren ist, kann seinen Vers durch Dichtung und Bilder beleben.«7

 Es ist zwar das allgemeine Genie aller Menschen, dass sie Gedanken und Begriffe, um sie recht zu fassen, ein körperliches Wesen geben und insofern sind wir alle, nur den abstrakten Philosophen ausgenommen, Poeten. Aber nicht jeder hat Genie, Lebhaftigkeit und Reichtum der Phantasie, Richtigkeit des Gefühls genug, seine Gedanken mit solchen Körpern zu bekleiden, die sie zugleich in der genauesten Ähn lichkeit oder Wahrheit und größten Klarheit und Lebhaftigkeit vorstellen. Dieses ist den vorzüglichen Genien, die dann eigentlich Dichter genannt werden, vorbehalten.

 Der Vollkommenheit der poetischen Sprache ist es zuzuschreiben, dass Gedanken, die wir selbst tausendmal auch schon gedacht haben, uns so inniglich ergötzen, wenn wir sehen, wie neu und wie vollkommen sie der Dichter eingekleidet hat; wenn wir neue und unerwartete, doch höchst richtige Ähnlichkeiten zwischen dem geistigen und dem körperlichen wahrnehmen, die nur der feineste Scharfsinn entdecken und der beredteste Mund ausdrücken konnte. Die poetische Sprach ist es also, die uns in den Gedichten am meisten reizt.

 Aber wir müssen nicht vergessen, anzumerken, dass das Poetische der Sprache nur das Kleid der Gedanken sei, dessen nur die Gedanken, die in ihrer nakenden Gestalt nicht genug ästhetische Kraft hätten, bedürfen; dass die Vorstellungen, die ohne diesen poetischen Schmuck Lebhaftigkeit genug haben, auch ohne Poesie der Sprache poetisch sind; dass insbesondere die Sprache eines innigst gerührten Herzens, der geradeste einfachste Ausdruck starker Empfindungen, diesen Schmuck verschmähen. Wo schöne Gesinnungen, starke Empfindungen oder auch wahre Machtsprüche der gemeinen Vernunft stehen, bewegen sie für sich selbst, auch in dem einfachsten Ausdruck, hinlänglich. Darum ist eine blumenreiche oder sonst poetische Sprache bei Äußerung der Emfindungen oft sehr nachteilig und allemal unnatürlich. Und wo man an sich große Gegenstände zu beschreiben hat, da darf man nur auf gute Anordnung und richtige Zeichnung sehen; das Feine des Kolorits tut wenig dabei.

 

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1 S. Parrhasiana.

2 Klopst. Ode an Cidli.

3 Serm. I. 4.

4 Klopst. Ode an den Zürichersee.

5 S. Klopstocks Ode die Frühlingsfeier.

6 Sermon. 1. 4; 40-62.

7 Du Bos Reflexions etc.

 


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